Eleganz und Existenz im modernen R ’n’ B

The Beauty And The Beat

 

Pop-Charmeur Robbie Williams hat den Trend wie immer als erstes aufgespürt: »When there’s no love in town, this new century keeps bringing you down« verkündete er in seinem Hit ›A Love Surpreme‹. Und es sieht tatsächlich so aus, als würde die Popmusik des neuen Jahrtausends ohne Liebe nun wirklich nicht mehr auskommen! Denn längst ist sehnsuchtstüchtiger Soul-Gesang in Verbindung mit HipHop-Beats, kurz »R ’n’ B« genannt (übrigens die dritte Musikrichtung seit den 50er Jahren, die sich so nennt) zur Grundrechenart der Popmusik geworden, und hat hierzulande Techno als Bindemittel vieler Chartssongs abgelöst.

Aber ob Neo-Soul, Gospel-Pop, Radio- R ’n’ B oder gar anonymes Dancefloor-Projekt: Die Musik entwirft, genau wie Techno im vergangenen Jahrzehnt, immer neue blühende Bilder davon, wie junge Frauen und ihre großen Jungs heutzutage auszusehen haben. Das Ideal von Techno war das kindlich-euphorische, mager-schüchterne, das blicklichte »Sexy Girl«. Im R ’n’ B ist Frausein angesagt – und damit verbunden Eleganz, erfolgreiche Körper und echter Sex. Trotzdem – oder gerade deshalb – sind die am meisten angesehenen neuen R ’n’ B-Meisterinnen noch selber im jugendlichen Alter. Ihrer neoliberal- durchgeschüttelten Zielgruppe legen sie schlüssig dar, warum es sich lohnt, schon mit 15 ein eigenes Einkommen und sexuelle Skills zu haben.

Und die Vorbilder-Produktion wird ständig erneuert, mit Ashanti, deren neue Hit-CD gerade erschienen ist, hat der Kult um die noch jüngere, noch schönere Soul-Sängerin eine neue Superheldin. Aber auch Newcomerin Tweet, die sich mit dreißig schon am wohlsten in einer Tina-Turner-ähnlichen »mißbrauchte-Lady-startet-neu-Biographie« fühlt und ihr Debüt feiert wie ein Comeback, kann sich des allgemeinen Trends noch bedienen. Denn auch Tweets Imagestrategien und ihr Einsatz von Körper als Status- und Sex-Symbol sind ganz State of the Art, und erstaunen weder die ludergewohnte Öffentlichkeit noch die Expertenrunden. Der Gegenwarts-R ’n’ B scheut keine – gefälligen – sexuellen Tabus mehr.

Das war in den späten 90er Jahren noch anders, als Smooth-Rapperinnen wie Lil’ Kim, Da Brat oder Foxy Brown die HipHop-existentielle Forderung nach »Respect« einfach sausen ließen, und sich lieber als Diva-Huren inszenierten. Sie begründeten es damit, daß es für sie ohnehin kein Außerhalb des HipHop-Diskurses gäbe. Indem sie die Zuschreibung »Hure– auf sich anwendeten, meinten sie, sich auch der Rolle des Zuhälters annähern zu können. Denn bis dahin hatte sich Musik von weiblichen Rappern nie besonders gut verkauft, es sei denn als poppiges Pfefferhäuschen im Stile Salt ’n’ Pepas.

Die renommierte Cultural-Studies-Journalistin Joan Morgan (Village Voice, Spin, Interview) behauptet dagegen, der Erfolg der neuen Diva-Huren zeige, wie viel man die jüngeren Schwestern noch über Sex, Feminismus und Macht lehren müsse. Ihrer Ansicht nach sollten Mädchen nicht einfach dasselbe machen wie Jungs, sondern durch richtige Entscheidungen mehr Macht über die eigenen Möglichkeiten erlangen.

Jetzt haben sich die jüngeren Schwestern ein weiteres Mal selbständig gemacht, und die Generation nach Lil’ Kim & Co erlangt auf ihre Weise mehr Macht über die eigenen Möglichkeiten. Und das heißt mittlerweile vor allem: Credits für die musikalischen Leistungen. Ganz selbstverständlich wird die 19jährige Ashanti, die sich freizügig auf den Innersleeve-Fotos ihrer gleichnamigen CD räkelt, als Songwriterin aller zwölf Stücke aufgeführt. Und wenn die Tochter einer Show-Mama in Interviews darüber philosophiert, was sie eigentlich mit ihren Gesangslinien bezweckt, dann ist das fast verblüffender als die Musik selber – diese handelsübliche Mischung aus samtweichem R ’n’ B und rauhen HipHop-Beats, die sie direkt auf Platz 1 der amerikanischen Billboard-Charts katapultierten.

