Dies ist ein Artikel über das Missy Magazine und die aktuelle Crowdfunding Aktion.
Hier kannst du MISSY unterstützen und tolle Geschenke kriegen: https://www.startnext.com/10undmehrmissy
„Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass sich der Hype um Feminismus überhaupt nicht in den Strukturen abbildet, weil es einfach nicht genügend Mittel für feministische Projekte gibt, die wirklich strukturverändernd sind.“ (Missy Magazine Mitgründerin und Herausgeberin Stefanie Lohaus in “Kleiner Drei”)
von Kerstin
Ich kann mich noch gut an den Moment erinnern, als ich innerlich beschloss, meinen hart erkämpften Redaktionsjob als Kulturredakteurin bei der SPEX zu kündigen. Es war in der zweiten Hälfte der 90er Jahre, ich war Anfang 20 und hatte das letzte halbe Jahr damit verbracht, 20 Kilo abzunehmen. Eine Diät, die in Magersucht umgeschlagen war. Das lag vielleicht alles an dem Album „To bring you my love“ von PJ Harvey; hatte aber womöglich noch 150 weitere Gründe. Vielleicht weil ich die Botschaft und das Cover des PJ Harvey Albums all zu ernst genommen hatte? Doch was PJ Harvey mir brachte war nicht Liebe, also nährende Kommunikation, sondern die unausgesprochene Botschaft, dass Frauen* nur dann kreativ und selbsbestimmt sein dürfen, wenn sie gleichzeitig auf Bildern immer dünner und zarter werden und sich als Wasserleiche ablichten lassen. Vielleicht war es ja auch gar nicht nur Magersucht, was ich mir da einverleibt hatte, sondern ein unbewusster Hungerstreik – gegen die männerdominierte Musik und Medienlandschaft und deren verlogene Schönheitsideale?
Aber es gab zum damaligen Zeitpunkt auch noch Hole, Bikini Kill und die Riot Grrrl Bewegung, für die ich mit leidenschaftichen Texten in der Spex stritt. An jenem Tag im Frühling saß ich, mit ziemlich zitternden PJ Harvey Beinen, am großen Konferenzraum in der Redaktion, um mich herum die üblichen weißen, männlichen Redakteurs-Kollegen aus der (gehobenen) Mittelschicht, und sie stritten und diskutierten über diese geile neue Musikrichtung namens „Post-Rock“. Sie wollten eine Ausgabe mit dem Schwerpunkt auf “Post-Rock” machen, denn das sei ja derzeit mindestens die relevanteste Musik der Welt, wenn nicht sogar des Weltalls.
Aber Moment mal, wollte ich einwenden, wenn ich mich nicht selbst so schwach gehungert hätte: wir sind doch mit der authentischen Rockmusik noch gar nicht fertig. Es hat doch gerade erst angefangen, dass Bands wie Bikini Kill, Sleater Kinney und Hole die Wahrheit darüber formuliert haben, was es bedeutet, als Mädchen und als Frau in diesen beschissenen kapitalistisch-patriarchalischen Gesellschaften zu leben. Wir haben doch noch so viel ECHTES mitzuteilen, mit Worten. Mit TEXT, TEXT, TEXT… Aber ich blieb still und kündigte wenig später meinen Job. Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen, als Mädchen in der (Pop)-Musikwelt der Jungs und Männer quasi mitgemeint, aber eigentlich gar nicht gemeint zu sein. Oh, ich hasste Post-Rock und ich liebte Riot Grrrl! Musik ohne Text flößte mir ein unbeschreibliches Entsetzen ein. Und auch die damals angesagten Techno und Electro-Sachen machten mir irgendwie Angst. Es musste doch möglich sein, alles auszusprechen und zu sagen, was ich da gerade Schlimmes erlebt hatte. Aber wo? Und mit welcher Musik im Hintergrund? Und wie? Genügte das Schreiben über Musik und Kultur überhaupt? War da nicht ein tieferer politischer Abgrund, der selbst Szene-Berühmtheiten wie mich langsam mal sprachlos machte.
