“Mit Leidenschaft geht alles besser” – 12 Fragen an Bernadette La Hengst

von Kersty

“Die Hamburger Schule ist kein Schnee von gestern” titelte die taz im Laufe des Hamburger Schule Gates – und auch Bernadette La Hengst haut mit ihren erfrischend-aufrüttelnden Liedern immer noch ins Auge (des Hurrikans!).

Die ehemalige Sängerin & Gitarristin von Die Braut haut ins Auge, die seit Anfang des neuen Jahrtausends als Bernadette La Hengst emphatisch-vielstimmige, von Blues bis Electro Clash inspirierte Musik macht,  hat mit dem aktuellen Album “Visionäre Leere” bereits ihr siebtes Solo-Album veröffentlicht.

Im Titelstück “Visionäre Leere” besingt sie “Lubycza”, also die Lausitz.  Gleichzeitig kann die Hörer:in die visionäre Leere auch selber füllen;  man geht durch so viele Genres, Gefühle und groovy Hooklines, wenn man diese Stücke hört. Melancholische Klavierballaden, aufrüttelnder Rock`n Roll, Polit-Pop-Songs zum Tanzen!  Da ist sehr viel Verbindendes, so ein funkelnder Faden der Hoffnung, der das Publikum mitnimmt. La Hengst gehört vielleicht zu den wenigen Musiker:innen, die ihre Lieder schreiben, wenn sie eigentlich ganz gut drauf sind und voller Tatendrang! Nicht aus dieser erschöpften New Wave-Melancholie heraus (wie am es von vielen anderen Songwriter*innen kennt) und trotzdem, oder gerade, überraschend bluesig! 

1)Wie schaffst du es, gegen Menschenhass und für das Klima zu singen, dich in so viele politische Diskussionen zu verstricken und dabei so positiv zu bleiben? Ist, vereinfacht gesagt, Singen doch die beste Medizin, um emotional stabil zu bleiben? Du leitest ja auch den vielstimmigen und tollen Chor der Statistik…

Um es einfach mal runterzubrechen: Wenn wir uns nicht bewegen, wie soll dann eine Bewegung und damit eine Veränderung entstehen? Musik ist etwas aktives, die eigene Stimme erheben ist sowohl ein emotionaler als auch ein politischer Akt. Musik und vor allem Gesang erzeugt Resonanz mit sich selbst als auch mit der Welt, und dadurch wird immer etwas verändert. Meine Chöre sind ja auch immer auch eine kleine politische Bewegungseinheit, wenn sie z.B. der Straße singen, sich zusammenschließen, um gemeinschaftlich aktuelle Themen und Diskurse zu besingen. Musik sehe ich auch als eine Art musikalischen Klebstoff, der eine gespaltene Gesellschaft wieder verbündeln kann.

 

2)Bei dir habe ich immer das Gefühl, dass du deine emotionale Mitte schon früh gefunden hattest. Liegt das vielleicht auch daran, dass du schon früh in deinem Leben Musik gemacht hast? Auf diese Weise einen Ausgleich, eine Beschäftigung hattest, der anderen Mädchen bzw. Menschen vielleicht fehlte…

Vielleicht hast du Recht: Ich habe schon als Kind immer gesungen, ich konnte mich immer mit meinem Klavier oder der Gitarre zurückziehen, um mich auszudrücken, diese Möglichkeit kann mir niemand nehmen, das macht mich manchmal vielleicht resilienter als andere. Und meine Eltern haben viel mit mir gesungen, sie haben uns Kinder ermutigt, uns auszudrücken und unsere Gefühle zu zeigen.

3)Es gibt ja viele Leute, die ein Problem mit dem Genre, sag ich mal, „Agit Prop“ haben, aber du schaffst es, ein ums andere Mal zu verblüffen, indem du dich selbst mit ganz konkreten, praktischen Handlungen aus deinem politischen Alltagsleben mit einbeziehst. Wie hast du diesen persönlichen Dreh zum Agit Prop gefunden? Ist es richtig beobachtet, dass die frühen Braut-Songs noch nicht so politisch waren, oder anders politisch, als dein beeindruckendes Solo-Werk?

Agit Prop finde ich mittlerweile einen schwierigen Begriff, denn da steckt ja „Propaganda“ drin, und das war nie meine Absicht. Wenn ich z.B. ein Lied schreibe mit dem Titel „Grundeinkommen Liebe“ (ein Duett mit Rocko Schamoni), dann ist das natürlich ein Song über das bedingungslose Grundeinkommen, aber gleichzeitig auch ein Lovesong, und mit dem Wunsch nach bedingungsloser Liebe können sich viele identifizieren.

