Der Spex-Herbst 2018.
Text 1
Julie Ruin – Über der gläsernen Decke. (SPEX, November 2016)
Wir beginnen mit einem Text von Kerstin über Julie Ruin – auch als Geburtstagsständchen für Kathleen Hanna, die am 12.November 50 Jahre alt wird! (Einen super Artikel anlässlich ihres Geburtstags gibt es auch gerade in der Jungle World von Vojin Saša Vukadinović, der sich ausführlich und liebevoll mit ihrem Wirken und der Riot Grrrl Bewegung auseinandersetzt.)
Die Musik gleichbleibend: mal melodiös, mal rau, immer over the top, high energy, hochfahrend und drumlastig-geerdet zugleich, über Stunden hinweg: Kathleen Hanna spielte mit ihrer Band The Julie Ruin am vergangenen Sonntag im Berliner Columbiatheater. NilsWitte war mit der Kamera dabei, Kerstin Grether mit Herz und Seele – die Rückblende.
„Don’t know what I want, but I know how to get it.“ (The Sex Pistols)
Still gives riot grrrl und Popfeminismus a good name – du darfst auch Punk-Rock dazu sagen. Toll sieht sie aus, in diesem beckenbetonten Unterhosen-Look, und dem großen Lächeln im Gesicht. Ein Frau, der man ihren Humor schon auf zehn Metern Entfernung ansieht, obwohl sie heute ernst ist, wie es ernster nicht mehr geht – vor allem in den Zwischenansagen. Es sei so schön mal ein paar Tage woanders als in New York City zu sein, sagt die Ikone aller großen und kleinen riot grrrls und – boys gleich zu Beginn des Konzerts, und sie meint damit dieses neue, alte, dieses jetzt schon so genannte „Trump-Amerika“.
Ah, und für mich ist es schön mal ein paar Stunden in diesem anderen Amerika zu weilen, das es ja auch noch gibt und das sie live und in Farbe mitgebracht hat: dieses feministische Amerika, das schon vor 25 Jahren gelernt hat, Riot-grrrl-Bands auf seinen Bühnen zu ertragen und ja, sie sogar zu lieben und zu buchen und zu besuchen. Was Kathleen Hanna von dort, aus der kaputten Puppenstube des Do-It-Yourself-Glücks so mitgebracht hat, kann sich an diesem kalten Wintersonntag sehen und hören und fühlen lassen: Solidarität mit anderen Musikerinnen zum Beispiel.
Die Vorgruppe The Rattle ist ein Drum-Duo, das aus zwei Frauen besteht. Sie sind eher unauffällige Typen, grau und schwarz gekleidet. Sie sitzen sich gegenüber, schauen kaum ins Publikum (Vorsicht Pop-Feministinnen: Musik! Extrem laute Musik noch dazu!) und sie spielen Schlagzeug. Ah, da baumeln auch noch Mikrofone herunter, beruhigend. Hoffentlich singen die gleich auch noch, denkt das gesangsverblödete Ohr, und tatsächlich, sie tun es, singen zum Schlagzeug-Tanz dazu: sphärisch, glockenhell, mit großer Präsenz.
Am Anfang staunte eine/r noch: Frauen, die Drums spielen! Genau das, was ja viel zu selten vorkommt, auf den kommerziell vollgeschissenen Bühnen des Rock’n’Roll, obwohl bestimmt viele Mädchen schon mal davon geträumt haben, Drummerinnen zu werden. (Dass es mich an Günther Grass‘ Blechtrommel denken lässt, ist natürlich nur ein fürchterlicher, links-romantischer Trick, den mein bildungsbürgerlich aufgepimptes Hirn mir gerade spielt.)
Fakt ist jedenfalls: Das Musik-Geschäft lässt nur wenige weibliche* (Charakter)-Typen dauerhaft durchkommen. Meist solche, für die es die größte Freude ist, den Körper als Instrument zu benutzen. Bei The Rattle hingegen wird der Drumsound immer körperlicher, je länger man sich diesem ungewöhnlichen Spektakel hingibt. Zwischendurch ist man auch ein wenig erschöpft oder gelangweilt, aber da muss eine/r durch! Mit Musik ist es ähnlich wie mit Bergsteigen: Man darf nicht so schnell aufgeben, wenn man hypnotische Höhen erreichen will. Und genau in dem Moment, wo ich denke, jetzt bin ich oben, jetzt reicht’s aber wirklich, ist das Rattle-Konzert zu Ende. Perfektes Timing. Perfektes Duo. Ich kauf‘ mir gleich das Album, und verzichte auf ein weiteres Glas Sekt auf Eis – ist eh zu kalt hier drinnen.
