von Rafik Will und Sandra Grether
“Ich glaube, es sollte viel mehr Solidarität geben mit Risikogruppen, die außerhalb der eigenen Privilegien liegen.”
Diesen Frühsommer war es soweit: „Aids-Follies” eine fetzige Crossover-Revue von Johannes Müller, Philine Rinnert und Genoël von Lilienstern zur Entstehung des HI-Virus hatte Premiere.
Auf der Festsaal-Bühne der Sophiensäle standen dabei die vier Performer*innen und Schauspieler*innen Valerie Renay, Sirje Viise, Shlomi Wagner und Hauke Heumann. Entscheidende Takte spielten auch die Musiker*innen Misha Cvijovic, Sabrina Ma, Beltane Ruiz.
Wie kam der HI-Virus auf die Welt und welche Pfade hat er danach eingeschlagen – diese Frage dient der groovigen sozialmedizinischen Coming-of-Age-Story – grob gesagt – als Basis. Ein Anlass für das Stück war eine neue Studie der University of Arizona in Tucson, die den weitverbreiteten Mythos widerlegt, wonach der Flugbegleiter Gaëtan Dugas der “Patient Zero” war – und wesentlich verantwortlich für die Ausbreitung des HIV-Virus. Obwohl das wissenschaftlich schon länger als Missverständnis feststand, wurde Gaëtan Dugas erst 2016 öffentlich rehabilitiert.
Von der „weltweit ersten virus-biografischen Show”, waren wir so beeindruckt, dass wir dazu dem Schauspieler Hauke Heumann ein paar Fragen gestellt haben.
Übrigens: 2019 im Februar in Stuttgart und im Herbst in Wien kann man die Show wieder sehen!
Für Termine guckt auf jm-pr.org
1 Ende Juli fand in Amsterdam die internationale „Welt-AIDS-Konferenz statt. Eine Gelegenheit, zu der diese Krankheit mal etwas mehr im Fokus der veröffentlichten Meinung steht. Das Theaterstück „Aids Follies“, an dem Du als einer von vier Schauspieler*innen mitgewirkt hast, thematisiert diese vernachlässigende mediale Behandlung der Immunschwächekrankheit. Ihr habt dafür die „New York Times“ durchforscht. Was waren eure Ergebnisse und was war für Dich und Deine Kolleg*innen die Motivation, ein Stück zum Thema AIDS zu machen?
Hauke Heumann: Im Stück AIDS FOLLIES haben wir tatsächliche mehrere Spuren verfolgt und eine davon war die Auseinandersetzung damit, wie in den Medien über AIDS berichtet wurde, wie stark da Kriegs- und Kampfmetaphern eine Rolle gespielt haben, und wie heftig bestimmte Außenseitergruppen dämonisiert wurden. Für mich war schon ein Teil der Motivation, an diesem Projekt mitzuarbeiten, diesen Vorgang zu kritisieren und offenzulegen.
Bild 1: vlnr: Sirje Viise, Hauke Heumann, Valerie Renay, Shlomi Wagner. Bild 2: Valerie Renay und Hauke Heumann
2 Euer Stück handelt in großen Teilen vom Mythos um „Patient Zero“. Der kanadische Flugbegleiter Gaëtan Dugas galt jahrelang als „Monster“. Ihm wurde unterstellt, maßgeblich für die Verbreitung des Virus in Nordameika verantwortlich zu sein. Vor zwei Jahre wurde er rehabilitiert – bei eurem Stück wird er sogar zum Helden stilisiert. Warum das? Wollt ihr mit dieser Heroisierung aus der Opfer-Täter-Matrix ausbrechen?
Eine zweite Spur waren unterschiedliche Zeugenberichte von Freund*innen und Bekannten von Gaëtan Dugas. Ein Autor hat vor kurzem ein Buch veröffentlicht, in dem er diese Menschen zu Wort kommen lässt, um den Menschen Gaëtan Dugas wieder sichtbarer werden zu lassen, nach all den Stilisierungen zum Monster oder zum Held. Ich finde, durch die Ebene in unserem Stück passiert ein ähnlicher Vorgang. Dass wir dann den Abend mit einem Requiem für Gaëtan Dugas enden, ist auch dem Versuch geschuldet, Musiktheater zu machen. Der Komponist Genoel von Lilienstern meinte, es wäre doch spannend, ein Requiem zu komponieren, wo all die unterschiedlichen Perspektiven auf Dugas nochmal zu Wort kommen. So entsteht ein vielschichtiges Bild seiner Person, wo er weder nur Opfer noch nur Täter ist.
