Mein Tag als Britney-Spears-Double

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Die Welt der disziplinierten Cheerleader

 

Als Britney Spears vor rund zwei Jahren in einer katholischen Schuluniform die Charts enterte – ein blondes Kunstgeschöpf, gemacht, um das natürliche Mädchen von nebenan zu mimen und uns alle glücklich zu machen –, wirkte sie wie die Vorbotin einer neuen Zeit.

Man war/ist noch die Girl-Stars des vergangenen Jahrzehnts gewohnt. Von Madonna bis zu den Spice Girls, von Hole bis zu Lil’ Kim: sie alle richteten sich mit einer spielerischen Mischung aus Spaß und Sarkasmus in ihrer Geschlechterrolle ein. Nicht so Britney: sie will nicht subversiv-entlarvend sein, sondern seriös-echt. Und sie mimt die Jungfrau, die versucht, sexy zu wirken, nicht die “Schlampe”, die gerne für eine Nacht wieder ein Engel wäre.

Und zwischen Jungfrau und Hure oszillieren bekanntlich alle Rollen, die das Pop-Patriarchat für Frauen bereitstellt. Darüber hinaus rückt Britney, ganz der kokette Teenager, ständig irgend etwas zurecht – nicht ihren beständigen In-Look allerdings, der sitzt fest, sondern ihr Image. Glaubt man Britney, so handelt ›Lucky‹, das theatralischste Stück Bubble-Gum des Jahres – ein Lied wie eine ganze Folge Seifenoper –, gar nicht von ihr, sondern von einem einsamen Hollywood-Star. Und nein, also »Hit Me Baby, One More Time« – das hat doch nichts mit Sex zu tun! Auch die sexy Outfits nicht. Und dann die Sache mit den Brüsten, die nicht schönheitsvergrößert, sondern von selbst gewachsen sind, angeblich; aber lassen wir das. Es ist schließlich verdammt unzivilisiert, jungen Frauen unablässig auf Brustwarzen und Waden zu schielen.

 

Oops!

 

Blenden wir uns also lieber wieder in Britneys »Girl Next Door«-Posing ein. Der Alltag eines Pop-Superstars – er unterscheidet sich, laut Britney, nicht von dem eines ganz normalen Mädchens. Auch ich, sagt die kleine Lady und lächelt süß, brauche morgens nur eine halbe Stunde im Bad. Das ist erfrischend! Und hat wie alles an Britney zwei Seiten: eine augenscheinliche und eine alberne. Aber auch das ist Pop, wenn auch keinesfalls unschuldig oder naiv wie eine Jungfrau. Und überhaupt kommt Britney Spears einfach ein bißchen humorlos rüber. Wobei es in dieser Welt, die sie repräsentiert, in dieser Welt der disziplinierten Cheerleader, wohl auch nicht viel zu lachen gibt. Wer will schon den ganzen Tag Knäckebrot essen und sich Muskeln antrainieren, die er dann gar nicht benutzen darf im wirklichen Leben? Oder sehe ich das zu verbissen? Cheerleader-Girls bestreiten endlich das Hauptprogramm – und alle Mädchen wollen ein bißchen so ausschauen wie Britney. Mehr als 2000 Zuschriften hat die Bravo erhalten, als sie kürzlich einen Britney-Spears-Doppelgänger-Wettbewerb ausrief. Das silberne Space-Outfit, der Casual Look mit bauchfreiem Top oder Rot im Stil des ›Oops! … I Did It Again‹-Videos – wer sich dieser Tage wie sein Lieblingsstar stylen will, der muß nicht mehr durch unzählige Boutiquen geistern, die Outfits ungefähr zusammenstellen, sich vielleicht lächerlich machen, wie in den 80er Jahren. Heute geht das Popstar-Spielen per Mouseklick. Und weil das so ist, braucht sich, nebenbei bemerkt, auch kein Mensch mehr darüber zu wundern, daß sich »Style« als Ausdrucksmittel abgenutzt hat. Es sind die Körper, die die Hürden nehmen müssen und die kommunizieren. Es geht nicht darum, Britneys bauchnabelfreies Top aufzutreiben, man muß vielmehr dafür sorgen, daß einem dieser sogenannte »Casual Look« auch steht.

Für Britney Spears ist das natürlich praktisch. Sie braucht nicht mehr Teil einer Girl-Group zu sein, sie hat Doubles, Girl-Armys all over the world. Aber Britney gibt es ja auch gar nicht wirklich. Sie ist ja nur ein Kunstprodukt, ein Märchenfee-Pokémon vielleicht. Vom Cheerleader-Universum kommt sie, uns zu zeigen, wie die Welt da draußen ist. Unterstützt von Produktmanagern, die, wohl auch per Mouse-Click und Meinungsforschung, herausgefunden haben, daß junge Mädchen zwischen acht und fünfzehn sich mit so etwas – mit genau so etwas wie Britney – identifizieren wollen. Damit sie auch morgen noch kraftvoll in ihren kalorienarmen Apfel beißen können.

