Courtney Love / Melissa auf der Maur

Never gonna be the same

Courtney Love ist ein streitbarer Charakter. Aber was wäre die Rockgeschichte ohne ihre Aufsehen erregenden, schillernden Persönlichkeiten langweilig.

 

Und so kämpft die ehemalige Hole-Frontfrau und Schauspielerin (u. a. ›Larry Flint‹, ›Sid And Nancy‹, ›Trapped‹) weiter für die Ambivalenz in ihrem Erscheinungsbild. Das Solo-Debüt, ›America’s Sweetheart‹, das sie uns auf diesem Weg um die Ohren haut, sollte jegliche Diskussion überflüssig machen.

Melissa auf der Maur war 22, lebte in Kanada und entwickelte gerade eigene Visionen für ihre Band Tinker. Da kam 1994, völlig unerwartet, das Angebot, Bass bei Hole zu spielen. Billy Corgan von den Smashing Pumpkins hatte sie empfohlen. Melissa hätte lieber weiter an ihrem eigenen Material gearbeitet, sagt sie heute, spielte dann aber doch fünf Jahre bei Hole und hängte noch eins bei den Smashing Pumpkins dran. Und hat jetzt, nach all den Jahren, doch noch vollbracht, wovon sie die ganze Zeit geträumt hat: ein eigenes Album. ›Auf Der Maur‹ ist es konsequenterweise betitelt – und tritt amüsanterweise gegen das Love’sche Opus an.

 

Love. Like In The Sixties

 

Wow! Mit einem angriffsfreudigen »Hi!« geht Courtney Loves erste Solo-Single ›Mono‹ sofort gut los. Kämpferisch und melancholisch zugleich – wie es schon immer ihre Spezialität war – singt sie sich durch ein strahlendes Leuchtfeuergewitter von Song: einen melodischen Rocker mit Rock’n’Roll-Appeal und atemlosen Lyrics. Der Song kriegt dich, mich und jeden! Er könnte die Welt bezwingen, weil er mit ihren Dämonen gekämpft hat. ›Mono‹ ist ein Fight-Back-Song. Und, wie üblich, gibt sich Love nicht mit nur einer Textebene ab, sondern bezieht sich selbst ein in ihr »Tribute« an die »New Rock Revolution« der The-Bands, die sie so liebt: »Is this the part of the book that you wrote where I gotta come save the day? / Did you miss me?«

›Mono‹ heißt nicht ohne Grund so. Der Titel passt zu einem Album, das den Anspruch hat, 60s-Garage-Music auf moderne Art zu reinterpretieren. »60s-Garage ist mein Lieblings-Genre, und ich möchte etwas von seiner Energie zurückbringen«, erzählte sie neulich dem NME. MC5, Zombies, Led Zeppelin, aber auch Moby sind Namen, die die einstige Sängerin von Hole ins Spiel bringt, wenn es um ihre Einflüsse geht.

Da die Plattenfirmen heutzutage ja die CDs nicht mehr rechtzeitig versenden – schon gar nicht an irgendwelche freien Schreiber –, bedurfte es eines Zufalls, dass ich in den Genuss von ›America’s Sweetheart‹ kam. Während eines Telefonats mit der Intro-Redaktion lief zufällig megalaut die watermarked CD im Hintergrund. Und da es ein langes Telefonat war, konnte ich sie auf diese Art zweimal durchhören. Und war sprachlos! Das Album wirkt so frisch und klar, als hätte Love nie was anderes gemacht, als die Musik aus ihrer Kindheit zu reinterpretieren. Es ist eine überbordende, atemlose, lustvolle Energie, die auf einen zukommt. Zum einen gibt es klassischen Rock’n’Roll-Rock mit Heavy-Riffs, die dich, authentisch treibend, weghauen – und dabei doch immer auch wie ein (augenzwinkerndes) Zitat auf Rock klingen. So, als könnte man diese Art von Hardrock heutzutage gar nicht mehr bringen, ohne die Mittel und Wege, die er zurückgelegt hat, zu reflektieren. Sehr weise. Und dann sind da, zum andern, die zarteren, balladeskeren Songs, die auch rocken, aber eben anders. Songs, die eine flackernde Leere und eine sehnsüchtige Kraft miteinander verweben – und zwar auf geradezu epische, fast andächtige Weise.

