Portraitbild - Stella

Stella formen eine Dialektik

Lebensstil: Pop-Baukasten

Eine große Portion Extralife, please!

Das Leben macht Sinn in diesen Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr, und auch jetzt noch im neuen Jahr, weil es nach Stella klingt, für mich, die ich ständig die Debüt-LP höre. Sie heißt ›Extralife‹, und noch mal von vorne das Ganze: Kick it!

Gib’ mir außerdem ein Leben, gib mir Energie, Elan, Erkenntnis, Aufregung, gib mir ein Besonderes: »An Extra-Life is what I need!«

Eine groovig new-wavige Pop-Platte, die Spaß macht, erfrischend und mischend, sich mit zigtausenden von musikalischen Details gegen schnelle Abnutzung absichert. Und Stella haben was zu sagen, und verpacken das in Musik, die auch schon ohne Aussagen gut laufen würde.

Eine Extraportion Stella, bitte. Thies Mynther, Elena Lange, Mense Reents sind Landeier oder in kargen, kulturarmen Vorstädten aufgewachsen. In ihren frühen, mittleren, späten Zwanzigern schreiben sie noch mal den perfekten Soundtrack, aus dem die Träume und Ideale ihrer Jugend waren. In einer modernen Version verbinden Stella so was wie »Neue Elektronik« mit Songpop, gewaschen mit allen Diskurswässerchen der 90er.

 

ID, please

 

Smells like ›Perfume‹: das ist ein drummiges, leicht schnoddrig und doch plakatives Stück, an dessen Ende die 21jährige Sängerin Elena Lange den bekannten Calvin-Klein-Werbespruch ziemlich heftig kommentiert : »Be good. Be bad. Just be. But please be without me.« Auch ›ID, Please‹, ein eher gitarrenschmuckes Stück hat diese höflich-bestimmte Grundgereiztheit, die Stellas Sound prägt, und handelt davon, daß Elena sich nie mit Kinofilmen identifizieren konnte – weshalb sie den Spieß an der Kinokasse einfach umdreht, und nach dem Ausweis der Kassiererin verlangt: »I.D., please!«

Nicht alle Texte, die Elena Lange schreibt, sind autobiographisch und handeln von ihr.

Mit einem sehr lebensbejahenden, euphorischen Gestus, versteht sich.

So viel Gut-Drauf-Sein wie möglich finde ich gut. Im immerfreudvollen »Jetzt« zu leben ist ratsam, schon aus medizinischer Sicht, zum Beispiel bei niedrigem Blutdruck. Über das »Jetzt« gibt es übrigens ein gutes neues Musikbuch: In ›Punk In The Present Tense‹ schreibt die Rockjournalistin Gina Arnold, daß Punkrock heute ist, was Dinosaurier-Rock in den mittleren 70ern war. Von Musiken wie Queercore einmal abgesehen, vermißt sie bei den erfolgreichen Crossover-Bands die Gegenwärtigkeit. Sie seien, so Gina Arnold, nicht mehr willens noch fähig, »naive« Momentaufnahmen eines gesellschaftlichen Zustands herzustellen, was neben Spaß und Euphorie einmal die große Leistung von z.B. Punkrock gewesen ist.

Klar, Spaß ist natürlich auch ein Ausverkaufsprodukt der 90er Jahre. Ist das der Grund, weshalb sich seit einiger Zeit viele Texte in dieser Zeitschrift so lesen, als wollten sie gleich ohne Spaß auskommen? Hey – eine Riesenportion Extraspaß, please! Gib mir außerdem ein Leben, gib mir ein besonderes!

 

Gegenwärtigkeit

 

Stella sind nicht Electronica oder Punk, auch nicht Spaß oder Pop pur, aber sie stellen bereit, was das in besseren Momenten sein konnte – ein Ausdruck von Wollen, Wagen, Wissen, wie auch immer poetisch das sein mag.

»Ich find Analogien nicht verkehrt, zu Heaven 17 oder so«, sagt Thies.

Oder Pulp. Stella bestehen, um es mal in der Spexschen Mythen- und Blüten-Sprache zu sagen, aus: Pop-&-New-Wave-Künstlichkeit, Groove & Gitarren, Diskurs & Romantik, Studio-Versiertheit und Band-Dynamik und Anti-Spezialistentum. Aus Stadt, Stadt Stadt, aus Wir und Ich und Du und Hey Leute!, sie sind Ideenpop, Radiopop, Mädchenpop. Sie reden über Marxismus und Mikropolitik und Hey, Leute! und Feminismus und Fun und Do It! Lebensstil: Pop-Baukasten.

