»Das ist einer der Gründe, warum ich niemals heiraten wollte. Keinesfalls wollte ich unendliche Sicherheit und ein Ort sein, von dem aus ein Pfeil fortfliegt. Ich wollte Veränderung, Aufregung und selbst in alle Richtungen fliegen, wie die farbigen Strahlen einer Rakete am 4. Juli.« (aus ›Glasglocke‹)
Esther Greenwood, die Protagonistin von Sylvia Plaths Debütroman ›Glasglocke‹ (kurz nach dessen Veröffentlichung sich die Autorin im Alter von 30 Jahren umbrachte), stürzt sich auf fast wahnwitzig übermütig Art in Selbstmordversuche. Weil sie eine außergewöhnliche Künstlerin und gewöhnliche Frau zugleich werden will und nicht weiß, wie sie das anstellen soll im Amerika der 50er. Und fühlt sich überhaupt stürmisch hin und her gerissen in den Rollen und Zeichen der 50er, als Häuslichkeit zur Bestimmung der Frau gehörte. Mit dem Ergebnis, dass die visionäre Esther tatsächlich in alle Richtungen fliegt, inkl. Nervenzusammenbrüche und Neufassung des ›Ulysses‹.
Jetzt ist ihre Schöpferin Sylvia Plath verheiratet. Lebenslänglich. Denn Hollywood hat ihr ein Denkmal gebaut. Und jeder Vollidiot weiß, dass das die Lüge aufbaut. Denn Hollywood will die Dichterin der Widersprüche unbedingt als Kuchen backende Ehefrau. Noch dazu als schwermütige Hälfte eines großen Dichters. Oh, hätten Regisseurin Christine Jeffs und Drehbuchautor John Brownlow den Schinken doch wenigstens ›Ted Hughes Feat. Sylvia‹ genannt. Dann wäre klar gewesen, dass es sich um ein sexy Liebesdrama handelt und nicht um das inszenierte Leben einer der »bedeutendsten Poetinnen des letzten Jahrhunderts« (Eva Demski). Eins allerdings muss man ›Sylvia‹ lassen: Es ist ein gewaltiger Liebesfilm. Was für Gefühlsausbrüche! Ganze Menschen brechen aus. Die Zeichen stehen immerzu auf Sturm: Sylvia und Ted im selben Boot. Und das Meer bricht aus wie die Gefühle, und der junge Lyriker schreit, dass Menschen bei so was ertrinken können. Und reißt das Ruder noch mal um. Und Sylvia erzählt ihm endlich die Geschichte ihres ersten Selbstmordversuchs. Dabei sieht Gwynie Paltrow so vital wie das pure Leben aus und spielt überhaupt so toll: Mit den Bildern, die sie den Mythen abringt, ist man sofort einverstanden. Als Fan hat man sich das schließlich alles schon mal vorgestellt. Die berühmte Kuss-Szene z. B.: Sylvia beißt Ted die Wange blutig bei ihrem ersten Treffen. Generationen von Literaturwissenschaftlern grübelten: Hat sie ihn wirklich blutig gebissen, oder war ihr diesbezüglicher Tagebucheintrag nur eine ihrer fiktionalisierten Wirklichkeitsdarstellungen?
Die Sylvia-Plath-Forschung ist voll solch hochtrabend delikater Fragen. Jede halbwegs progressive amerikanische Dichterin oder Studentin hat sich mindestens schon mal ein Semester lang für Sylvia Plath gehalten. So wie sich jeder Gitarrist schon mal in das Riff von ›Smells Like Teen Spirit‹ gestürzt hat. Denn gerade Selbstmord-Superstars wie Plath oder Cobain versprühen ewigen Teen Spirit. Die amerikanische Essayistin Elizabeth Wurtzel, die, Plath vor Augen, ein großartiges Werk über gefährliche glamouröse Frauen verfasste, erklärt deren Mythos so: »Sylvia Plath litt darunter, so viel zu wollen in einer Welt, die den Frauen nicht gestattet, irgendwas zu wollen.« Sie hält der ›Glasglocke‹ zugute, dass er eben keiner der üblichen Romane über weibliche Depression ist (Depression als Folge privater Missbrauchserfahrungen), sondern der Nervenzusammenbruch als Ausdruck fehlender gesellschaftlicher Möglichkeiten inszeniert wird. Und folgert über die Autorin: »Sie starb, weil sie groß war, weil sie Widersprüchlichkeiten in sich vereinte, von denen Walt Whitman nicht einmal hätte träumen können.«
Die Sylvia im Film bringt sich um, als ihr klar wird, dass ihr Mann nie mehr zu ihr und den Kindern zurückkommen wird. Das ist zwar nach wie vor der schönste Grund zu sterben, aber natürlich auch der gefälligste. Dafür hätte es nicht das Leben und Sterben von Sylvia Plath gebraucht. Oder doch? Die ärmliche Beziehungswelt der meisten Paare strotzt ja nicht gerade vor animalischen Intellektausbrüchen. Paare, die sich Gedichtzeilen wie Maschinengewehrsalven um die Ohren hauen, um sich dann wieder in kahlen Räumen bedeutungsvoll anzuschweigen und einzuschreiben, übersteigern meistens das männliche Ego oder die weibliche Schaffenskraft. Und sicherlich sollte man diesen Film jedem Spießer empfehlen, der mal was aus seinem Leben, seinen Beziehungen und dem Menschen in sich machen will. Das ist ja auch der Grund, warum man aus den Texten von und über Plath mühelos die ganzen großen Menschheitsfragen klären kann (Begehren, Geisteskrankheit, Talent, Sprache, das Amerika der 50er, die Unterwerfung der Frau unter den Mann, der ewige Kampf des Menschen zwischen Anpassung und Widerstand).
Dennoch: Wir Sylvia-Plath-Fans fühlen uns von einem Film, der diese tolle Dichterin, die selbst in Phasen schlimmster Depression noch haufenweise Veröffentlichungen hatte, nur noch als brave, nervöse, Kuchen backende Ehefrau und Pseudoschriftstellerin darstellt, nicht ernst genommen. Nach 80 Filmminuten schaut man auf die Uhr: Die Leinwand-Plath hat noch immer keinen einzigen Text verfasst. Sie sitzt schon wieder vor ausgerissenen Blättern, starrt ratlos auf die Schreibmaschine und das fallende Laub vor dem Fenster. Ist das die Schriftstellerin, die man allenfalls dafür verachtete, dass sie zu diszipliniert war? Je weniger ihr Texte gelingen, desto prunkvoller die Speisen. Allmählich nervt diese lächerliche Göttinnen-Demontage von Leuten, die sich dem Kern der Probleme der Welt nicht stellen wollen. Wenn Elfriede Jelinek von großen Teilen des deutschen Feuilletons den Nobelpreis aberkannt kriegt und Plaths legendäre ›Ariel‹-Gedichte nur noch als autobiografische Sentimentalitäten ins öffentliche Bewusstsein dringen können, dann bedeutet das, liebe ArschlöcherInnen, dass kreative Frauen immer wieder bei null anfangen müssen. Und das ist nun wirklich unter unser aller Würde. Noch mal Elizabeth Wurtzel: »Aus der Ferne bewundern wir alle den Wahnsinnigen, das kreative Genie, den auffälligen Typ. Aber niemand will allzu viel damit zu tun haben. Und wenn das für Männer gilt, dann gilt es doppelt und dreifach für Frauen.«
(Kerstin, INTRO, 2005)