Luftige, große Songs über universelle Gefühle von Einsamkeit, Verlorenheit, Verlangen. Dazu passt das 60s-Genre perfekt. An vielen Stellen minimalistisch, sind die Instrumente mehr voneinander abgesetzt, spielt hier mal eine prägnante Gitarre eine schöne Melodie hinein, singt Love da mal nur zur Orgelbegleitung. Es wird deutlich: ›America’s Sweetheart‹ ist eben eine Solo- und keine Bandplatte. Und verfügt dennoch über einen nie abreißenden Energiestrom. Was nicht zuletzt auch am Gesang liegt, der immer absolut präsent ist, immer rockt, sie alle wegrockt, die Pinks und Christinas. Ich liebe Pink – aber ›America’s Sweetheart‹ hat mich erlöst! Weil es zeigt, dass man eben doch nicht einfach Rock, R’n’B und Pop zu Punk & Rebellion zusammenmischen kann, ohne dass es weh tut.

 

Linda Perry, die bekanntlich mit Pink und Aguilera arbeitete, hat ›America’s Sweetheart‹ produziert und mitgeschrieben. Perry ist ja mittlerweile ein Garant für klug komponierte Pop-Songs mit subversivem Gehalt. »Es war ein Vergnügen, mit Linda zu arbeiten. Sie ist in vielem besser als ich, und ich bin in vielem besser als sie. Linda and my writing is just old-fashioned John & Paul co-writing.« Mit im Produzententeam waren noch Josh Abraham, der für Staind arbeitete, und Matt Serletic (Aerosmith). Gastmusiker sind u. a. Wayne Kramer (MC5), Kim Deal (Breeders) und Samantha Maloney (Hole, Mötley Crüe). Bei all den unterschiedlichen Einflüssen ist es trotzdem hörbar eine Courtney-Platte: Es sind ihre typischen sehnsüchtigen Melodien. Aber durch Rückbesinnung auf die musikalischen Wurzeln ist ihr eine ziemlich zeitgemäße Rockplatte gelungen. Oder, mehr noch: eine zeitlose!

 

All The Drugs In The World

 

Wahrscheinlich wird sich Miss World aber endlos dafür rechtfertigen müssen, dass sie Produzenten und Gastmusiker angeheuert hat. Als wäre das nicht üblich, noch dazu bei einem Soloalbum! Aber der Versuch, ihr die eigenen Songs abzusprechen, hat ja schon Tradition: Die Hole-Alben sind zwar gut gemacht, so die einhellige Meinung der räudigen Rock-Community – aber eben gemacht. Natürlich, wie könnte es anders sein, von ihren ehemaligen Lovern Kurt Cobain (›Live Through This‹, 94) und Billy Corgan (›Celebrity Skin‹, 98). Diese Behauptungen haben die Funktion, Love zur bloßen Skandalpersönlichkeit ohne musikalische und visionäre Kraft herabzuwürdigen. Kann ja nicht sein, dass diese »drogensüchtige Silikon-Witwe« einfach so auch noch eine gute Künstlerin ist. »Die Leute wollen nicht an sie glauben, weil sie so eine selbstzerstörerische Person ist. Auf eine Art, die es Leuten aus der Ferne schwer macht, sie zu mögen«, sagt Melissa Auf Der Maur im Interview. Und: »Billy hat ›Celebrity Skin‹ zwar produziert, aber keinen Ton darauf gespielt. Er hat Courtney vor allem beim Einsingen der Vocals gepusht.«

 

Auch diesmal ist die Veröffentlichung des Albums wie schon so oft zuvor überschattet von unglücklichen Verknüpfungen: Aufgrund der leidigen Schmerztabletten-Überdosis-Geschichte hat sie alle Interviewtermine abgesagt, so auch meinen. Schade eigentlich. Aber es gibt ja tonnenweise Interviews mit Love aus den letzten 15 Jahren (davon etliche aus jüngster Zeit), in denen man interessante Aussagen finden kann und die eine enorm reflektierte, wache Person zeigen. Und deren Kraft, selbstanalytisch, humorvoll und politisch Rock-Mythen zu dekonstruieren. Aber vielleicht gehört ja auch eine aufgeschlossen-reflexive Kraft dazu, den intelligenten Ausführungen Loves folgen zu können – oder vielmehr, folgen zu wollen. Sich hierfür in weibliche Sozialisations-Koordinaten einzufühlen, die möglicherweise jenseits des eigenen Erfahrungshorizonts liegen. Love bearbeitet in diesen Gesprächen Themenfelder, die bislang wenig (Be-) Achtung fanden im Rock-Diskurs: Sie geht der Frage nach, wie sich die Mädchen auf den ihnen zugewiesenen Nebenschauplätzen wirklich fühlen. In ihren Rollen als Musen, Groupies, Teenage-Fans oder Musikerinnen – vor allem dann, wenn sie nicht auf die üblichen Mittelschichts-Privilegien zurückgreifen können.