3 In dem Stück gibt es eine fiktionale und eine dokumentarische Ebene, die beide auf spielerische Weise miteinander verflochten sind. Wie seid ihr bei der Recherche und bei der Strukturierung des Stücks vorgegangen?
Die Recherche haben vor allem Johannes Müller und Philine Rinnert gemacht, die auch verantwortlich sind für Regie und Bühne. Die beiden hatten schon länger den Plan, eine Dugas-Oper zu machen, jetzt war es endlich so weit, und die beiden haben dann fast zwei Jahre recherchiert, in Archiven in London und New York zu Act Up, im Schwulen Museum*, zu Ästhetiken von Widerstand, und die beiden hatten schon sehr genaue Vorstellungen, was dann im Stück auftauchen sollte. Die fiktive Ebene waren vor allem Gedichte von Ronald M. Schernikau z.B. oder politische Aufrufe, verantworliche Politiker anzurufen, daraus konnte man dann poetische Laurie-Andersonhafte Bilder entwickeln, wie „die einsame Rose“ oder den Tanz mit dem Telefon.
4 Auf was für Verschwörungstheorien seid ihr gestoßen?
Da gibt es ja die irrsten Geschichten: wie eine Genmutation der Aliens, die bei Roswell damals abgestürzt sind, über den amerikanischen Geheimdienst selbst verbreitet wurden, und das war dann der HI-Virus. Ich finde aber auch die Idee sehr abgedreht, dass die Schwulen in ihren darkrooms hygienische Zustände wie in der „Dritten Welt“ gehabt haben sollen, unter denen dann ihr Immunsystem zusammengebrochen sei.
5 War es euch wichtig über die wirkliche Entstehung und Verbreitung von HIV aufzuklären? Oder habt ihr das Ganze eher als künstlerischen Auftrag empfunden?
Für mich war es schon eine dokumentarische Entdeckung, dass bei der Verbreitung des HI-Virus auch der Kolonialismus der Deutschen in Kamerun eine Rolle gespielt hat, mit seinen neuen Transportwegen, den größeren Städten und den Zwangsimpfungen. Ich denke, da erfüllen wir schon eine Aufklärungsauftrag. Die Reenactments der Protestformen und die Quilt-Szene als Erinnerung an die Toten der AIDS-Krise verstehe ich mehr als performatives Trauerdenkmal, also mehr als künstlerische Auseinandersetzung. Vielleicht ist beides bei uns ja ganz ausgewogen vorhanden!
6 Alle Schauspieler spielen in „Aids Follies“ verschiedene Rollen. Du spielst zum Beispiel einen guten Freund von Gaëtan Dugas oder singst ein französisches Chanson über die „Liebeskrankheit“. Wir fanden Deine Performance sehr mitreißend. Wie habt ihr die unterschiedlichen Parts entworfen und wie lief die Zusammenarbeit mit Johannes Müller (Konzept und Regie)?
Ich habe schon öfter mit Johannes zusammengearbeitet, und deshalb weiß ich schon ein bisschen, was mich erwartet. Hier war es nochmal speziell, weil ja Genoël zum Beispiel uns die Musik auf den Leib geschrieben hat, weil er die Musik noch während der Proben weitergeschrieben hat. Sonst bereitet Johannes die Proben sehr gut vor, so dass wir Darsteller*innen nicht lange suchen mußten. Er hatte auch sehr genau im Blick, welchen Part er wem geben wollte. So haben sich die unterschiedlichen Themen und Musiken gut mit uns Darsteller*innen verbunden. Die Gaëtan-Dugas-Texte habe ich aber selber aus dem Englischen übersetzt, und konnte sie mir damit gut mundgerecht machen…
7 Das Bühnenbild ist ein einziges flackerndes Spektakel aus geometrischen Formen und Neonfarben mit abgefahrenen Sachen wie Projektionen, die keine Schatten werfen. Wie habt ihr das hingekriegt?
Haha, Johannes und Philine haben mit zwei super Videokünstlern gearbeitet, mit Benjamin Krieg und Phillip Hohenwarter. Sie hatten auch schon vorher eine Residenz im Frankfurt LAB, da konnten die schon viel Technisches vorbereiten. Die beiden haben dann bis zum Schluss sehr detailversessen an der Ästhetik und der konkreten Umsetzung gefeilt. Das war super, weil die Ben und Phillip so einen guten Geschmack haben und so versiert sind. Dadurch wurde für mich die Inszenierung auch zu einem Video-Memorial.
