von Kerstin
16. April
Tell me why I like Mondays so much
Der Ballast wird einfach aus den Ärmeln geschüttelt, bis sich alles ganz leicht anfühlt, auch wenn man sich in einer Wirbelrolle befindet.
Was wäre ich nur ohne meine Lichtenberger Gesangsmethode? Wahrscheinlich, das traurigste Mädchen der Welt – und so bin ich das glücklichste.
Wenn ich die Übungen mache, verwandeln sich die dunkelgelben Wände meines Wohnzimmers sofort in neonhelle Sonnenstrahlen.
Am meisten liebe ich die sogenannten „Tintenklang“-Übungen.
Schon allein der Name:
Only you are like a blackend stain
ink-spot on my heart.
Only you tattood in to my veins.
I can not loose your name
things fall apart. (Doctorella)
„Stell dir vor, deine Hände wären Löschpapier und könnten den Klang absorbieren. Der Klang ist die Tinte, und du saugst ihn auf, sprech ich mir selber die Übungen zu.
Ein Teil von mir ist Sängerin, der andere Gesangslehrerin.
Zuerst die Wangen, dann die Augenwinkel,
Fingerkuppenvibration
Können deine Fingerkuppen Vibration wahrnehmen?
Na klar können die das.
Und jetzt stell dir vor: der Klang bleibt, es klingt alles ganz genau so, nur ohne die Hände zur Hilfe zu nehmen.
Hab mir schon abstraktere Dinge vorstellt!
Lustig ist auch die Übung, bei der man sich vorstellen darf, man wäre Micky Maus und die Ohren werden immer größer, und der Klang ist der Schlüssel und die Ohren sind das Schloss, und man schließt mit dem Schlüssel das Schloss auf.
Die Trommelfelle aufschließen, von außen und von innen.
Je poetischer und versponnener die Übung, desto mehr schlägt sie bei mir an.
Wenn man darüber nachdenken will, ob das kindisch ist oder esoterisch hat man schon verloren. Ich will noch mal das machen, wo die Sonne durch den Vorhang streift, und der Gaumen verschwindet. Klar, machen wir.
Soooooojaaaaaasoooooooo!
Und jetzt stell dir vor, dass hinter deinen Kiefergelenken ein riesiger Raum wäre, das kann auch eine Kirche sein. Bild ich mir das nur ein oder klingt der Ton jetzt wirklich wie so ein richtiger, erhabener Kirchenorgelton? Fast ein bisschen unheimlich, so ein hohler, unheimlicher Ton. Nicht einfach nur voller, voller sowieso. Sondern auch so mega-untröstlich – und trostspendend for a lifetime. (Vielleicht sollte ich diesen Ton mal singen, wenn ich am Wochenende mit Mascha Alechina von Pussy Riot auf der selben Bühne stehe.)
Die Sehnsucht, die man spürt bei der Klangerzeugung im eigenen Körper, beim Singen also, ist nur durch noch mehr Klangerzeugung, noch mehr Singen auszuhalten. Man singt sich durch Ängste und Katastrophengefühle und Schmerzen, durch Scham und Schuld und die ganze Scheiße, durch alle Phasen seines Lebens und irgendwann weiss man nicht mehr, wo gerade eben noch das Problem war, als wäre diese alte, schwere Sehnsucht einer neuen Idee von Leben gewichen, oder so.
Boulevardesk gesprochen: das Serotonin-Wunder.
Aber es geht ja auch nicht um ein Ziel.
Singen ist Schwärmen, deshalb gefällt es mir so. Einen poetischen Punksong zu singen ist sarkastisches Schwärmen, das gefällt mir sogar noch besser.
Sarkastisch schwärmen: meine Lieblingsdisziplin, auch beim Schreiben. Wenn die Leute mich gefragt haben, bei meinem Debutroman Zuckerbabys, wie ich denn meinen Stil beschreiben würde, hab ich immer gesagt: es ist schwärmerisch-sarkastisch. Man muss ja im Warenkapitalismus immer alles in Worte fassen, und warum sollte man das dann ausgerechnet als Schriftstellerin nicht tun.
Die Eigenpromo ist ja noch das lustigste an allem. Also jedenfalls hat mir dann eine sehr guter Schriftsteller-Freund erklärt, dass das aber psychologisch für die meisten Leute schon nicht mehr nachvollziehbar ist: dieses „schwärmerisch-sarkastisch“ – beides zu weit weg von einer „normalen“ emotionalen Mitte.
Nee, klar, das verstehe ich schon. Deshalb ist es ja Kunst. Wenn ich mitten in einem auf Verständnis angelegten Gespräch, mitten im Sozialen, anfangen würde, die eigenen Worte so schwärmerisch-sarkastisch aufzustellen – das wäre so was von No-Go. Na klar würde sich das Gegenüber da verarscht, imitiert, aufs Glatteis geführt fühlen. Aber im Text habe ich es gerne und auch im Gesang. Mein Lieblingsband aller Zeiten ist Hole – der Inbegriff von schwärmerisch-sarkastisch.
Es gibt auch den Punkt, wo man aufhört darüber nachzudenken, dass man ja ursprünglich nur mal schön singen wollte, wo man dann plötzlich ganz woanders ist als einfach nur bei der schnöden Disziplin „Singen“.
Das ist meistens der Punkt, wo Gesangslehrerinnen schon aussetzen, weil jede Übertretung ein Verbot darstellt, für mich ist das der Moment, wo es erst richtig spannend wird.
Only you are like a blackend stain
ink-spot on my heart
Man kann halt auch nur das ausdrücken, was man an Gefühlen in sich hat.
Ein Gedanke, den ich bei den Lichtenberger Lehrgängen aufgeschnappt habe, ist, dass die sogenannte Evolution kurz vorm Singen gestoppt hat oder dass sie das Singen sogar noch mitgemeint hat bei der Menschwerdung. Es hätte nicht viel gefehlt, und es wäre normal geworden, dass Singen der Normalfall der Unterhaltung wäre!!
Oder hab ich das falsch verstanden?
Kann man sich das vorstellen?
Das Leben ein einziges Musical, ein Musikfilm!
Sind deshalb alle immer so untröstlich am Punkt von Gesang?
Jeder hat doch schon mal diesen einen Moment gehabt im Leben, wo er oder sie ganz toll gesungen hat, oder wo es sich zumindest ganz toll angefühlt hat und ich könnte schwören, die meisten Menschen, wenn sie sich so an ihr Leben zurückerinnern, empfinden im nachhinein immer die Momente als die tollsten, wo sie gesungen haben. (Es ist ihnen vielleicht gar nicht bewusst, weil es zu irgendeinem bestimmten Anlass, zu einem Fest einer Party, war, wo eben auch mal gemeinsam gesungen wurde.)
Deshalb ist es so traurig, dass durch die ganzen öffentlichen Casting-Shows das Singen zu einer Disziplinarmaßnahme geworden ist, wo man sich nur noch schämen soll und erniedrigen muss, um weiter singen zu dürfen.
Singen macht einfach glücklich, das ist es – und wer darf in einem Kapitalismus, der schon langsam (?) in Faschismus übergeht, denn bitte einfach so glücklich sein? Das darf man doch gar nicht, man muss doch ständig korrigiert und kritisiert werden und ständig andere korrigieren und kritisieren.