 

Reasons To Be Beautiful

 

Vielleicht hängen die Kritiker aber auch bei irgendeinem Widerspruch bezüglich der Person Love fest, den sie nicht auflösen können. Ein Grund für die Ver(w)irrung ist sicherlich, dass Love sich auf zwei verschiedene, sich vermeintlich widersprechende Produktionsprinzipien eingelassen und diese perfektioniert hat. Sie vereint den Andy Warhol’schen Typus des (Borderline-) Superstars der 70er-Jahre mit dem Typus des Casting-Superstars der Nuller-Jahre. Im ersten System verkörpert sie das ganze Spektrum an selbstgemachter Identität, das hippe selfmade Boheme-Rock-Ding eben. Und als wäre das für ein einziges Frauenleben nicht schon mehr als erlaubt, schafft sie dann auch noch den Sprung in das damit korrelierende Galawelt-System aus Schauspielerei, Schönheitszwang und Society. Und ist in beiden Welten zugleich authentisch und künstlich! Und dabei wird auch gern mal übersehen, dass Courtney Love ja vehement gegen diese Wertesysteme angeht! Sie ist die einzige Sängerin überhaupt, durch deren gesamtes Werk sich explizit die Kritik am normierten Schönheitsideal und den damit verbundenen, mitunter tödlichen, Anpassungsritualen von Frauen zieht! Sie hat auch nie einen Hehl aus den Schönheitsoperationen gemacht, die man ihr dauernd vorwirft. Sie hat vielmehr – sich selbst zum Exempel statuierend – ausdrücklich auf den traurigen gesellschaftlichen Zwang hingewiesen, als Schauspielerin nun mal entsprechend aussehen zu müssen.

Courtney Loves Bedeutung für eine ganze Generation von aufsässigen Mädchen und Musikerinnen lässt sich, auch im Nachhinein, nicht mehr aus der Rockgeschichte herausstreichen. Sowohl was die Musik als auch den Style betrifft: Zur Schau gestellte Weiblichkeit widersprach sich plötzlich nicht mehr mit feministischen Issues, und das Austoben von Wut ging spielerisch zusammen mit typischen Mädchen/Kindheits-Accessoires.

 

Melissa Auf Der Maur. I Need. I Want. I Will

 

Melissa Auf Der Maur ist eine bezaubernde Person. Sie lächelt, sie stellt Gegenfragen, und dann spricht sie wieder so hingebungsvoll, dass man merkt: Hier redet jemand um sein Leben!

 

Die Songs kommen aus ganz unterschiedlichen Phasen der letzten zehn Jahre. Manche sind von 93, andere hab ich, nebenbei mal, auf einem 4-Track-Recorder entwickelt, hier mal ‘ne Gitarre, da mal einen Basslauf. Einmal entdeckte ich z. B. ein Gedicht wieder, in einem alten Tagebuch, und dachte: Hey, das ist genau das, was ich suchte.

 

Das war im Rückblick sicher interessant zu sehen, wie du dich zu diesem und jenem Zeitpunkt gefühlt hast.

 

Ja, ich war so unschuldig, als ich anfing. Wenn du 200 Shows im Jahr spielst, dann wirst du zu einem anderen Menschen. Plus: Du wirst zu deinem Instrument. Es gab Zeiten auf Tournee, da fühlte ich mich wie ein Soldat.

 

War diese Platte dann auch der Versuch, wieder unschuldig zu werden?

 

Definitiv. Ich wollte wieder an den Punkt zurück, an dem ich war, bevor ich bei Hole eingestiegen bin. Das war ein Kompromiss für mich, aber jeder muss Kompromisse machen – für Dinge, die er will. Man kann nicht immer alles zur gleichen Zeit haben.

 

Was war denn der Kompromiss?

 

Ich bin jemand, der seine eigenen Songs machen will. Und dazu kommt: Ich mag die Musik von Hole sehr gerne, all diese melodischen Stücke, aber ich selber bevorzuge Musik, die etwas härter ist: Metal, Stoner Rock … Aber ich fand es großartig, dass Courtney so viel Wert darauf legte, Mädchen zu ermuntern, Bands zu gründen. Die feministische Präsenz war ein Hauptgrund für mich, in dieser Band zu spielen.

 

In deinen Songs vermischst du, sehr stilsicher, härtere Metalparts mit poppigeren Elementen. Auch was den Gesang betrifft.

 

Ich wollte in jedem Song den Kampf hörbar machen zwischen dem femininen und dem maskulinen Teil. Ich denke, dass jeder Mensch beide in sich trägt, man muss es nur zulassen. Und daher wollte ich eine Platte machen, die die Smiths mit Kyuss kreuzt!

 

Welcher Song liegt dir besonders am Herzen?

