Keren Ann ist in Frankreich berühmt. Hat dort schon mehrere sehr angenehme Alben veröffentlicht, u. a. 2004 die CD “Not Going Anywhere”.
Ein lustiger Titel in Anbetracht der Tatsache, dass die Pariser Chanteuse (die auch genauso aussieht, wie man sich so eine vorstellt: die hochhackigen Strumpfhosen, das lippenstiftkurze Kleidchen, der geschwungene Lidstrich) schon ganz schön weit rumgekommen ist. Ihre neue CD “Nolita” – die den internationalen Durchbruch bringen soll, wofür die Chancen gut stehen, in den USA ist sie schon mehr als ein Geheimtipp – hat sie z. B. in New York geschrieben. Und was fand sie dort so Anziehendes? “Alice in Wonderland, aber im Wonderland des Rock’n’Roll”, wie sie schön und klug erzählt.
Angesichts der Mythen, auf die Keren Anns Album rekurriert, verzeiht man ihr sofort die blöde Assoziation zum französelnden Lolita-Wesen im Albumtitel. “Alice ist eine Muse, ein Groupie, aus den 70ern. Schläft mit Rockstars im berühmten Chelsea Hotel, fühlt sich total verloren.” Wie Alice, die Muse, mit ihren verletzten Gefühlen umgeht, “darum geht’s in jedem Song.” Und Keren Ann, als Musikerin natürlich “auf der anderen Seite”, beobachtet sie beim Scheitern. Super Konzept. Keren Ann stellt dabei diese verfluchte Intimität her, wie klassische Songwriter mit Dylan-Liebe das so gut können, und fährt dabei das ganze feierliche Instrumentarium bis hin zur Geige auf, ohne je pompös zu klingen. Immer frisch und immer ein bisschen mysteriös. Wie Alice im Wunderland eben. Nur dass von der keiner den echten Namen kennt, Keren Ann aber klingen kann wie Catpower, Françoise Hardy oder auch einfach wie Keren Ann.
(Sandra, INTRO, 2005)