Ähnliches gilt auch für Tweets straßenrauhen Longplayer ›Southern Hummingbird‹. Obwohl Wunderproduzent Timbaland und die Grand Dame of R ’n’ B, Missy Elliot, sie produziert haben, wird auch Tweet als Songwriterin – die nebenbei sogar sehr gut Gitarre spielt – beworben. Mehr noch als Ashantis ist Tweets Image auf Talent und Schicksal aufgebaut: Darauf, daß die Tochter zweier Gospelmusiker sich schon umbringen wollte wegen Mißerfolgs – und nur von Missy Elliot noch gerettet werden konnte, die einen Tag vor der geplanten Überdosis angerufen und ein gemeinsames Projekt vorgeschlagen haben soll. Womit Tweet nicht nur den allseits beglaubigten Mythos des »Durch-Die-Hölle-Gegangen-Seins« bedient, sondern auch den des gemarterten Genies, der die immer noch dezent vorhandene Huren-Zuschreibung für die Rapperin elegant sublimiert.

Ein Kult um Besonderheit hat spätestens seit dem tragischen Tod der hochbegabten Aaliyah wieder Hochkonjunktur. Ausdrücklich weist Förderin und Entdeckerin Missy Elliot im ›Southern Hummingbird‹-Anfangstrack auf die Einzigartigkeit von Tweet hin.

In Zeiten, in denen die Musikindustrie selbst in einer unvergleichlichen Krise steckt, erhöht es die Glaubwürdigkeit des Produkts, wenn die Vorzeigefiguren mehr als nur Vorzeige-Figuren sind. Diese Formel gilt mittlerweile auch für etablierte Pop-Größen wie Destiny’s Child, Britney Spears oder No Angels, die sich wie Rock-Stars aufführen, seit sie sich auf ihren letzten LPs selber was ausgedacht haben. Nun werfen sie gezielt mit rockigen Codes um sich, und benutzen Songs wie Internet-Diaries, die den Weg in ihre Seele weisen. Destiny’s Child & Co lassen sich kaum mehr als bloße Glamour-Puppen wahrnehmen. Was, by the way, schon immer eine rockistische Frechheit war. Denn warum sollte es auch so viel schwieriger sein, ein Lied zu schreiben, als täglich im Fitness-Studio zu trainieren und dabei auch noch zu hungern? (Vom Singen-Können ganz zu schweigen) Die neuen authentischen Kunstgeschöpfe sind beinahe wie Schauspielerinnen, die sich in ihre Rollen mit einbringen können. Und auch der Produktionsaufwand und die Detail-Verliebtheit von erfolgreichem Pop, erinnert immer mehr an Film als an Musik-Produktionen. Nach dem Besuch eines Destiny’s-Child-Konzerts, können einem Madonnas Rollenspiele jedenfalls leicht anachronistisch vorkommen. Denn Rollen spielen jetzt sowieso alle, wenn sie dabei auch wenig Madonna-like die Widersprüche zum Sprechen, eher schon zum Schweigen bringen.

Tweet zum Beispiel: Sie spielt die Betrogene und selbstbestimmte Frau – die aber trotzdem sowas von sexy ist. Anspieltipp: ›Motel‹, wo sie sich dafür rächt, daß ihr Mann fremdgegangen ist. Tweets Video zum sexiesten Hit dieses Frühsommers ›Oops (Oh My)‹ kommt allerdings ganz ohne Sehnsuchtsobjekt aus. Man sieht lediglich die ekstatisch tanzende Sängerin, wie sie sich ihrer Kleider entledigt. Dabei versucht das Video einen unvoyeuristischen Blick auf den weiblichen Körper zu werfen. Im Gegensatz zu Ashantis derzeitiger Erfolgsnummer ›What’s Luv?‹, ein Duett mit dem Rap-Kollegen Fat Joe, das alle Register traditioneller Geschlechtermarkierung zieht. Und Fat Joe gibt zu verstehen, daß Liebe natürlich bedeutet, daß er ihr Don ist!

»Was ist Liebe?« Diese Frage beschäftigt auch die Wissenschaftlerin Gwendolyn Pough. Die Expertin für HipHop-Soul-Divas, die an der Universität von Minnesota Women’s Studies unterrichtet, beschreibt R ’n’ B-Sängerinnen als weibliche Antwort auf männliche Rapper. In ihren Studien versucht sie beide Seiten darzulegen, und konfrontiert die Aussagen der weiblichen mit der Selbstwahrnehmung der männlichen Rapper. Mit diesem Forschungs-Projekt schlägt sie eine andere Richtung ein als traditionelle Kritikerinnen wie Joan Morgan, und stellt auch den handelsüblichen Diskurs über Sexismus im HipHop in Frage. Denn statt über Frauenfeindlichkeit doziert sie lieber über Seelenverwandtschaft, und betont, daß Afroamerikaner nun mal in einem ständigen, extremen Dialog miteinander stehen.

Eine romantische Perspektive also, die vielleicht am besten zu einer Musik paßt, die so viel von Begehren, von Leidenschaft und Existenz handelt. Und so ist das schmutzige ›What’s Luv‹ von Fat Joe feat. Ashanti, vom aufbegehrenden ›What’s Love Gotta Do With It?‹ einer Tina Turner gar nicht so weit entfernt. Und die wußte als Teil des Gesangsduos Ike & Tina Turner ja schon in den 60ern, daß sich Seelenverwandtschaft und Frauenfeindlichkeit nicht unbedingt ausschließen.

(Kerstin, Frankfurter Rundschau, 2002)