Ich greife aktuelle politisch-gesellschaftliche Themen in meinen Songs auf, weil sie in der Luft herumschwirren, man braucht sie nur zu ergreifen. Ich sag immer, schwierige Themen in einfachen Melodien verpacken ist auch ein trojanisches Pferd. Ich bin viel politischer geworden seitdem sich die Braut aufgelöst hat, weil sich dadurch neue Türen geöffnet haben. Ich bin als Künstlerin und als Mensch durchlässiger geworden, ich musste nicht mehr die Band als Konstrukt halten, sondern konnte in verschiedensten Konstellationen alles machen was ich wollte. Dadurch hat sich mein Horizont erweitert: Die Gründung des Schwabinggrad Balletts, des Buttclubs, die Mit-Organisation des Ladyfest Hamburg 2003, aber auch die Arbeit als Bookerin für Musikerinnen und Promoterin bei What‘s So Funny About, über die ich ja dann 2000 Parole Trixi produziert habe.

Meine Arbeit im Theater ab 2003 hat mir dann nochmal neue Möglichkeiten erschlossen, denn im Theaterraum kann man gesellschaftliche Themen tiefer analysieren und abbilden. Meine Songs sind in diesen Theaterprojekten auch immer Teil der theatralen Inszenierung, die Songtexte sehe ich auch wie dramatische Texte, nur in einer anderen Form, nämlich in der eines 3-minütigen Popsongs, der das Publikum im besten Fall zum tanzen und damit auch zum denken bringen soll.

Ich hab durch diese Theaterprojekte auch soziale Talente in mir entdeckt, die mir vorher nicht so bewusst waren, z.B. große Gruppen von Menschen anleiten, und mit verschiedensten Menschen zusammen Songs zu schreiben. Dabei geht es auch darum, dass ich mich als Künstlerin/Musikerin im besten Falle überflüssig mache, damit die Personen, mit denen ich die Songs zusammen geschrieben habe, sie selbst auf die Bühne bringen. Ich bin quasi eine musikalische Hebamme und ziehe mich dann zurück. Wenn es gelingt, kann das sehr nachhaltig sein für alle Beteiligten. Gerade in meinem aktuellen Theaterstück „Musikalisiert Euch!“ in der Bürger:Bühne des Staatsschauspiel Dresden ist das ganz gut gelungen. Ich habe drei Monate mit 22 Menschen aus Dresden ein Stück inszeniert und die Musik geschrieben, bei dem ich nicht mit auf der Bühne bin. Es handelt von der Gründung einer neuen Bewegung, die das Theater besetzt, um gegen die sogenannte Spaltung der Gesellschaft anzusingen. Angelehnt an die beiden Titel „Empört Euch!“ und „Radikalisiert Euch!“, zwei Essays des ehemaligen französischen Widerstandskämpfers Stéphane Hessel, habe ich versucht, der Polarisierung, die in Sachsen, aber auch weltweit unser aller Leben bestimmt, etwas entgegen zu setzen. Musik als gesellschaftlicher Klebstoff. Die Gruppe ist sehr divers, im Alter von 16 bis 70, von Klima-Aktivisten der Letzten Generation über Lokalpolitiker*innen bis zu LGBTQ+ Aktivist*Innen.

4)Hast du dafür Vorbilder – und wie verhält sich das alles zu Electroclash, worauf du dich ja auch im Info beziehst. Ich habe den Eindruck, dass diese Musikrichtung aus den nuller Jahren, die von Le Tigre und Peaches mitgeprägt wurde, dich nach wie vor beschäftigt? Und welche aktuellen Musikerinnen hörst du gerade gerne?

Le Tigre und Peaches, aber auch z.B. Rhythm King and her friends aus Berlin und Chicks on Speed haben mich Anfang der 2000er sehr inspiriert und da abgeholt, wo die Leerstelle durch die Auflösung der Braut entstanden war. Ich musste als Solo-Musikerin eine energievolle Musik erzeugen, die nicht von einer ganzen Band gespielt wird. Und da lag es nah, mit einem Sampler und elektronischen Beats zu arbeiten. Außerdem konnte ich mir keine Band leisten, aber ich wollte unbedingt von meiner Musik leben.

Heutzutage gibt es andere Musik, die mich begeistert. Electroclash ist nicht mehr mein Lebensgefühl. Ich mag sehr Nichtseattle aus Berlin, Barbara Morgenstern, Derya Yildirim, Kapa Tult aus Leipzig, natürlich auch Doctorella…. Was ich alles neu entdecke und warum, kann man gut in meiner regelmäßigen monatlichen Radiosendung auf Radio Eins nachhören.

 

5)Du gehörst zu den Musikerinnen, die sich mal so eben in ein paar wenigen Wochen ein neues Instrument drauf schaffen. Was ist das letzte Instrument, dass du dir beigebracht hast und was ist dein aktuelles Lieblingsinstrument (Computerprogramm mit dazu gezählt)?

Ich glaube, ich kann viele Instrumente ein bisschen spielen, zum üben hatte ich nie Lust. Aber learning by doing ist mein Lebensmotto, und das würde ich auch allen Kindern empfehlen, die ein Musikinstrument lernen wollen. Sucht euch Songs aus, die ihr unbedingt lernen wollt, mit Leidenschaft geht alles einfacher.

Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich gerne ein Blasinstrument lernen und ein Streichinstrument. Aber das ist auch alles nicht soooo wichtig, wenn du mich fragst, welches Instrument ich mit auf eine einsame Insel mitnehmen würde, wäre es meine Stimme.

