“Wir haben noch kein Geheimnis gelöst”
von Kerstin
01.Juni
Ich liebe es, von meiner Wohnung aus nach Mitte zu spazieren, zumal bei 30 Grad in der Dämmerung, wenn ein heftiger und heißer Wind mein Gesicht umspielt, mir unter die Arme greift und mir das Gefühl gibt, ich könnte fliegen; „weiter als die Gegenwart, höher und höher“, da wächst eine Songzeile in mir, ein Song von 2raumwohnung. Ich könnte stundenlang so weiterlaufen, durch die Stadtnachthitze, vorbei an tausend funkelnden Menschen aller Arroganzen und Assonanzen, und umso besser, wenn der Sonnenuntergang sich wie eine wilde Malerei am Himmel verausgabt.
Am allerliebsten laufe ich aber natürlich nach Mitte, wenn es dort ein Ziel gibt, das über die
Streicheleinheiten, die der Wind so zu vergeben hat, hinausgeht; und man kann ja auch nicht den ganzen Abend nur zuckrigen Cappuccino trinken und Zitronencroissants essen.
Da trifft es sich ganz gut, dass die wundervolle und einzigartige Toni Kater, die ich hier in einem Café in der Auguststraße zum ersten Mal interviewt habe (2003 muss das gewesen sein, anlässlich ihres Debut-Albums „Gegen die Zeit“, seitdem hat sie fünf Alben veröffentlicht) nach längerer Pause zurück ist und ein Testkonzert in der Ackerstraße spielt, im „Club der polnischen Versager“, bevor die neuen Lieder dann am Wochenende in Potsdam auf die Bühne kommen.
Der Termin war nur Eingeweihten bekannt – weil eben Testkonzert! Ich kannte die neuen Songs schon von einem geheimen Vorab-Demo (wenn ich jetzt mal angeben darf….), das mich total geflasht hat, weil sie so kompakt und griffig komponiert sind und dabei so schön poetisch-überbordend.
Beim Dichten helfen die Dichtungen anderer, und beim Fühlen die Gefühle anderer. Tonis neue Songs haben mich jedenfalls heiß erwischt.
Und natürlich auch ihr Charme. Der ist auch jetzt wieder da, wenn sie im angenehm kühlen Clubinneren, an ihren Korg-Synthie tritt, ihre große rote Epiphone-Gitarre umspannt, und leise lächelnd verkündet „die meisten Lieder feiern heute Premiere.“ Schick sieht sie aus, mit der neuen Hochsteckfrisur (die verstrubbelten Haare, ihr einstiges Markenzeichen, sind passe.) „Alle Steine, die ich finde, werden ein großes Mosaikbild“, singt sie mit ihrer kräftigen, glockenhelle Stimme, und das passt gut zu dem Raum, den sie sich für dieses Testkonzert ausgesucht hat: die gold- runden Holzbilder an der Wand, das schwarze Ledersofa an der Seite, in türkisfarbenes Licht getaucht.
Das Tolle an Toni Kater ist auch an diesem Abend wieder die Fülle an Beobachtungen und Bildern im unprätentiösen. Wie dicht der Sound ist, den sie gleichzeitig aus Gitarre, Synthie und mitgebrachten Computer-Playbacks zaubert, wie konturiert die musikalischen Atmosphären zu den Sprachbildern passen; es ist immer genug von allem da, aber nie überladen, immer sinnvoll, und wenn nötig auch bitter, wie ein erstes Nippen an einem starken schwarzen Kaffee am Morgen. „Wir haben noch kein Geheimnis gelöst“, singt sie, in mehreren Schlaufen, ganz am Ende des Warm-Up-Gigs und lächelt dabei geheimnisvoll – und befreit! Die Songs vom Demo hat sie teilweise umarrangiert, mir gefallen beide Fassungen gleichermaßen. Da kommt noch einiges auf Mitte und die Welt und Potsdam zu – Toni Katers Zeit ist gerade erst gekommen!
04.06. Nachtrag: und hier ein Link zum Videointerview und Cappuccino-Kater-Frühstück von mir mit Toni Kater:
Und aprops Kater-Frühstück: