Am Beispiel von Maike Rosa Vogel, Cäthe, Naima Husseini, Balbina – und (unserer ehemaligen Heldin) Haiyti.
Ein Kommentar von Sandra und Kerstin
Heute ist der neue Tip erschienen. Dabei haben wir die vorher aktuelle Ausgabe Nr.7/2018 des Berliner Stadtmagazins noch gar nicht kommentiert 🙂 Das wollen wir in diesem Kommentar nachholen. Außerdem brennen uns noch ein paar Gedanken zum gehypten Rap-Star Haiyti unter den Nägeln.
Hier erstmal ein Link zur Titelstory, die wir euch hiermit ans Herz legen: https://www.tip-berlin.de/metoo-in-der-berliner-popmusik/
Es handelt sich dabei nämlich um ein Roundtable mit Balbina, Cäthe, Naima Husseini und Maike Rosa Vogel – und einer gehörigen Portion Wut. Moderation Jens Uthoff & Thomas Winkler.
Dazu gibt`s eine Liste mit den 100 “aktuell wichtigsten, besten, tollsten Berliner Musikerinnen.”
Und das Beste daran: es geht mal wirklich um MUSIK, und nicht – wie bei solchen Listen und Stories üblich – die Beste ist, wer die meiste Kohle für einen Release hatte.
Das merkt man schon an der Auswahl der Interviewten. Es sind auch alles Musikerinnen, die Instrumente spielen und ihre Songs und Lyrics selber schreiben und (co-)produzieren; die mehr als ein Album veröffentlicht und wahnsinnig viel Live-Erfahrung haben. Und die sich – wahrscheinlich genau deshalb – noch nie vom Feminismus distanziert haben. Und klug und toll sind sie auch.
So gehört sich das, wenn wir hier auch mal kurz moralisch werden dürfen. So wie in dieser Titelstory, so sollte man über Menschen reden, die Musik machen. Bzw natürlich: sie kommen vor allem selber zu Wort!
Und, wie gesagt: keine distanziert sich vom Feminismus, wie das bisher meistens so war, wenn Musikerinnen aus Deutschland zu Feminismus gefragt wurden. Aber meistens werden ja auch genau diejenigen gefragt und gehypt, von denen man schon weiß (man sieht das schon in ihren Videos, ihren Line Ups etc), dass sie sich unsolidarisch zu Frauen* verhalten. Eventuell schreiben sie auch ihre Lieder nicht selber oder spielen kein Instrument oder machen ihre Beats nicht selber. Wie jüngst Haiyti, die sich während der Release-Phase zu “Montenegro Zero” nicht zu blöd war, andauernd so Sätze zu sagen, wie: “Ich bin das totale Ausnahmetalent unter den Frauen…”
Eine Wohltat also, in einer Titelstory mal die etwas “anderen” Musikerinnen zu Wort kommen zu lassen:
Wie zum Beispiel our (“frischgebackener” Bohemian-Strawberry-) Artist Maike Rosa Vogel: “Ich glaube, dass unangepasste Frauen es in Deutschland viel schwerer haben als unangepasste Männer.”
Oder: “Ich bin ja verbandelt mit der irischen Musikszene, dort werden Frauen ganz anders gefeatured. In Amerika erlebe ich das auch so. In Deutschland nicht.”
Oder: “Der Sexismus, den ich in der Musikindustrie erlebe ist subtiler. Es ist eine stillere Art Frauen auszugrenzen. In Deutschland ist der Sexismus weniger sexuell aufgeladen, aber Männerseilschaften funktionieren gut.”
Oder Balbina:” Manchmal frage ich mich ob die Musik vieler Frauen hierzulande einfach zu viel Charakter hat.”
Oder our Genie Cäthe: “Es ist ganz einfach, wenn eine Frau ihre Meinung sagt ist sie kompliziert und zickig. Wenn ein Mann seine Meinung sagt, hat er Eier.”
Und Naima Husseini: “Als Frau muss man erst mal beweisen, dass man überhaupt Kompetenzen hat, dann kann man anfangen zu arbeiten. Diese Extrastrecke muss man immer einkalkulieren.” Maike und Naima sind sich einig: “Man wird immer so behandelt als hätte man keinen Schimmer von Technik.”
Dürfen wir in aller Bescheidenheit noch erwähnen, dass wir mit Doctorella auf Platz 25 der Liste sind? Ja! Dürfen wir! Denn Bescheidenheit ist so out wie die Meinung der gehypten Hayiti zum Thema Frauen und Musik.
Endlich ein Paradigmenwechsel!