Hauke Heumann. Valerie Renay
8 Die musikalische Ebene war auch der Hammer. Von 80s-Synthie-Pop-Reminiszenzen über klassische und Neue Musik, dargeboten von ausschließlich weiblichem* Personal an den Instrumenten. Wie lief denn die Zusammenarbeit zwischen Musik und euren Sprechtexten?
Johannes und Philine haben aus dem ganzen Material das herausgesucht, was sie am meisten interessiert hat, und haben das dem Komponisten Genoël von Lilienstern geschickt, der sich wiederum die Texte gegriffen hat, die ihn am meisten interessiert haben. Für mich war es spannend bei so einem Kompositionsprozess dabei zu sein, weil Genoël erst so Rohfassungen präsentiert hat, die dann immer weiter ausdifferenziert wurden. Ich hatte zunächst etwas Angst, wie man sich einem so ernsten und katastrophenhaften Thema wie der AIDS-Epidemie nähern kann, und war dann sehr froh, dass Genoël viel von den emotionalen Reaktionen schon in der Musik geliefert hat (Sterben, Tod, der Status undectable), so dass wir als Darsteller davon schon entlastet waren. Unsere super Musikerinnen-Band musste zum Ende des Probenprozesses noch ganz viel Zwischenmusik erfinden, um den Abend zusammenzubinden. Das hat auch Spaß gemacht, Genoël hat sich immer weiter Impro-Anweisungen ausgedacht, da ist ganz viel passiert.
9 Euer Stück liefert neben dem historischen Material auch einen Blick auf Aids und die Diskurse heute, wo es ja auch wieder darum geht, dass Menschen zu Sündenböcken gemacht werden? Magst du dazu was sagen?
Ich musste mich in die Materie erst ein arbeiten, und war geschockt, dass z.B. Menschen, die heute an Studien mitmachen, die PreP ausprobieren, mit einer ganz ähnlichen Rhetorik wie zu den Hochzeiten der AIDS-Epidemie moralisch verurteilt werden, wieviel slut-shaming es selbst in der LGBTIQ-Szene gibt, wo ich dachte, da wären wir schon etwas weiter. Bei dem Virus geht es nicht um Moral. PreP ist ein von der AIDS-Hilfe empfohlenes safe sex tool. Auch deshalb finde ich die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit aktuell, weil sie erkennbare Muster aufzeigt, die wir endlich durchbrechen müssen.
10 Die Krankheit gilt überdies als gut therapierbar und hat einiges an Schrecken eingebüßt. Ist das auch ein Grund für die Verdrängung des Themas aus den Medien? Und wie berechtigt ist diese optimistische Perspektive auf HIV?
Ich finde es heftig, wie sehr die Kontrollierbarkeit der Krankheit beschränkt ist auf Menschen mit bestimmten Privilegien. Die Darstellungen in unseren Medien spiegeln nicht wieder, wie es um die Ausbreitung des Virus wirklich steht, denke ich. Ich glaube, es sollte viel mehr Solidarität geben mit Risikogruppen, die außerhalb der eigenen Privilegien liegen.
11 Was bedeutet dir das Stück in deiner persönlichen Laufbahn als Schauspieler?
Für mich ist es das erste Mal Neue Musik Theater mit echt schwierig zu singenden Stücken, da bin ich stolz, dass wir das zusammen geknackt haben! Das eine Stück „Heartbeats“, wo wir fast nur sprechen, war ein richtiger mind fuck, weil es immer minimale Text- oder Rhythmusvariationen gibt, so dass wir die ganze Zeit hochkonzentriert sein mussten, das haben wir, also Valerie Renay, Sirje Viise, Shlomi Moto Wagner und ich, erst zur Premiere richtig hingekriegt!
Die Musikerinnen-Band, vlnr: Misha Cvijovic, Beltane Ruiz, Sabrina Ma. Und Hauke Heumann.
Auf unserem Blog gibt es ein paar Standardfragen. Mit zwei davon möchten wir das Interview abrunden:
12 Glaubst Du, dass Blumen weinen, wenn man sie pflückt? Und was sind Deine Lieblingsorte in der Berliner Natur?
Ich pflücke fast nur Gänseblümchen, aber um sie zu essen. Die haben keine Zeit zu weinen!
Mein Freund hat im Wohnzimmer einen Grünpflanzendschungel angelegt, Lieblingsort 1, der kleine Park in der Auguststr., weil wir da wohnen und das unser Balkon ist, Lieblingsort 2, Schlachtensee, der Gebrauchs-See, und der wunderschöne Liepnitzsee!!!