Stattdessen kaufe ich mir auch noch das rosafarbene The-Julie-Ruin-T-Shirt. Die Größe „S“ ist eigentlich eine „M“, wie man es von einer essstörungsbewussten, feministischen Band erwartet. Schade, aber toll! Ich werde es trotzdem tragen, haha, auch wenn es meine schlanke Taille nicht unbedingt herausragend betont.
Dann folgt eines dieser Konzerte, bei dem man schon am Anfang weiß, dass man so ziemlich viel ändern wird danach. In dieser Hinsicht kann es mit Bikini Kill 1996 in der Kölner Südstadt mithalten. Nein, man wird nicht so viel an sich selbst ändern, das ist auch klar. Eher so an der Gesellschaft, in der man lebt. Und natürlich weiß man nicht so genau, was man da eigentlich ändern will, außer alles, was die eigene Selbstentfaltung und die aller Leute, die man liebt, stört. Irgendwas in Richtung Arschlöchern, die Frauen* nicht durchkommen lassen, die Meinung sagen, oder so.
Oder gleich: Kampf dem politischen Backlash im Allgemeinen… Man weiß also nicht genau was, aber man weiß schon ziemlich genau, wie man es hinbekommen wird: Mit Hilfe der Energie nämlich, die der Körper jetzt direkt von Kathleen Hanna aufnimmt, wird man es schon irgendwie schaffen. Wenn man nur mal zum Nachdenken käme, aber man ist ja die ganze Zeit am Staunen und Tanzen und Zuhören. Die Punk-Sängerin gehört nämlich auch zu den Musikerinnen, die ihren Körper gleich mitperformt. Sie wirkt liebenswürdig und unerbittlich zugleich, versunken, kraftvoll, sie hat so viele Bewegungen! Es ist schon krass wie sie allein durch die Power ihrer Performance das gesamte The-Julie-Ruin-Ding trägt, obwohl sie auf der Bühne nicht einmal ein Instrument spielt.
Schon allein, wie sie diese Bühne betritt! Sie stürmt ans Mikro und bevor der erste Ton erklingt, gibt es bereits eine fünfminütige Begrüßung: „Ja, ich weiß es ist Sonntag und es ist kalt, also danke, dass ihr da seid“, bedankt sie sich beim Publikum. Sie selbst sei ja eigentlich ein Baby, sagt sie und schüttelt sich aus wie ein Baby, sie würde immer so schnell frieren… Dieses ständige Ausstellen neuer Posen, das so spontan und trotzdem mit nachdrücklicher Aussagekraft die Inhalte der Songs illustriert, macht das Konzert so mitreißend. (Es scheint, als sei sie auch deshalb so eine gute Performerin, weil sie ein Mensch ist, der sich seinen Körper mehrmals zurückerobern musste. Man weiß es aus ihrer Geschichte; sie war eine der ersten im Pop, die sexualisierte Gewalt thematisierte, später dann auch noch die Krankheit. Aber vielleicht ist es auch falsch, es darauf zurückzuführen, und sie hat es einfach ins sich.)
Die Arme, das Becken, die Beine, der Mund: Alles an dieser Frau ist ständig in Bewegung und es scheint genau Sinn zu machen. Wie sie da ohne fremdbestimmte Choreographie ihre Songinhalte rüberbringt, jede Phrase mit einer neuen Haltung – das ist phänomenal! In der Rockmusik ist so etwas auch selten geworden. Viel zu oft sieht man Bands live, die hinter ihren Instrumenten verschwinden und das Publikum wie eine störende Meute statt wie eine offene Versammlung behandeln. Kathleen Hanna hingegen wirkt an diesem Abend, mit ihrem süßen, schwarzen Dutt, wie eine schon immer aus der Rolle gefallene Audrey Hepburn oder Micky Maus. Einmal sagt sie stolz und belustigt: „I’m 48“. Weil natürlich klar, dass Alter bei riot grrrls nie eine Rolle spielen wird. Sie kann es nicht fassen, sagt sie mehrmals, dass Hillary, für die sie ja sogar einen Song geschrieben hat, nicht Präsidentin geworden ist. „Never forget, we love you“ schreit eine Fanlady aus dem Publikum. Hanna scheint kurz besänftigt, bevor sie wieder loslegt. Und uns mit der Gewissheit zurücklässt, dass immerhin sie, mit ihrem sehr hohen, stürmischen Belting-ohne-Belting-Gesang, der an X-Ray-Spex Frontsängerin Poly Styrene erinnert, jederzeit jede unsichtbare Glasdecke zum Einstürzen bringen kann – zumindest die im Punkrock.