Dem alten Schuhwerk Rockmusik begegnen sie auf Stöckelschuhen und mit extra dreschenden Gitarren. Das sensationelle BrightonerDuo Blood Red Shoes leuchtet uns den Grunge und lässt Bubenwangen rot erglühen. Sandra Grether traf sie gleich zweimal.
Allein in Berlin
Die leuchtenden Gesichter der teils schon grau melierten Männer im Berliner Bang Bang Club, wo die Blood Red Shoes ihren zweiten Berlin-Gig in Folge spielen, sind wie die von kleinen Kindern, die heimlich verbotene Türchen öffnen und vom Adventskalender naschen. Denn die Blood Red Shoes haben tatsächlich eine Frontfrau, die einen wieder an das Weihnachtspersonal glauben lässt, daran, dass alles verziehen wird, alles gut wird.
Normalerweise geht die Rock-Crowd ja nicht für Gitarrenheldinnen in die Knie. Aber Laura-Mary Carter hat es ihnen angetan! Einige Frauen im Publikum hingegen wirken beleidigt, fast eifersüchtig, angesichts dieses coolen weiblichen Role-Models, fühlen sich damit konfrontiert, dass man auch auf unbürgerlichem Weg – und ohne von führenden Designern verkleidet zu werden – auf einer Bühne bejubelt werden kann. Schlimm, schlimm, wenn darauf die eigenen Jungs abfahren: “Mit der würdest du doch sofort ins Bett gehen, was?” sagt etwa eine Lady säuerlich zu ihrem nach vorne drängenden Freund. Es sind halt nicht nur die Männer daran schuld, dass es Frauen im Rockgeschäft so schwer haben. Die Augen der Girls sind eine einzige Dolchstoßlegende. Wenn es nach ihnen ginge, gäbe es weder das Wahlrecht für Frauen noch die Blood Red Shoes. Dafür aber jede Menge Blut am Schuh.
Unter vielen in Berlin
Am Tag zuvor, beim Soundcheck in der leeren C-Halle – später werden die Blood Red Shoes hier als Support von Maximo Park ein furioses Konzert geben –, sind wir Riot Grrrls hingegen unter uns. Laura-Mary schlurft in einem ausgeleierten Shirt mit Madonna-Aufdruck auf die Bühne, Steven trägt einen “Nirvana In Utero”-Pullover und albert mit dem Soundmischer rum – während Laura-Mary konzentriert an Verzerrern und dem Amp den optimalen Nirvana-Sound einstellt. Beim darauffolgenden Interview stellt sich heraus, dass die Blood Red Shoes eine diskursive, offene, humorvolle Band sind.
Laura: “Ich habe mir praktisch noch als Kind Hole- und L7-Platten gekauft. Allen voran liebe ich die Babes In Toyland. Ich hatte selbst eine etwas traumatische Jugend. Wir sind 15 Mal innerhalb von London umgezogen, ich war auf 15 verschiedenen Schulen. Mein Vater hatte Gelegenheitsjobs, und weil wir uns die tägliche Fahrkarte mit der U-Bahn nicht leisten konnten, mussten wir immer dahin ziehen, wo sein aktueller Job war. Damit ich zu Fuß zur Schule gehen konnte.” Und Steven ergänzt: “Wenn ich mit Laura durch London laufe, dann sagt sie andauernd: Hier habe ich mal gewohnt und dort.” [lacht] Der erste Song auf dem vital-aggressiven Debütalbum “Box Of Secrets” heißt “Doesn’t Matter Much” und ist einer der wenigen, die der aufgeweckte, blonde, gut aussehende, zarte Steven singt. Oder, so fragt man sich zumindest beim ersten Hören, ist das doch die hochenergetische
Stimme der talentierten Sängerin und Gitarristin Laura-Mary?