6)Was macht dir mehr Spaß: Songs schreiben oder Auftreten oder Szene-Aktivismus oder deine tolle Radioshow auf radioeins?

Alles zusammen.

7) Ihr wart mit Die Braut haut ins Auge immer am Puls der Gegenwart, trotzdem klingt euer Song „Was nehm ich mit, wenn es Krieg ist?“ erstaunlich aktuell, und berührend. Damals fand ich das Lied toll und abstrakt, heute ertappe ich mich dabei, wie ich beim Zuhören viel emotionaler mitgehe. Trotzdem sind die persönlichen Stellen in dem Song am schönsten. Ich bekomme z.B. eine Gänsehaut, wenn ich die Passage über die Schmuckschatulle deiner Mutter mit dem letzten Brief von ihr höre. Oder würdest du heute noch mal ganz andere Gegenstände mitnehmen, als die von dir dort besungenen?

Ich würde mich in erster Linie darum sorgen, meine Tochter mitzunehmen, und meinen Freund. Das hat sich wahrscheinlich am meisten geändert in den letzten 30 Jahren. Ich habe den Song ja wieder ausgegraben für mein Theaterstück Mutter**Land, das ich 2021 zusammen mit meiner damals 16jährigen Tochter Ella Mae entwickelt habe. Wir gehen in dem Stück zusammen auf Spurensuche nach meiner Mutter von Schlesien über die DDR, den Libanon bis nach Ostwestfalen. Ella hat im Video u.a. meine Mutter gespielt und zusammen mit mir einige der Lieder gesungen. Meine Mutter ist gestorben als ich selbst 16 war, insofern war es Drei Generationen Geschichte über Bande gespielt. Und weil meine beiden Eltern Kriegskinder waren, wurde mir erst jetzt bewusst, wie sehr diese weitervererbte Geschichte sich in dem Song „Was nehm ich mit, wenn es Krieg gibt?“ wiederspiegelt. Und tatsächlich ist der Song dann nach Ausbruch des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine dann noch näher an uns heran gerückt. Und deshalb musste ich ihn einfach in einer anderen Version nochmal aufnehmen.

8) Hier eine unserer Standardfragen aus dieser Rubrik: Darf man in deinem Schlafzimmer rauchen?

Nein, nur in absoluten Notfällen. Ich will schon seit Jahren aufhören, ist aber schwieriger als ich dachte.

9) Könntest du dir vorstellen, mal in die Politik zu gehen, also Politikerin zu werden, oder würdest du dort sofort deine Musikinstrumente vermissen?

Oh Gott, nein, das ist mir viel zu stressig.

10) Einer meiner Lieblingssongs des Album ist das relaxt-groovende „Runterfahr`n“, bei dem ich, obwohl es thematisch ganz anders ist, eine kurze Assoziation zu „Autobahn“ von Kraftwerkt hatte. Ist das absurd, oder ein bewusstes Zitat?

Das ist natürlich ein ganz bewusstes Zitat, also anstatt auf der Autobahn zu fahrn, müssen wir alle runterfahrn. Ein Song, der im Lockdown der Pandemie entstanden ist.

11) Worauf dürfen wir uns bei deinem „Ich brauche eine Genie“-Auftritt am Donnerstag freuen, in welcher Formation wirst du auftreten?

Ich spiele zusammen mit Claudia Wiedemer am Cello und Gesang und mit meinem Freund Nick Nuttall, der mich ja auch schon seit vielen Jahren mit seiner wundervollen Stimme unterstützt.

12) Spielst du auch „Sie ist wie eine Utopie“? Die Refrainmelodie ist so zum Greifen schön, dass man gar nicht anders kann, als sich eine Utopie zu erfinden.

Das Lied ist ja entstanden für das Theaterstück „Die Freiheit einer Frau“ , für das ich zusammen mit der ehemaligen Braut Bassistin Peta Devlin im Schauspielhaus Hamburg auf der Bühne stand. Wir haben dafür auch unseren Braut Song „Lauf Los“ wieder rausgeholt, er passte einfach zu gut in die Selbstermächtigungs-Geschichte der Mutter des Autors Édouard Louis, die nach 30jähriger gewalttätiger Ehe ihren Mann verlässt und den Schritt in ein selbstbestimmtes Leben wagt. „Sie ist wie eine Utopie“ ist auch ein Song, mit dem wir sie dazu ermutigen wollten.

Wir freuen uns sehr auf den Auftritt von Bernadette & den Ladettes bei unserer 23. Edition von “Ich brauche eine Genie” am Donnerstag in der Kantine am Berghain.

Für 9 Euro könnt ihr hier noch Tickets kaufen (oder an der Abendkasse vor Ort für 10 Euro):

Ich brauche eine Genie #23 – Popkultur, Feminismus, Luftschlösser bauen & so. MUSIK: Bernadette La Hengst, Sofia Portanet, The Doctorella. LESUNG: Kersty Grether (“BRAVO BAR”) – Tickets kaufen (rausgegangen.de)

Beitragsfoto Bernadette La Hengst: c) Christiane Stephan