Hungerkünstler
Ein »Tribute-To-Carpenters«-Album kann man derzeit gut gebrauchen.
Längst hat der Karen-Carpenter-died-of-Anorexia-Nervosa-Effekt der Band im Riot Girl und Rock-Underground so nachdenkliche Schock-Cred eingebracht, wie sonst nur Rock ’n’ Roll -Tode. Daß Sängerin Karen Carpenter tatsächlich an den Folgen von Körper-Negation, Liebes-Entzug, Hungern, Diätik, Medien-Bosheit – wie immer die Lieblings-Konstruktionen von Magersucht auch gehen – gestorben sei, wird ja tragischerweise immer mit der Äußerung versehen, wie schön sie doch gesungen habe!
Tears of a Carpenter: das Hausfrauen-SummSumm, die Selbstbeherrschung zur Schönheit hin, ein auch bohemistisches Ideal der fröhlich-kranken Mutter, die sich zusammenreißt für ihre Lieben. Der Legende zufolge sind die Carpenters nie ausreichend gewürdigt worden, und Richard Carpenter gilt vielen als unerkannter, »fünfter« Beatle, der nicht genügend für die Tiefe seines Songwritings gerühmt wurde. Dabei haben sie doch ungefähr 50 Millionen Schallplatten verkauft!
Die Bands auf ›If I Were A Carpenter‹ schmieden ebenfalls Revolten: die Carpenters als geheime Kindheits-Waffe gegen Kiss (so die Replacements), gegen ältere Brüder (sagen Redd Kross), gegen langweilige Sonntag-Vormittage (meinen Babes in Toyland). Die Interpretation der Carpenters-Stücke fällt in Anbetracht dieser Emotionen verdächtig brav und vorhersehbar aus. Shonen Knife covern ›Top Of The World‹, als sei das ein niedliches Happy-Day-Stück. Sonic Youth übernehmen mit ›Superstar‹ die Definition der tragischen Coolness – wer hätte es gedacht. Die sehr unterbewerteten, semiromantischen Redd Kross covern das sehr unterbewertete, semi-nostalgische ›Yesterday Once More‹, die 4 Non Blondes trotzig das gefällige Lied, das mehr Respekt für Kinder fordert. Und American Music Club das getragene, post-pessimistische ›Goodbye To Love‹. Die Platte heißt ja auch ›If I Were A Carpenter‹.
Alle vereinen das Beste der Band mit den Lieblingseigenschaften aus ihrer Identitäts-Skala. Was der Carpenters-Rezeption eine neue Dimension hinzufügt: Korrekte Underground-Bands rehabilitieren die Carpenters ganz korrekt. Freuen sich daran, daß sie schon in den frühen 70ern, als unbedarfte Radio-Kids, die Grenze ziehen konnten zwischen gutem Pop und Kitsch, Carpenters und Partridge Family. Und so muß die Band das bleiben, was sie damals im Pop-Radio zu sein versprach, und die schlechten Verhältnisse auch.
Das kann man dann wirklich kitschig finden.
(KG, SPEX, 1994)