Cat Power – Rotwein auf Ex

Ihr siebtes Album “The Greatest” hat Chan Marshall, die mit richtigem Namen Cat Power heißt, mit der einstigen Begleitband von Al Green aufgenommen. Zum ersten Mal hängt der von ihr so gern beschworene “Sky” voller Geigen, funkiger Arrangements und all that jazz. Trotzdem speist sich “The Greatest” aus keinerlei Best-of-Ambitionen. Der Titelsong ist vielmehr eine Absage an den Größenwahn.

Das passt zu einer Sängerin, deren schockierendes Understatement genauso Teil ihres Images ist wie eine gewisse Durchgeknalltheit. Worum es aber wirklich geht: Wie kann man über Gefühle singen, die gerade eben nicht mehr verdrängt werden und doch kurz davor sind, ins Unaussprechliche abzurutschen? Cat Power knows.

Auch schon wieder sieben Jahre her, dieser Abend mit Chan Marshall, damals auf der Reeperbahn, denke ich, während ich in einem Londoner Restaurant auf sie warte. Die Plattenfirma hat bereits angerufen, Chan komme eine Stunde später. Um mich herum nur strenge Geschäftsmänner beim Lunch, die mich irritiert anschauen. Man sollte die zart-darke Sängerin nur in der Nacht treffen, der Tag tut Leuten wie uns zu sehr weh.

Colors & The Kids

Meine erste Begegnung mit Chan Marshall hat mich einigermaßen verstört damals. Zum einen, weil mir die Art, wie sie Erschütterung ausstrahlte, so vertraut vorkam. Ich war in diesen Tagen so unendlich genervt davon, mit was für einer Erschrockenheit, ja Abwehr, auf Menschen reagiert wird, die ihren Schmerz und ihre Visionen offen artikulieren und ausleben. Zum anderen, weil Chan ihr Leiden an der Welt nicht in wütende, sondern in traurige Lieder packte. Dafür war ich damals nicht bereit – obgleich, als Listener natürlich schon: Zu ihrem depressiven Weltumarmungs-Piano-Song “Colors & The Kids” heulte ich fast täglich: “It’s so hard to go into the city / Because you wanna say ‘hello, I love you’ to everybody.” 


Dann erzählte sie mir die Geschichte, wie sie, mit 19, das erste Mal zur Gitarre griff – um eine akute Sucht- und Angstphase zu stoppen. Und wie das dann tatsächlich funktioniert hat. Als sei der Weg zu eigenen Songs eine völlig selbstverständliche Handlung, die man nur machen muss. Ein Anti-Selbstzerstörungs-Akt, eine Eingebung. Damit konnte ich was anfangen. Noch heute führt Chan Marshall das Musikmachen auf einen allerursprünglichsten Kern zurück: Selbstheilung, Katharsis, eine Verbindung schaffen zur eigenen Geschichte – und zu den Geschichten der anderen. Eine Verbindung auch zur Sehnsucht.

Lived In Bars

Dabei hat sie – die Rastlose, Ortlose, Gottverlassene, die schon früh vom Süden Amerikas nach New York zog und aus einer, wie man so bescheuert sagt, “dysfunktionalen Familie” kommt – den knochennackten Gitarren-Piano-Song sicherlich nicht neu erfunden. Und auch sich selbst nicht. Vielleicht war sie einfach nur nie so weit weg von sich wie Menschen, die meinen, ihre Gefühle “im Griff” zu haben.

Ich und meine Freunde jedenfalls liebten diese Lieder, die so nihilistisch waren und zugleich voll großer Erwartungen. Ob das die Gefühle sind, die man hat, wenn man vom Süden aus weiter nach Norden kommt, wo die Euphorie gedämpft wird, fragte ich mich heimlich. In dieser Januarnacht waren wir jedenfalls alle verknallt in Chan. Und tatsächlich kam sie dann noch nach, in unsere Reeperbahn-Bar. Wollte was erleben, schnappte sich einen der Jungs, und ab ging es in die nächste Spielhalle, wo die beiden seine letzten 50 Mark an die Automaten verfütterten. Gebrochenen Herzens kehrte er zurück. Wir versuchten es mit Zuversicht: “Im Sommer kommt sie wieder auf Tour” – es war natürlich absurd. “When we were teenagers we wanted to be the sky / Now all we do is go to red places / And try to stay out of hell.”