 

Ich hab immer davon geträumt, mal mit Josh [Homme, Queens Of The Stone Age] zusammenzuarbeiten. Ich sagte ihm: »Ich möchte einen Song, der aus einem Riff besteht. Aus deinem Riff. Und ich mach ein Stück über einen Traum daraus: ›I Need I Want I Will‹.« Die Kollaboration mit Josh Homme ist nicht die einzige auf dem Album, aber wohl die markanteste angesichts der derzeitigen Hipness seiner Hauptband. Aber auch bei den Sessions mit Mark Lanegan (ehemals Screaming Trees), Nick Oliveri (QOTSA), Paz Lenchantin (A Perfect Circle, Zwan) und Brand Bjork (Kyuss, Fu Manchu) sind spannende Songs herausgekommen. Ja, ich mag ›Auf Der Maur‹. Das Album berührt mich. Weil seine Songs kleine Dramen sind, die einen ein ziemlich gefährliches Spektrum an Emotionen durchleben lassen. Nenn es Zauber, nenn es Morbidität! »Es geht darum, in der Lage zu sein, seinen Tod genauso zu akzeptieren wie sein Leben«, nennt es Melissa Auf Der Maur.

 

Leider waren sich bisher alle Leute, mit denen ich über das Album gesprochen habe, ziemlich einig, dass da doch nur ein (Mid-) 90s-Rock-Sound aufgewärmt wird – weshalb es schlecht bzw. gar nicht wirklich diskutabel sei. Und das sagten alles Jungs, die sich ansonsten einen Scheißdreck um die Erneuerung von Rockmusik scheren – und noch im Altersheim auf ihre Weakerthans-Platten abgehen werden! ›Auf Der Maur‹ ist definitiv eine 90s-Platte, was bei der Entstehungsgeschichte ja auch nur folgerichtig scheint. Aber sie ist vor allem auch eins: der ganz persönliche Ausdruck einer tollen Musikerin. Und ich zum Beispiel fühle mich davon angesprochen. Aber im Rock-Geschäft wird ja bekanntlich mit zweierlei Maß gemessen.

 

Smashing Pumpkins

Definitiv eine der wichtigsten Rockbands der 90er. Die Band um Mastermind Billy Corgan kreierte aus der Schnittmenge von 70s-Rock, Psychedelica und Metal ihre eigene Version von Grunge. Doch ihr träumerischer Pop-Grunge hatte mit dem Mudhoney-Grunge nicht viel mehr als die Ära und das Debütalbum ›Tristessa‹ auf Sub Pop gemein. Vielleicht liegt in dieser Unvereinbarkeit mit den anderen auch das Geheimnis begründet, warum die Band nicht gehen musste (wie so viele andere Zeitgenossen), sondern auf der Basis des Durchbruchalbums ›Siamese Dream‹ einfach weitermachen durfte – bis man sich am 02.12.2000 auflöste. Melissa Auf Der Maur ersetzte für das letzte Bandjahr und somit auch die Abschiedstournee die frühere Bassistin D’Arcy.

 

Hole

Im Juni 1991 erschien die erste begeisterte Kritik über Hole. Everett True schrieb im Melody Maker: »Heute Abend habe ich die einzige Rock’n’Roll-Band der Welt gesehen. Ich nehme an, es hat etwas mit gleichen Anteilen von Energie, Glück, Schmerz, Leidenschaft zu tun (…) ›Teenage Whore‹ ist so ziemlich das Beunruhigendste, was ich gehört habe, seit Patti Smith ›Piss Factory‹ vom Stapel gelassen hat. (…) Hole sind sexy, besessen und von brutaler Ehrlichkeit. Hole sind die einzige Band der Welt.«

 

Watermark

Seit ca. 2001 gehen Plattenfirmen dazu über, besonders wichtige Alben nur noch an ausgewählte Journalisten zu verschicken. Diese sind mit einem auf den Empfänger ausgestellten Wasserzeichen versehen, welches die Rückverfolgung etwaiger im Netz auftauchender Musik ermöglicht.

 

Love-Interviews

Sehr empfehlenswert ist das Interviewbuch ›Grrrls, Viva Rock Divas‹ (St. Martin’s Griffin, New York, 96) von Amy Raphael, das u. a. ein aufschlussreiches Gespräch mit Love enthält, in dessen Verlauf sie sich eingehend mit der spezifisch weiblichen Rolle der Muse beschäftigt. Der Einfluss der Muse auf die Werke bedeutender Künstler muss demnach unsichtbar bleiben. »Vampiring girls« nennt Kathleen Hanna (Le Tigre) das.

 

(Sandra, INTRO, 2004)