 

Pop

 

»Was verbindet Euch mit Pop?«

Thies: »Ich finde, das ist ein wichtiger Ansatz, der niemanden ausschließt. Mal sehn, was man damit in den 90ern machen kann.«

Mense: »Pop ist eine relativ bewegliche Form, und das, was ich hören möchte. Dabei beziehe ich mich nicht auf die 82er-Pop-Ideologie, das hat mich nicht beeinflußt, außer Dexy’s Midnight Runners. Viele Leute haben eine viel zu klare Vorstellung davon, was Pop ist: mindestens drei Refrains, Melodie. Das ist für mich nur ein Teil von Pop, nicht alles.«

Elena: »Pop ist heutzutage die reizvollste Art von Musik, in der man ein gesellschaftlich relevantes Statement unterbringen kann, das dann auch so gemeint ist. Wenn ich mir vorstelle, ich wär ’ne Punk-Band oder White-Funk-Band – einfach nicht so spannend. Für mich ist es viel interessanter, dieses Pop-Ding als Ausgeburt des Kapitalismus zusammenzubringen mit der Forderung nach einem Umsturz der Gesellschaft, wie sie ist.«

Mense und Thies: »Dieser Ansatz hat bisher aber noch nie richtig funktioniert!«

Elena: »Hat ja auch noch keiner versucht!«

 

Dialektik

 

»Manche Leute finden es blöd, wenn Stella sich in Interviews so oft streiten.«

Mense: »Die finden halt, daß man seine Front bilden, sein Zehn-Punkte-Programm durchziehen soll, sobald man nach außen tritt.«

Elena: »Ich glaube, andere Bands hätten sich zehnmal aufgelöst nach all dem, was wir schon gemacht, durchgemacht haben. Thies hat mindestens schon fünfmal von mir gehört: ›Gleich hau ich dir eine rein!‹ Und so wie Mense mich manchmal beschimpft – das würde ich niemand anderem durchgehen lassen!«

Man sieht, dieser Band ist nicht so schnell etwas peinlich.

»Wenn wir Fehler machen, lassen wir sie in der Musik stehen, weil wir Fehler schön finden«, sagt Mense.

This is an attitude, this is another one, this is a third, now form a Dialektik! So einfach kann Denken sein. Einfach sagen, was man denkt und in einen Dialog mit Einwänden treten. Das ist natürlich nichts Besonderes. Interessante Bands finden oft Wege, sich selbst zu unterrichten. Bei Stella kommt das aber nicht besserwisserisch oder betulich oder so bausparkassenintellektuellenmäßig rüber. Vielleicht, weil sie aus künstlerischen Impulsen heraus argumentieren.

 

Jungsgold und Mädchenromantika

 

Hier eine kleine Episode aus den Tagen, als ich oft Stella gehört habe. Es ist circa halb zwei an Silvester, ich stehe vor Hamburgs ›Golden Pudel Club‹, und drinnen haben schon TGV, Elenas melodiös-rockende All-Girl-Group angefangen. Ich komme mit einem aufgekratzten Besucher ins Gespräch, und wir reden über Mädchenbands und Feminismus.

Er findet Feminismus überflüssig, denn wenn ein Mensch echt emanzipiert wäre, hätte er’s wohl nicht mehr nötig, andere zu bekämpfen. Ein emanzipierter Mensch könne doch wohl für sich selber stehen. Und Mädchen, sagt er, liebt er sowieso.

»Find ich goldig«, sag ich, und »Frauen, die sich als Feministinnen bezeichnen sind aber deshalb noch nicht unemanzipiert oder im Dauerkampf, sie akzeptieren halt schlicht die gesellschaftliche Ungleichheit der Geschlechter nicht.« Er winkt ab, über Politik reden, jetzt morgens um halb zwei, noch dazu mit einer Frau, findet er langweilig.

Da geh ich mir das Konzert ansehen. Elena im langen schwarzen Abendkleid sagt auf der Bühne gerade: »Laßt eure Gefühle raus«, worauf das Publikum eher ablehnend reagiert, und sie vielleicht deshalb noch hinzufügt: »Wenn Ihr noch einen Verstand habt!«

 

(Kerstin, SPEX, 1998)