Madonna und ihr Anti-Kriegs-Video

Protest ist kein Kinderspiel

 

Gegen den Krieg sind ja derzeit alle Popstars: vom Retropsychedeliker Lenny Kravitz, der seinen Antikriegssong zusammen mit einem irakischen Songwriter geschrieben hat, über Teenie-Idol Jasmin Wagner (Blümchen), die ihre friedvolle Botschaft auf dem wohlgeformten Po spazieren trägt, bis hin zum quietschaffirmativen Musikkanal VIVA – seit Beginn der Irak-Offensive geht er nur noch mit Peace-Logo auf Sender. Kürzlich kündigte sogar Hedonist Robbie Williams an, daß er jetzt auch einen Song gegen den Krieg schreiben wolle. Protest scheint ein Kinderspiel zu sein in diesen Tagen.

Um so erstaunlicher die Nachricht, daß ausgerechnet Pop-Provokateurin Madonna das lang erwartete Video zur neuen Single ›American Life‹ zurückziehen ließ – denn die Pop-Diva fürchtet, mißverstanden zu werden. Nur einen Tag lief das heiße Ding auf europäischen Kanälen. Wer das Glück hatte, rechtzeitig zuzuschalten, sah eine dunkelhaarige Madonna in Kampfuniform – als blonde Demonstrantin wird man wohl nicht ernst genug genommen.

 

Echte Fettpolster

 

Die Pop-Queen führt darin Krieg auf dem Laufsteg vor. Oder vielleicht geht es ihr auch nur darum, Kriege zu verhindern – so genau kann man das nicht erkennen –; das Ganze wurde jedenfalls konterkariert mit Bildern von echtem Krieg und echten Bomben. Dazwischen viel echte Fettpolster von nicht ganz wohlproportionierten Frauenkörpern – die Soldatinnen in Madonnas ›American Life‹-Video scheinen ihren kräftigen Körperbau mächtig zu genießen, eine Zeit lang hatte man beim Zusehen sogar den Eindruck, daß der Körper ihre eigentliche Waffe sei, um die pikierte Zuschauerschaft einer schicken Modenschau in den Wahnsinn zu treiben. Am Ende des Videos wirft Madonna dann eine Granate in Richtung eines Mannes, der aussieht wie George Bush. Er fängt sie auf, die Granate entpuppt sich als Feuerzeug, grinsend zündet der Bush-Doppelgänger sich damit eine Zigarette an. So weit, so verwirrend.

Denn auf eine eindeutige inhaltliche Aussage wird verzichtet. Madonnas ›American Life‹-Video ist vor allem kraß, aggressiv, gewalttätig. So ganz scheint das Krawallfilmchen wirklich nicht in den friedvollen Pop-Konsens zu passen. Die Pop-Ikone scheint das gespürt zu haben, denn sie hat den Clip zurückgezogen, um die Gefühle der amerikanischen Soldaten nicht zu verletzen, und wegen der Doppelbödigkeit des Clips, die angeblich nicht verstanden würde. Sie habe damit nicht gegen den Irak-Krieg, sondern gegen Kriege im Allgemeinen und das amerikanische Wertesystem im Besonderen protestieren wollen. Und auch im Beipackzettel zu ihrem neuen Studioalbum ›American Life‹ klingen kritische Töne an. »Amerikaner sind von allem besessen, was dünn und schön ist, und stellen sich dabei möglichst stark und übermächtig dar. Das gilt sowohl für den Einzelnen als auch für die Nation als Ganzes.« Das selbsternannte Material Girl steht plötzlich auf Kriegsfuß mit einem Land, in dem es nur um »Reichtum und Schönheit geht und keiner in Bildung und Gesundheitsfürsorge investiert.«

›American Life‹ ist dabei wieder so gut und eigenständig, daß man dahinter das Ergebnis einer inneren, persönlichen Wandlung vermuten darf. Feine, lebenskluge Texte zu von Mirwais produzierten Tracks. Die mittlerweile 44jährige Madonna drückt sich nicht vor selbstkritischen Aussagen, liebt es aber auch, die Schönheit des Daseins zu rühmen. Und es ist bewundernswert, daß für sie noch so viele Fragen offen sind. »No-one’s telling you how to live your life«, singt sie fast anklagend in einer brillanten Ballade. Denn obwohl sie in ihren Videos schon diverse Frauenrollen durchgespielt hat, erkundet Madonna mal wieder vornehmlich die eigene Identität. Sie singt davon, daß sie ihr Leben auf die Reihe kriegen will, und scheut sich auch nicht vor einem traurigen Stück über ihre ziemlich mutterlose Kindheit.

Musikalisch macht ›American Life‹ da weiter, wo sie mit dem Vorgänger ›Music‹ aufhörte: bei europäischer Elektronik, gepaart diesmal mit viel Gitarre. Das hat etwas Rührendes. Die Gitarre sei ihr aktuelles Lieblingsinstrument, erzählt Madonna in Interviews, und das paßt ja zu ihrer derzeitigen Protesthaltung. Es dürfte sie einige Nerven gekostet haben, nicht auf den R ’n’ B-Zug aufzuspringen, denn das Zeugs verkauft sich doch so gut. Da kommt Madonnas Wiederentdeckung des klassischen Songwritings beinahe altmodisch daher. Und es ist durchaus angenehm, daß die Mutter aller Pop-Girls damit schon wieder ein Album auf den Markt wirft, das zwar sehr eingängig und kommerziell, aber doch anders als alles klingt, was man im Moment von ihren Kolleginnen kennt.

 

Kritik Light

 

Und wenn sogar Madonna den amerikanischen Lebensstil satt hat – wer dann nicht? Madonna ist schließlich eine Marke, die für die USA steht wie Coca-Cola, McDonald’s und Starbucks. Und man könnte auch schlußfolgern, daß es sich bei ihrem dezenten Antiamerikanismus um eine gewiefte Imagekampagne handelt, die dem Ziel folgt, Madonna markttauglich und frisch zu halten. Madonna, eine seichte Provokateurin, die sich, wenn’s sein muß, sogar selbst zensiert?

Aber dann hört man wieder diese warme, lebenskluge Stimme, die tollen Songs und kommt nicht umhin, die Pop-Künstlerin auch für ihre Ängstlichkeit und Vorsicht zu mögen. Denn immerhin hat der Rückzieher des ›American Life‹-Videos mal wieder die Grenzen von Pop und Politik verdeutlicht. Ernsthafter Protest scheint doch kein Kinderspiel zu sein. Madonna und ihrer Crew scheint das die ganze Zeit klar gewesen zu sein. Warum sonst kommt der Refrain der umstrittenen Hit-Single so zahm daher? »I live the American dream, you are the best thing I’ve seen, you are not just a dream«, schwärmt Madonna. Die Kritik am amerikanischen Traum hat sie geschickt in die Strophen gepackt. Auch Patrioten sollen das Album schließlich kaufen. Und auch die Protest generierende Gitarre schafft es nicht bis in den Refrain. Ach, Madonna.

 

(Kerstin, INTRO, 2003)