Auch Britneys Songs überlassen nichts dem Zufall. ›Dear Diary‹, ein Stück, an dem sie mitgeschrieben hat, klingt so, als habe die 18jährige Teen-Queen tatsächlich im Tagebuch eines ihrer Fans geblättert: »Dear diary – today I saw a boy and I wondered if he noticed me. It took my breath away.« Und das hat etwas Rührendes – wie es überhaupt schön ist, den Habitus eines Highschool-Girls so eins zu eins auf einer CD zu finden, including Gekichere und hochbestürzte Telefonate mit der besten Freundin. Dieses sehr Euphorische, das man so toll findet an Teenager-Girls, schwingt mit in Britneys Songs. Aber auch das Schweigen. Denn manchmal singt sie statusgemäß so atemlos, als habe es ihr die Stimme verschlagen.

 

Where`s the Party?

 

Ausgestattet mit einer pfadfindergenauen Wegbeschreibung, stolpere ich durch ein sonniges Bremen, vorbei am Hintereingang eines Parkhauses, immer auf der Suche nach der VIP-Lounge. Where’s The Party? Ich erwarte die absolute Hysterie, die ersten Ohnmächtigen schon um vier Uhr nachmittags, 4000 Britney-Doubles, und mittendrin ich, die kritische Berichterstatterin, mit einer weißen Fell-Jacke vom Flohmarkt – aus dem H&M-Sortiment von vor fünf Jahren.

Die Straße vor der Stadthalle ist abgesperrt und vollgepackt mit Fans. Sie wirken sehr gesittet und ruhig. Fast wie Erwachsene harren sie der Dinge, die da kommen. An der Rückwand des Gebäudes angekommen, schubsen und drängeln sich immerhin ein paar nimmermüde Mädchen vor einem kleinen Fenster. »Da ist eine Blonde drin!« – »Das ist sie nicht.« – »Irgendwo muß sie doch sein!« Sie sind nicht älter als 15. Sie sehen so alltagsgestylt aus, so dezent-sexy, als würden sie gerade aus der Schule kommen. Überhaupt nicht wie Doubles. Das ist sicherlich ein Zeichen für die Vernunft, aber ich bin enttäuscht: Leute, ich dachte, wir wären hier bei Britney Spears! Jetzt sollen die Mädchen »Britney Spears ist geil!« ins Mikro eines Radioreporters rufen. Vergnügt schreien sie los. »Sind die alle lesbisch?« argwöhnt ein pubertierender Junge, kopfschüttelnd. Es ist eben doch ein ungewohnter Anblick, wenn junge Mädchen für eine Geschlechtsgenossin, und nicht etwa für eine Boygroup, schwärmen. Ein paar Meter weiter singen meist weibliche Fans hingebungsvoll »She’s so lucky, she’s a star, but she cry, cry, cries in her lonely heart« in die Kamera eines Fernseh-Reporters und ahmen dabei Britneys geschmeidig-roboterhafte Tanzeinlagen nach. Den Text von ›Lucky‹ können alle auswendig, es scheint sowieso das Lieblingslied der Fans zu sein. »Weil es davon handelt, wie glücklich Britney über ihren Erfolg ist«, erklärt mir die elfjährige Natalie. Natalie trägt Kajal und Lippenstift. Ich bin jetzt doch beeindruckt. In diesem Alter mußte ich mich noch heimlich im Gartenhaus schminken. »Weil es ein Lied über ein trauriges Mädchen ist, das mit dem Ruhm nicht zurechtkommt«, behauptet hingegen Katrin, zehn, Wimperntusche auf den Augenlidern. Vielleicht wird das in Zukunft immer so sein, vielleicht ist das jetzt schon die Zukunft: Willkommen in der Welt des Kindermarketings. Nur Babys und Kleinkinder bis fünf sind noch nicht zugelassen zum segensreichen Paradies der weiblichen Selbstverschönerung.

Ich ermahne mich zu innerer Ruhe. Erstens bin ich kein Fan, und zweitens habe ich einen Backstage-Ausweis. Merkwürdig nur, daß ich so aufgeregt bin. Soll ich Britney fragen, warum sie sich von ›Lucky‹ distanziert? Wer ihre Lieblingssänger sind? Ob sie tatsächlich noch einen Bezug zum Alltag ihrer Fans hat? Oben glänzt silbern der Cafeteria-ähnliche VIP-Raum, unzählige Kellner bereiten ein Buffet vor – ansonsten weit und breit niemand zu sehen. Hallo! Bin ich hier der einzige Mensch, der Britney treffen will? Ein Anzugsmann des Britney-Sponsors Motorola klärt mich auf: Es hat gerade eine Pressekonferenz gegeben – ach, so –, und sie haben es irgendwie verbummelt, mir dazu eine Einladung zu schicken. Ich gebe mich stark und frage den Anzugstypen nach der Pressekonferenz aus. Britney Spears hat sich als Fan von Madonna geoutet – interessant. Ich dachte immer, sie sei der personifizierte Impfstoff gegen Madonna. Kann ich Britney jetzt noch etwas fragen, will ich von dem Anzugtypen wissen. Es ist mir egal, was er von mir denkt. »Das geht nicht mehr, die ist schon in der Maske.«

