Kerstin: Wenn ich damals gewusst hätte, dass ich so tolle Leserinnen habe wie LEONIE SCHOLL, hätte ich mich in den 00er Jahren – als SANDRA und ich auch für die INTRO schrieben – sicher weniger über das sexistische Mobbing vieler männlicher “Besserwisser” im INTRO-Forum aufgeregt, die einfacht nicht anders konnten als weiblichen Autorinnen Subjektivität, Subjektivität und noch mal Subjektivität zu unterstellen. Als ob Popkultur je etwas anderes gewesen wäre, als subjektives Bezeugen eines objektiven Zeitzustands… zum einen, und zum andern: wenn hier irgendjemand immerhin auch noch die Race/Class/Gender-Theorien im Angebot hatte, dann waren es immerhin wir…Und noch ein, zwei andere Autor_innen, genannt sei hier ein Name, der in den ganzen INTRO-Nachrufen viel zu wenig fällt: THOMAS VENKER!
Der geniale Chefredakteur der Intro von 2000 – 2014, der, gemeinsam mit LINUS VOLKMANN (der auch VOLKFRAU* heißen könnte) aus einem eher unwichtigen Magazin mit schlechtem Musikjournalismus Anfang der Nuller Jahre erst die 1-A-Zeitschrift machte, die INTRO zeitweise war! Wer das mochte, kann jetzt auf dem klasse Blog von Venker und Volkmann KAPUT MAG weiterhin die besten Beiträge rund ums Thema “Pop und Insolvenz” lesen (als hätten sie das Ende der INTRO bereits im März 2015 vorausgeahnt:) http://www.kaput-mag.com/de/
Aber Vorhang auf jetzt für diesen wundervollen NACHRUF von LEONIE SCHOLL – auf eine Musikzeitschrift namens INTRO, die oft viel mehr war, als nur eine Musikzeitschrift:
Mein letztes Interview für’s INTRO MAGAZIN ever und jetzt werde ich auch ein bisschen sentimental.
Ich bin vor ca. 2 Jahren zur Intro gekommen nachdem ich, impulsiv wie ich bin, einen verärgerten Text über ein popkulturelles Ereignis geschrieben habe und blauäugig wie ich eben auch bin dachte, es interessiert vielleicht irgendwen, wenn ich es an redaktion@meinedreiliebstenDruckerzeugnisse schicke.
Natürlich hatte mich jahrelanges Demotape-, Skripte- und Projektskizzen-Einsenden bereits gelehrt, dass man ohne großes Namedropping und Beziehungen in fast allen Bereichen der Welt nur eine einzige Reaktion zu erwarten hat: Ignoranz. Und so hat es mich auch nicht verwundert, dass mir zwei der drei angeschriebenen Zeitungen bis heute ihre Antwort schuldig geblieben sind.
Aber die Intro antwortete mir innerhalb von 30 Minuten.
Die Intro. Die Intro, die als Teenie immer neben meinem Bett lag. Die Intro, die über Jahre hinweg immer exakt meinen Musikgeschmack abgebildet hatte. Die Intro, deren Kolumne “Zungenkuss” ich vergötterte, weil es darin so ungewohnt normal erschien, dass eine Frau über Dinge schreibt, die nichts mit Backrezepten und “wie please ich meinen Boyfriend am besten?” zu tun hatte (ich konnte ja damals noch nicht ahnen, dass die großartige Autorin dieser Kolumne meine zukünftige Labelchefin Kerstin Grether sein würde). Die Intro mit dem schönsten Layout aller Musikzeitschriften. Und die Intro, die mein liebstes Festival, das Melt!, mitaustrug. Die Intro .
Und die Intro (für mich übrigens für immer weiblich) wollte nicht nur meinen Text veröffentlichen, sie fragte mich, ob ich nicht regelmäßig für sie schreiben mag.