Ich wunderte mich über mich selbst, wieso kam ich aus der Hungerspirale nicht mehr heraus? Wieso war ich in diesen Rausch des Immerdünnerwerdens geraten? Eins begriff ich instinktiv: Immer wenn Frauen, Mädchen, Queers und Trans* sich eine Kunstform ein klein wenig erarbeitet oder „erobert“ haben, kommt ein weißer Mann und beschließt, dass die Kunstform jetzt beendet ist und es was Neues geben muss. Ich wollte auf Post-Rock scheißen und meine Erfahrungen, die ich persönlich mit der Popkultur der 90er Jahre gemacht hatte, in eben jene Popkultur zurückgeben und sie zu verändern. Ich beschloss, einen Roman zu schreiben, Gesang zu lernen – und auf ein Wunder zu warten. Es gab doch so viele Mädchen/Frauen wie mich, so falsch und krank würde es doch nicht ewig weitergehen…
Zum damaligen Zeitraum, als ich um die 20 war, war es wirklich undenkbar, dass Body Politics und die damit verbundenen Themen wie z.B. Fat Shaming, Slut Shaming, einmal ein selbstverständlicher Bestandteil von Pop und dem Reden darüber sein würde. Die Erfahrungen, die eine als Mädchen* und Frau* machte, spielten einfach keine Rolle im Pop-Diskurs, es sei denn Sandra und ich brachten es selber ein. Aber es blieben „Frauenerfahrungen“; und keine Pop-Erfahrungen. Wenn es damals schon Missy gegeben hätte, hätte ich mich nicht so alleine gefühlt, mit dieser Verwirrung in der ich mich plötzlich befand!!! Missy war das Wunder, auf das ich schreibend und streitend und schweigend gewartet hatte.
Die spätere Missy-Herausgeberin Sonja Eismann war es dann auch, die meinen 2004 erschienen Roman „Zuckerbabys“ am treffendsten in einem Satz zusammenfassen konnte: „Der Roman handelt davon, wie es sich anfühlt, in der zuckrigen Warenwelt des Pop einfach zu verhungern“; schrieb sie in der Intro.
Es sollte noch mehr als 10 Jahre dauern, bis es 2008 endlich ein Popkulturmagazin gab, das die Erfahrungen, die Frauen* mit der Popkultur machen, zentral setzte. Die Missy schrieb einfach gar nicht über Platten von Männern, sondern “nur” über die tolle Musik von Frauen, Mädchen, Queers, Trans*. Was für eine Kulturrevolution! 🙂 Dieses Magazin führte keine Diskussionen über männlich dominierten Post-Rock! Die weiblichen* Stimmen und Erfahrungen wurden nicht stillschweigend beiseite geschoben, sie wurden sogar immer mehr. „What it feels like for a girl in this world“, wie mittlerweile selbst Madonna sang.
Am Anfang war “die Missy” ein Popkulturmagazin, das aber immer noch einen Dreh ins Politische fand. (Denn, warum sonst sollte eine ein Magazin für junge Frauen* starten, das sich dezidiert mit dem damals im Zeitgeist noch verhassten Zauberwort „Feminismus“ schmückte, ohne politisch zu sein…) In den letzten Jahren hat es sich dann mehr und mehr zu einem politischen Magazin entwickelt, das aber immer noch einen Bezug zur Popkultur hält. Analog vielleicht zu den Entwicklungen innerhalb der Popmusik selbst: die Frauen* sind immer rebellischer geworden in diesen 10er Jahren, die Kämpfe immer intersektionaler bzw. die Kämpfe für Intersektionalität und Gerechtigkeit für marginalisierte Gruppen, wurden sichtbarer! Es ging jetzt nicht mehr nur darum zu hinterfragen, warum weiße Frauen* aus der (in meinem Fall marodierenden) Mittelschicht sich in der zuckrigen Warenwelt des Pop zutode hungern, sondern auch um die Erfahrungen von Menschen, die von vorne herein noch mehr ausgeschlossen werden: z.B. um die spezifischen Diskriminierungs-Formen von Queers, Trans* und PoC, die sich von den Erfahrungen weißer Mittelschichtsfrauen* unterscheiden. Um sexualisierte Gewalt, Fat Shaming usw.