Kennt man die Band, die in England in den letzten drei Jahren fünf Singles auf fünf verschiedenen Homerecording-Labels veröffentlicht hat, noch nicht so gut, ist man zunächst etwas verwirrt. Bis man versteht: Hier agieren Musiker mal jenseits der rockistischen Geschlechterklischees, wonach der Mann hart und locker und die Frau sanft und locker zu sein hat. Und zum Glück für uns alle sind die Blood Red Shoes dabei authentisch und aware ob der gesellschaftlichen Sexismen – und reden nicht lange um den heißen Brei herum. Laura-Mary: “Jetzt wird es langsam besser. Früher bin ich dauernd angeschrieen worden, vom Publikum, von den Mischern usw., weil ich als Mädchen auf einer Bühne die Gitarre spiele. Ekelhaft.” Der Boy gibt sich weiblich; verspielt, in hohen fiebrigen Sequenzen at home, intoniert er stakkatohaft die leider etwas phrasenhafte, aber gut dringliche und vielsagende Songzeile: “Find A Reason Why“. Dann beide im Chor (schreiend): “No no no, no no no.” Es sind optimistische und orgiastische No’s, aber es sind und bleiben No’s, die mehr sind als eine knallige phonetische Abwechslung, wie man das zuletzt bei vielen der aktuellen Rockbands
hören konnte.
Nein, nein, nein, nein, nein, nein, ein Teen- Spirit, der sich mal wieder echt verweigert und dabei einen echten Schmerz rauslässt, statt ihn auszustellen wie eine Trophäe, an der statt Blut ein flüssigkeitsarmes Ersatzpräparat namens Konsens hängt. Als man den Song schon fast am Ende wähnt, legt Laura noch ein Gitarrensolo hin, das sich gewaschen hat, dirty und präzise. Überhaupt spielt Laura-Mary Gitarre wie Gott. Sie malträtiert die hohen Saiten, lässt einzelne Töne wie Teufelchen miteinander ringen, ist sowieso spezialisiert auf schmissige und spröde Riffs. Denn sie verachtet die »jingly jangly chords«, die herkömmlichen offenen Akkorde, und spricht sympathisch-trotzig-abfällig von traditionellem Songwriting als “Folk-Scheiße”. Und für “Folk-Scheiße” ist Laura zu wütend und zu elegant: Sie möchte rocken. “Sie liebt es, die Gitarre hart anzufassen und dann zu schlagen“, sagt ihr Mitmusiker Steven voller Bewunderung für das kleine, dunkelhaarige, leicht depressiv wirkende Mädchen, das Augenbrauen zupfend neben ihm sitzt.
Als könnte man die Rippen eines Rocksongs neu einsalben, mit der dritten Spur beginnen und sich einen Dreck um all das Basics-Fleisch scheren, spielt Laura die erste und einzige Gitarre als tragendes Instrument der Band wie eine zweite Gitarre in einer voll besetzten Rockband und, ja, wie einen Bass. Denn natürlich sind es auch die tiefen Töne, die ihr Spaß machen.
Und ganz sicher ohne die White Stripes. So gesehen haben die Blood Red Shoes, auch wenn’s albern klingt, die Rockmusik in neue Höhen getrieben, zumal sie zudem auch noch den guten alten Blues verachten. Was im Übrigen mit ein Grund dafür ist, warum sie den Vergleich mit den White Stripes lautstark ablehnen. Steven: “Nur weil wir auch ein Girl/Boy-Duo sind, werden wir andauernd mit den White Stripes verglichen. Könnten sich die Leute bitte mal unsere Musik anhören?” Nun ja. Ist man nicht auch ein bisschen selbst schuld an so einem Vergleich, wenn man, genau wie die White Stripes, ein Farbkonzept im Namen hat und eine Cover-Ästhetik, in der immerzu ein Gegenstand (Torte, Brille usw.) rot zu sein hat (nur nie Schuhe!)? Egal. Denn die Blood Red Shoes lieben, wie gesagt, andere Bands, neben Babes In Toyland sind das vor allem Huggy Bear und Nirvana, so Steven.
Und das alte Schuhwerk Rockmusik wollen sie schon gar nicht neu erfinden, ihm aber gern, in Stöckelschuhen und schwarzen Spitzenkleidchen, den unschuldigen Exorzismus der Jugend einhämmern. Laura: “Ich habe bis zu meinem 18. Geburtstag nie eine Hose getragen. Was mich an so Bands wie Babes In Toyland immer fasziniert hat, war diese Mischung aus ausgestellter Weiblichkeit und total aggressivem Auftreten.” Und so verwundert es nicht, dass sie ganz begeistert ist, als ich ihre Art, Gitarre zu spielen, mit der von Kat Bjelland von Babes In Toyland vergleiche: “Danke! Sie ist meine absolute Gitarrenheldin. Ich habe sehr viel von ihr gelernt.” Ich umarme sie flüchtig und gehe endlich mal wieder beschwingt von einem
Interview nach Hause.
(Sandra, INTRO, 2008 )