Aber lassen wir doch zur Abrundung dieses Textes Haiyti zu Wort kommen, von der wir Fans waren, bis wir angefangen haben, ihre Interviews zu lesen. Wir sind ehrlich gesagt auch enttäuscht davon, dass die Jungs von KitschKrieg das Majordebut im Alleingang geschrieben und produziert haben, wie sie in Interviews zugibt. Es ist ein sehr artifizielles, höchst innovatives Album. Haiyti hat die Texte geschrieben, wahrscheinlich auch die ein oder andere Gesangsmelodie. Es ist ein bisschen so, wie wenn einem jemand ein Designerkleid schneidert. Natürlich auf die eigenen Bedürfnisse, Größen und Geschmack hin. Es ist nicht unbedingt das, was wir unter Musik machen verstehen, wenn wir mal ehrlich sind.
Es mag 1966 innovativ gewesen sein, “nur” die Texte zu machen und zu singen; damals erschien von Hildegard Knef das erste von einer Frau getextete Album im deutschsprachigen Raum. Aber das war vor einem halben Jahrhundert… Und im R´n B ist es auch okay, weil die Grundidee von Autorenschaft und Einzelhandschrift dort de-konstruiert worden ist…Aber bei den Lobeshymnen auf Haiyti im Feuilleton, die wir ihr natürlich trotz allem gönnen, schlägt die Grundidee von Autorenschaft ja hohe Wellen. Und da darf man schon mal fragen, was diese Musikerin eigentlich zu ihrer Musik beigetragen hat.
Kein Wunder, dass den wirklichen Musikerinnen keine*r mehr glaubt, dass sie ihre Songs selber schreiben und sie sogar größtenteils selbst produzieren. Wie Maike, Balbina, Cäthe und Naima Husseini alle einhellig bestätigen. “Es wird immer davon ausgegangen, dass man als Frau seine Songs nicht selber schreibt, ” sagt Balbina. Wenn das nicht auch daran liegt, dass immer die Acts besonders durchkommen, die ihre Songs nicht selber schreiben. Weil die Plattenfirmen das beruhigend finden. Und weil es ihren stereotypen Vorstellungen von Sängerinnen entspricht. Aber zurück zum ollen Frauenbild von Hayiti,
Frage von NTV: Du hast mal gesagt, Mädchen seien langweilig. Wie kommst du denn darauf?
Haiyti: “Ich bin einfach irgendwie wie ein Junge. Ich hab immer andere Interessen gehabt. Deswegen sind meine besten Freunde Typen. Welches Mädchen holt dich denn ab und geht dann zum Thaiboxen?” Im weiteren Verlauf des Gesprächs sagt die Rapperin dann leider noch weiteren narzisstischen IchbindieeinzigetolleFrauQuark. Zum Beispiel: “Ich hab immer Probleme mit Frauen. Ich hab keinen Bock auf dieses Gezicke. Das gilt jetzt natürlich nicht für alle Frauen, aber meistens sind sie zickig.” Und dann lässt Haiyti es sich nicht nehmen, Frauen gegen Null zu definieren, wie Obernarzisstinnen das halt so machen, wenn sie ihr Revier markieren. Wie kann man nur in ihrem Alter nicht reflektieren, was es bedeutet eine ganze Personengruppe so krass eigenschaftsmäßig wegzudefinieren, dass am Ende nur eine selber und die Männer übrig bleiben:” Wenn sie nicht zickig sind, sind das erfolgreiche Frauen, die das Konkurrenzding fahren.” Okay, wenn sie also nicht zickig sind, sind sie also voll auf Konkurrenz, die doofen Frauen, die doofen aber auch! Und wenn sie weder zickig sind noch das Konkurrenzding fahren, dann gibt es für Haiyti, die für ihr Victim-Blaming in Bezug auf Frauen auch zu Recht im Missy Magazine gedisst wurde (schade, dabei hätte sie die pop-feministische Zielgruppe doch so gut brauchen können; kein Wunder, dass sie sich in Interviews über schlechte Charts-Positionen wundern muss), noch eine dritte Schublade: “Oder sie sind tatsächlich nett, und dann kann man nicht anecken. All das gibt es bei Männern auch, aber die sind irgendwie alle gechillter und lässiger drauf.”