Oder, in den Worten von Missy, die immer auch noch die optimistische Variante wählen, wie es sich eben für ein Magazin gehört, das immer auch den fröhlichen Grundtenor und die Aufbruchsstimmung der Popmusik im mp3-Player hat: „Caring is Sharing“ (so der Titel der aktuellen Crowdfunding Kampagne), „unabhängiger feministischer Journalismus mit Haltung“; „Missy verbindet Pop und Feminismus, konsequent, queer und intersektional.“
GET UR FREAK ON!
Nach all den auch weltweiten Bewegungen im Feminismus ist heutzutage klar, dass wir zwar alle einen Freak in uns haben, aber keine Freaks sind. Dass wir uns eben nicht zu Außenseitern degradieren lassen, sondern uns lieber mal überlegen, wie freaky eigentlich eine Welt ist, in der von Frauen* verlangt wird, dass ihnen doch zumindest die Skinny Jeans in Größe 40 bei H & M noch passen muss, oder dass Menschen sich gefälligst einem Geschlecht mit stereotypen Zuschreibungen zugehörig fühlen sollen.
Wir wünschen der Missy jedenfalls zehn weitere tolle Jahre, in der sie die Wahrheiten, die sie in diesem Jahrzehnt in die Herzen ihrer Leser*innen und in die Bahnhofskioske gebracht haben, bei ihrer Verwirklichung auch auskosten darf!! Trotz oder gerade wegen des rechtskonsverativen und rechten Backlashs ist das heute umso wichtiger! Eine kämpft jetzt nicht nur gegen die linken (Musik-)Besserwisser in der eigenen Bubble, die die Inhalte des Feminismus nicht begreifen wollen, weil sie Angst haben, von ihrem Privileg was abgeben zu müssen. ( Unter uns: es war doch zu Beginn 2008 völlig absurd, dass die Missy mal wichtiger sein würde als die INTRO. Aber sie hat es geschafft, obwohl ihre Acts nicht auf allen großen Rockfestivals spielen. Vielleicht gerade deshalb.) Die Gegner*innen sind mehr geworden! Und unangenehmer.
Es wäre also zum Kotzen oder zum Hungern, wenn so eine wichtige Zeitschrift ausgerechnet an ihrem 10. Geburtstag dasselbe Printschicksal erleiden müsste, wie die Intro und andere Magazine. Vielleicht verkörpert die Missy ja heute den “Mainstream der Minderheiten“ von dem die SPEX und wir in den 1990ern nur fantasieren durften. Denn die queerfeministische oder antirassistische Bewegung war da ja noch in den Kinderschuhen, in Deutschland.
Und dann dürft ihr euch auch noch freuen über die tollen Prämien, die Missy mal wieder bereit stellt!
Aber die größte Prämie ist ja, dieses Magazin lesen zu dürfen. Und in einer Zeit leben zu dürfen, in der all diese Ideen nicht mehr nur utopisch sind, aber eben auch noch lange nicht selbstverständlich durchgesetzt und immer weiter erkämpft werden müssen, und auch immer noch fragil dastehen!
Und so kann man Stefanie Lohaus nur zustimmen und sich darüber freuen, wenn sie sagt die Missy wolle „immer noch einen Schritt weiter gehen und unbequem bleiben.“
Wenn der Feminismus in echt vielen Leben von echt vielen Menschen etwas ändern soll und nicht nur ein Hype bleiben soll, dann müssen auch echt viele Menschen etwas tun und ihn – in dem Fall „sie“, die Missy – unterstützen!
Also letzte Bestellung für die aktuelle Crowfunding Runde!
Sucht euch was Schönes aus. Im Kapitalismus kostet die bessere Gesellschaft halt Geld. Und so viel ist es ja auch nicht, dass man sich nicht mal ein “Suga Mama Missy Abo”, die Kaffeeassen oder eins der schönen Plakate leisten kann – oder sogar ein beratendes Shopping mit Missy oder ein Kaffeeklatsch in der Redaktion:
Denn “Caring is sharing”! Auf die nächsten 10 Jahre!! Mit tollem, engagiertem Journalismus, gut recherchierten Texten und sowieso dem weltbesten Layout!