Was dann folgte ist das, was sprichwörtlich passiert, wenn man mal eine Chance im Leben bekommt. Hatte ich die Jahre zuvor immer wie ein verängstigter Hase ohne Perspektive vor mich hinvegetiert, ein völlig realitätsfernes Studium der Medienwissenschaft durchgezogen in der absurden Hoffnung es könnte etwas mit der tatsächlichen Arbeit in den Medien zu tun haben (L-O-L) und mich schließlich dem urdeutschen Idealbild eines abgesicherten Jobs im öffentlichen Dienst hingegeben (dem ich dennoch viel verdanke, aber darüber vielleicht ein andermal eine Geschichte), war die Arbeit für die Intro erstmals wieder etwas worin ich einen Sinn sah, das mir Spaß machte UND sogar Geld einbrachte. Eine Kombination wie der absolute Jackpot.
In den zwei Jahren Intro wurde ich gefördert und gefordert (ich wollte schon immer mal diesen Satz schreiben, but it’s true). Ich traf fantastische Künstler und vor allem Künstlerinnen, die mir so viele unterschiedliche Einblicke und Sichtweisen mit auf den Weg gaben, die man für kein Geld der Welt in irgendwelchen Lebensratgebern nachlesen kann. Ich beschäftigte mich wieder zunehmend mit der Sache, die ich immer geliebt habe, aber die ich über den ganzen Scheiß, mit dem man sich in seinen 20ern so rumschlägt, beinahe vergessen hatte: MUSIK. Und ich lebte das Journalisten Life, das ich mir früher mal erträumt hatte, inklusive für ein halbstündiges Interview mit The Killers nach London jetten und so weiter.
Doch trotz aller Verehrung war ich der Intro nie ganz unkritisch gegenüber eingestellt. Das fragwürdige Modell der Werbefinanzierung und ihre Doppelmoral in Hinsicht “weibliche Artists unterstützen” stieß mir mehrere Male bitter auf und ich weiß, dass ich mir durch meine direkte Ansprache nicht nur Freunde gemacht habe.
Und wie auch schon bei allen anderen Musikmagazinen, für die ich vor Intro gearbeitet habe, kam ich irgendwann an dem Punkt an, an dem ich mich ärgerte. Über die Ungerechtigkeiten eines Systems, in dem Talent so oft von viel Geld geschlagen wird. Über vornehmlich deutsche Künstler/innen, denen der Begriff “humble” – im Gegensatz zu ihren Kolleg/innen aus internationalen Superbands – ein Fremdwort ist.
Wie auch immer: Je mehr Zeit ich im Musikbusiness verbrachte desto mehr keimte – mal wieder – der Gedanke auf: Ich kann und will das selbst machen. Darum ist das Ende von Intro vielleicht auch nur folgerichtig meiner eigenen Entwicklung. Ich drehe inzwischen lieber Videos statt zu schreiben und weiß gar nicht, ob ich mich mit einer bloßen Printpresse ohne Online-Bezug überhaupt noch identifizieren kann.
Doch ich muss vor allem Daniel Koch danken, für die Chance, die er mir gegeben hat. Für das Mentor-Sein und meine Texte akzeptieren, selbst wenn sie viel zu lang waren und keine Kommasetzung beinhalteten. Ich weiß nicht, was er nach Intro macht, aber ich bin mir sicher, er könnte jeden Posten der Welt übernehmen. Denn Daniel ist nicht nur talentiert, weise und erkennt Potenzial: Er ist vor allen Dingen empathisch, reflektiert und – was ihn von dem Gros anderer Redakteure unterscheidet – er stellt sein eigenes Ego NIEMALS über die Sache.
Die Intro hat mir Türen und Tore geöffnet und mein Selbstvertrauen gestärkt zu einer Zeit als es nach mehreren zerhauenen Beziehungen auf dem Nullpunkt war (ja, vielleicht hätte ich früher mal andere Kolumnen lesen sollen ; ). Mit der Intro habe ich meinen durch das Studium versauten Spaß am Journalismus wiederentdeckt. Durch die Intro habe ich so viele tolle Menschen treffen dürfen und egal ob andere Autor/innen, Fotograf/innen oder Ehemalige, es waren jedesmal wahnsinnig talentierte, großartige und inspirierende Personen. Intro war einfach nur eine ganz große Liebe und ich bin unendlich dankbar, dass ich ein Stück daran beteiligt sein durfte.
Farewell