Das war’s dann wohl. Ich setze mich auf die Treppe vor den leeren VIP-Raum und leide stumm vor mich hin. Ich hasse meine Pfauenjacke. Warum ist es mir plötzlich so wichtig, Britney zu treffen? Die Sache hat eine verdammte Eigendynamik entwickelt! Ich muß schleunigst wieder normal werden. Ich muß einsehen, daß Britney Spears so unerreichbar ist wie E.T. Ach was, unerreichbarer. Den durfte immerhin Drew Barrymore küssen.

Ein Dutzend geschäftiger Anzugmänner läuft an mir vorbei in den VIP-Raum, ich hinterher. Das Buffet ist eröffnet! Ich spüre komisch-prüfende Blicke auf mir. Sehe ich nicht seriös genug aus? Oder bin ich schon paranoid geworden? Ich beschließe, die Blicke einfach zu ignorieren, ich beschließe, ganz viel zu trinken und noch mehr zu essen, ich beschließe, endlich meinen Spaß zu haben an diesem mittlerweile trostlosen Abend. Es ist doch an jedem Ort der Welt dieselbe Qual mit den Spießern. Demonstrativ setze ich mich zu vier wichtigwichtig Anzügen an den Tisch. Einer sagt: »Man muß nur selbstbewußt sein.« Alle lachen zustimmend. Meinen die etwa mich?

Ich versuche etwas zu sagen, aber die Atmosphäre hier ist so distanziert und kalt wie in einem silbernen Spaceshuttle. Ich bin gerade damit beschäftigt, eine Möhre mit einer Gabel aufzuspießen, als eine Pressedame zu uns tritt: »In etwa fünf Minuten wird Britney Spears sich in unserem Bereich bewegen«, höre ich sie verlautbaren. »Sie können dann etwas sagen und sich mit ihr zu einem Foto zusammenfinden.«

Oh my god, BRITNEY SPEARS – sie wird hier landen! »It takes my breath away«. Die Besatzung unseres kleinen VIP-Raumschiffes tut ganz gelangweilt, nur mir ist zumute wie einem Highschool-Girl, kurz davor, seinem großen Schwarm gegenüberzutreten – und da schwebt sie auch schon herein. Zierlich, blond, lächelnd, bekannt aus Funk und Fernsehen, Britney zweifelsohne, einen Madonna-Cowboyhut auf dem Kopf. »Hi to everybody!« kiekst eine euphorische Stimme. »I wonder if she notices me.« Ich will gerade etwas sagen, irgend etwas, da ruft die Frau von der Presseagentur: »Und jetzt machen wir die Fotos.« Ich stürze sofort nach vorne, plötzlich steht Britney neben mir, unsere Schultern berühren sich. »Hi Britney!« – ›Hi!‹ Ein kurzer Blick in große strahlende Augen. Dann klatscht sie in die Hände. »Okay, say cheese.« Der Fotograf drückt ab. Ich stehe in meiner möchtegern-glamourösen H&M-Jacke, die ich für sieben Mark auf dem Flohmarkt gekauft habe, neben einem blonden Teenager-Girl, das die erfolgreichste Pop-Sängerin des 21. Jahrhunderts ist, um uns herum lauter große Männer in dunklen Anzügen!

Plötzlich bin ich glücklich.

Der Fotograf macht noch ein zweites Foto. Jetzt verabschiedet sich Britney: »It was nice to meet you!« Erleichtert sinke ich auf einen Stuhl. Nett war sie, so vital. Und womöglich macht das ja einen echten vitalen Gespenster-Superstar aus: daß man sich weiter von ihm entfernt fühlt, je näher man an ihn herankommt.

Und vielleicht, denke ich, während ich Britney später im Konzert beobachte, wie sie diese abgehackten Tanzeinlagen bringt, kurz innehält, dann weitertanzt – als müsse, wer schön sein will, stillstehen und tanzen zugleich –, vielleicht ist sie wirklich das »All-American-Girl-Next-Door«, das den Traum verwirklicht hat, den großen. Und nebenbei den Artikulationsverlust ihrer jugendlichen Fans zum Ausdruck bringt. Eine Art 21st-Century-Michael-Jackson.

Da spricht mich plötzlich einer der Anzugsmänner aus dem Backstage-Bereich an. »Auf der Pressekonferenz«, sagt er verschwörerisch, als sei mir jemand diese Antwort schuldig geblieben, »trug Britney dieselbe Jacke wie du. Und eigentlich auch genau so eine Hose.«

Mir wird schwindlig, jetzt verstehe ich die irritierenden Blicke von vorhin. Ich, die kritische Reporterin mit der billigen Fell-Jacke, ich war das Britney-Spears-Double des Tages.

 

(Kerstin, INTRO, 2000)