Hey Haiyti, wir sind so enttäuscht von dir. Wir fanden deine Mixtapes so sensationell und das Album “Montenegro Zero” auch noch recht geil, und jetzt redest du so ne Scheiße. Man kann sich so richtig vorstellen, dass das die Art von Text ist, die du auch hinter den Kulissen mit den Jungs redest. Damit sie dich so richtig toll finden und alle anderen Frauen scheiße. Zum ersten Mal in der Geschichte des deutschen Pop wird der Anti-Feminismus nicht mehr aufgehen! Wer soll sich denn jetzt noch deine Platten kaufen, wenn du alle Frauen scheiße findest? Die Jungs etwa? Die haben genauso Vorurteile wie du, und die richten sich dann aber auch gegen dich. Oder glaubst du, du bist die Einzige, die vom System verschont bleibt? Okay, wir sollten Haiyti nicht so direkt ansprechen, auch darauf ist sie total allergisch. Die blöden Feministinnen aber auch immer, die sind doch total verbohrt immer mit ihrer Frauenscheiße. Lustig, dass sie glaubt, sie wäre wie die Typen. Dabei ist sie genau das Gegenteil der von ihr so lässig geliebten Männer. Sie hält ja nicht zu denen, die genau wie sie, als Frau gelesen werden. Sie hat ja keine Girlgang um sich, so wie Jungs mit ihren Jungsgangs. Sie ist genau DIESES zickige, konkurrenzbesessene, und ja, manchmal auch zu nette Mädchen, das nicht anecken will, das sie auf uns alle projiziert. Und das Feuilleton nimmt den feministischen Zeitgeist, den wir alle erkämpft haben, und hypt damit die Einzelnarzisstin-Anti-Feministin GEGEN den Feminismus und merkts noch nicht mal. Und so war das in England und Amerika zum LETZTEN Mal 1993, als mitten in der Riot Grrrl Euphorie, die Journalist*innen die tolle eigenwillige Frauenfeindin PJ Harvey hypten. Nix gegen PJ Harvey Platten, aber die Platten von den Voodoo Queens waren einfach besser.
Und weil das bisher in Deutschland immer so war, ist diese TIP Titelstory ein NOVUM! Etwas, woran das Feuilleton sich gerne die nächsten 10 Jahre abarbeiten kann. Die längst überfällige wache Wachablösung einer blöden alten Idee, wonach Frauen einfach irgendwie zu nett, zu konkurrenz- besessen und zu zickig sind, als dass man mit ihnen richtig viel Spaß haben könnte!
Und ganz besonders krass auch, damit keine*r denkt, wir würden Hayiti zum Sündenbock machen und hätten uns da in ihr Frauen*bild reingesteigert und vielleicht meint sie es gar nicht so und ist nur ehrlich… wir als ehemalige Fans ihrer Songs waren schon nicht leicht schockiert, dass sie in einem Interview tatsächlich gesagt hat, sie habe kein Feature mit SXTN machen wollen, weil ihr deren “Sisterhood is powerful” schon zuviel war. (SXTN? Sisterhood? ). Das bisschen Feminismus und Girl*-Spirit von SXTN ist ihr schon zu viel.
Es muss leider auch mal Schluss sein damit, immer alle Frauen* zu verteidigen, auch die, die alle Frauen* niedermachen. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: weil die Ausgrenzung von Frauen* Haiytis Erfolgsmodell ist. Und klar, wir wollen ja auch keinen Gesinnungsterror verbreiten, natürlich sollen alle Menschen denken und sagen was sie wollen. Aber wir müssen uns dann ihre Musik ja nicht mehr anhören.
Überall wo Haiyti draufsteht, steht “Ausnahmefrau” drauf. Was wird mit diesem kleinen Wörtchen eigentlich angericht??? Wie hat sie das inszeniert???
Und soll jetzt keine*r sagen, wir wären jetzt irgendwie neidisch auf sie. Von all den vielen Gefühlen, die wir haben, sind Neidgefühle ziemlich weit hinten. Und außerdem: ist sie auf der Liste sechs Plätze hinter uns 🙂
Aber das Listenwesen sollte man auch weiterhin skeptisch sehen, Listen sind ambivalent, Solidarität rules, eh klar 🙂
Trotzdem DANKE, TIP!
Und hier natürlich noch ein Hinweis in eigener Sache:
Im Sommer erscheint “Alles was ich will” von Maike Rosa Vogel bei Bohemian Strawberry /Broken Silence. Und das wird gehörig gefeiert mit einem Live-Konzert bei unserer nächsten ICH BRAUCHE EINE GENIE Gala am 21.4. in der Berliner Berghainkantine.
Alle Infos hier: http://www.ichbraucheeinegenie.de/2018/03/23/bohemian-strawberry-proudly-presents-ich-brauche-eine-genie-vol-3-21-april-kantine-am-berghain
P.S. Ein Pünktchen geben wir Haiyti noch, sie hat neulich was Tolles in einem Interview über Hunde gesagt: sie fände Hunde so süß. Und zwar alle Hunde. Sie müsse auf der Straße immerzu die Hunde anschauen, so wie andere Frauen Babys. (Mal davon abgesehen, dass diese Rapperin scheinbar keinen einzigen Satz sagen kann, der nicht essentialistisch ist). Wir finden auch Hunde sooo süß und schauen ihnen auf der Straße hinterher. Vielleicht können wir uns darauf einigen 🙂
1 thought on “Über “Feminismus Full” und “Feminismus Zero” – Paradigmenwechsel in der hiesigen Pop-Landschaft (von Haiyti zu Maike Rosa Vogel).”
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