Nude as the News

Plötzlich steht sie vor mir, entwaffnend offen und nett, die Cat Power. Eine Katze, die nachts nicht grau ist, sondern leuchtet. Und ihr Strahlen mit in den Tag nimmt. Rasend schön. Sie trägt Stiefel und Rock, mal keine Jeans. Ich bestelle einen Kaffee, da entschuldigt sie sich zum ersten Mal. Weil sie keinen Kaffee trinkt. Sie wird sich noch oft entschuldigen in den nächsten zwei Stunden, für alles, was sie selbst nicht tut. Oder für alles, was sie selbst tut. Mit so einem heiligen Ernst, dass ich geschockt bin. Und mich sofort wieder verknalle. Sie bestellt irgendwas mit Knochen, aus denen man das Fleisch herauspulen muss – und entschuldigt sich dafür. Sie raucht, und es tut ihr Leid, und sie trinkt ein ganzes Glas Rotwein auf ex – auch das tut ihr Leid.

Wir reden dann über Drogen, und jetzt entschuldige ich mich. Sie ist erleichtert. Zählt dennoch beunruhigt ein halbes Dutzend anderer Drogen auf – und fragt, ob ich die nehme. Nein, ich bin fixiert, sorry. Was folgt, ist ein Gespräch über Nebenwirkungen. So hoffnungslos offenherzig muss man erst mal sein, zu einem fremden Menschen, der einen Taperecorder mitlaufen lässt. Toll.

I Hate Myself / And I Want To Die

Während des Essens erfragt Chan geschickt zuerst die Familienverhältnisse ihrer Promoterin, dann meine. Ich kann es kaum glauben, habe nämlich noch nie einen Menschen getroffen, der diese Dinge ebenfalls sofort wissen will – und dann noch auf dieselbe harmlose Art. Kurz gesagt geht es bei dieser Übung darum, so beiläufig wie möglich herauszufinden, ob die Eltern des Gegenübers geschieden sind. Kinder wie wir kennen da alle Kommunikationstricks. Die Situation wird jetzt fast absurd intim – vielleicht befinden wir uns gerade in ihrem 96er-Song “The Coat Is Always On”: “Father said he is gonna give me something / He gave me hate.”

Chan: “Wenn ich auf der Bühne stehe und die Leute mir applaudieren, dann halte ich das nicht aus. Ich hasse mich dann und will sterben. Warum? Ich habe es nicht verdient, dass sie mich gut finden.”

Still In Love

Wie sind die neuen Songs entstanden?

Einige habe ich am selben Tag geschrieben, sie haben alle eine ähnliche Grundstimmung: Verlorenheit, Entwurzelung. Ich komme aus dem Süden Amerikas, werde immer dieses Mädchen aus dem Süden bleiben. Es war wunderbar, in Memphis mit diesen traditionellen Musikern aufzunehmen.
Warum diese Al-Green-Musiker?

Ich mag ihren einfachen Zugang zur Musik. Sie nehmen live auf, mit wenigen Mikrofonen. Ich war überrascht, wie sonnig das Ergebnis klang.
Vielleicht, weil ihr in Memphis aufgenommen habt.

[lacht] Genau. Da ist man gleich glücklicher.

Cat-Power-Songs haben ja meist keinen klassischen Ablauf: kaum Refrains oder knallende Hooklines. Sie verweilen in ihren Stimmungen, verlieren sich ein bisschen, laufen dann irgendwie aus. Jetzt, da die Songs den Pop atmen, vermisst man die Refrains – als fehle der Plot. Man muss dann einfach weiterhören und entdeckt andere spannende Details: kleine Riffs, Mini-Variationen der einzelnen Instrumente und sogar gospelartige Gesangseinheiten. Chan: “Ich betrachte meine Songs nie als abgeschlossen. Das Endgültige macht mir Angst.”

Could We

Nach dem Gespräch, wir haben uns schon verabschiedet, kommt Chan mir plötzlich noch mal hinterher. “Ich wünschte, du würdest bleiben”, sagt sie. Ich wünschte das auch. Wir verabreden uns für Berlin, zum gemeinsamen, äh, Chemieteilen. Für irgendwann, vielleicht im Sommer.

(Sandra, INTRO, 2006)