von Kerstin
14. Februar. Es ist der Tag der Liebe. Viktor dreht auf; Lautsprecherstöpsel im Ohr, sein MP3-Player gibt das alles her: von „Heart of Glass“ – Blondie bis „Er will Sex“ – SXTN. Die Sonne macht mit, die Luft, die Temperaturen. 10 Grad, oder sogar 11, werden heute in Berlin gemessen.
„Wenn die Mädchen rote Schuhe tragen und der Westwind küsst ihr Haar, halte sie nicht auf mit deinen Fragen, denn dann ist es so weit, dann ist der Sommer da, und er bleibt das ganze Jahr,“ freut sich der Sänger Funny Van Dannen, den Sergio zur Feier des Tages – zur Feier der Ereignisse! – mit in den Park gebracht hat.
Da sind sie ja plötzlich alle wieder, die Park-Schwänzer, die Abtrünnigen dieses Winters. Sie sitzen auf den Park-Bänken und auf den Stufen des Cafés, sie haben ihre kleinen Hunde mitgebracht, die fröhlich und hübsch, wie Hunde nunmal sind, durch die Sonne wackeln; Viktor betrachtet das Schauspiel aus sicherer Distanz. Es scheint wirklich, als sei der Sommer da, oder doch zumindest erste Stichproben eines kommenden Frühlings, aber wo ist der Winter, der gerade noch war? Steckt er in der selbstverständlichen Lebensfreude, die er mit jeder Faser seines Körpers ein und ausatmet. Wie toll die Luft überhaupt riecht, süß-würzig, neu auf jeden Fall.
Wo wart ihr eigentlich, wo waren sie alle, die neuen Sonnenanbeter*innen, als es matschig und kalt war und der Schneeregen die weißen Turnschuhe schmutzig gemacht hat; in der zweiten oder dritten Januar-Woche? Noch gar nicht so lange her. Als das Thermometer am Nachmittag minus vier Grad zeigte, und sich der Himmel schon um drei Uhr nachmittags verfinsterte. Wo, als der große Sturm kam, und die Äste der Bäume wild herumwirbelt hat? Wo am Weihnachtsnachmittag oder am 31. Dezember, als die kleinen Jungs hier wie blöde rumgeböllert haben, dass selbst Viktor ein bisschen das Herz im Arsch geklopft hat. Ich war immer im Park, denkt Viktor, an jedem gottverdammten Scheißtag dieses Winters. Ich und die Jogger und ein paar Mütter mit Kinderwägen.
Jetzt sitzen die Herrschaften auf den Bänken, als ob sie nie weggewesen wären. Wie in einem Computerspiel: einmal auf den Button gedrückt und alle Menschen wieder da. Schön. Auch die Enten schwimmen wieder im Teich herum. Nicht nur eine oder drei, zwanzig, dreißig, tummeln sich im unteren Teil des Teichs, sie schmiegen sich aneinander wie Spielzeug-Enten, als wollten sie sich noch ein bisschen wärmen, sie liegen hinter dem Sonnenschein wie hinter Schaufensterglas. Viktor fühlt sich jetzt auch ein bisschen wie ein Kind, dem man sein Weihnachtsgeschek vorenthalten hat, und jetzt, im Februar bekommt er alles auf einmal: Sonne, 10 Grad, oh Mann, daraus kann man eine Menge machen. Man kann zum Beispiel eine Stunde auf einer Bank draußen sitzen ohne sich zu erkälten. Man darf an die frische Luft, und trotzdem faul sein. Das ist das Schönste!
Wenn er ehrlich ist, teilt er seinen Park gerne mit den Winter-Verrätern. Es ist zwar so, wie `Lil Wayne als erstes pumpen und plötzlich waren sie alle Fan. Er sieht erstmals wieder in Gesichter, wie Leute überhaupt so aussehen, er kannte sie schon nur noch von Twitter und Instagram. So sehen also die echten Leute aus, in echt. Jünger als jung, älter als alt, und groß und klein und leuchtende Haare und Mützen und Mütter und Hipster und Väter und Gangster. Auf den Bänken, bei den Blumenbeeten, mit Ingwertee in Bambusbechern und kettengerauchten Zigaretten, und sie schauen hochkonzentriert auf ihre Handys, bis die Sonne ihnen ins Bild greift und sie das Bild wegschieben. Aus diesem oder einem anderen Grund.
„Du und ich im Riesenrad, hoch über der Riesenstadt“, sogar der von Viktor so getaufte „Sauerstoffweg“, weil er inmitten von Wald liegt, ist voller vorsichtig-fröhlicher Statisten.
„Wenn die Mädchen rote Schuhe tragen, sagt die Einsamkeit bye bye“ reimt sich da auf „fliegt ein Cabrio vorbei.” Denn der Sommer ist schon da – und er bleibt das ganze Jahr.