6. Mai
“Radio, whats`s new? Radio, someone still loves you.”
von Kerstin
Do you speak English? Honey, I do!
Letzten Montag hab ich mir ein kleines Transistorradio gekauft. Mit Batteriebetrieb! Mir ist nämlich aufgefallen, dass ich immer nur im Internet oder auf einem rumpeligen, knirschenden CD-Player Radio höre. Wenn überhaupt. Und da hat mich das gute, alte Transistorradio in Form seiner schlichtschönen, silbrigschwarzen Ummantelung so lieb angeschaut, dass ich es sofort haben wollte. Es wäre natürlich moderner gewesen ein Digital-Radio zu shoppen, aber darum ging es mir ja genau nicht; um sowas wie “modern“. Also Radio hören, wie früher, in meiner Kindheit und Jugend: Radio hören auf einem Radio, das man von einem Zimmer zum anderen tragen kann, wie ein Baby; wobei “Baby” nebenbei gesagt immer noch die am meisten gebräuchliche Anrede des geliebten Gegenübers in Popsongs ist – und zwar auf allen Kanälen. Was soll ich sagen: es ist sooo schön! Ich bin glücklich, echt wahr, nur wegen dem verdammten Radio. Dabei gibt es so viel, was es nicht kann. Es kann zum Beispiel kein Radio Fritz. Dabei dachte ich doch beim Kauf, dass ich jetzt wohl den ganzen Tag Radio Fritz hören würde, wie neulich, als der Taxifahrer mich fragte: was ich hören will (ein guter Trick übrigens, für mehr Trinkgeld, das ich prompt gegeben habe) und ich „Radio Fritz” gesagt habe. Aber nun gut: Radio Fritz ist einfach zu modern für mein kleines Transistorradio und ich hätte mich ja eh wieder nur darüber aufgeregt, dass sie immer nur Indiemusik von Männern spielen. Und die paar Musikerinnen, die dort laufen, der Rote-Teppich-Mainstream sind. Zum Aufregen bleibt aber auch so noch genug Möglichkeit, nur, dass ich darauf keinen Bock hab. Ich rege mich also lieber nicht übers Radioprogramm auf, was soll der Scheiß, gibt`s nicht genügend größere Probleme auf der Welt. Stattdessen bin ich wieder das Kind, das gar nicht auf die Idee kommt, dass es auch besser oder anders gehen würde, sondern einfach nur herumstaunt, und alle zwei, drei Minuten daran herumdreht, um noch mehr spannende Musik und Redebeiträge zu finden.
Eine Sucht, fast schon. Was mich am meisten überrascht hat, als mein Erwachsenen-Ich zeitweise übernahm, obwohl ich es ja wusste, aber zuvor eben nicht in dieser geballten Form selbst erlebt hatte: ca 98% aller Songs, die im Radio laufen sind Englisch-sprachig. Mein von “Musikerinnen-die-poetisch-auf-deutsch-singen” und von Deutschrap vorgeprägtes Hirn der vergangenen paar Jahre musste es erstmal begreifen: Ach so: die schöne englische Sprache… die Sprache der Popkultur, der Popmusik, na, klar, die gibt es ja auch noch! Komisch irgendwie, wie sich Lieder auf englisch anhhören, habe seit Jahren nicht mehr so viele gehört wie früher; von so Klassikern wie Kinks, Beatles, Pulp, Smiths und Strokes mal abgesehen. Oder mal ein Ice T auf englisch. Jetzt weiß ich nicht, wer ist provinziell: das Radiooder ich? Aber wahrscheinlich ist die Frage falsch gestellt. Die Frage müsste lauten, für mich persönlich: mach ich es mir zu einfach? Sollte ich, falls ich etwas Poetisches hören will, einfach mal wieder ein Buch lesen? Und bei Musik den Text einfach eher so nebenbei mithören (weil, das ist es auf englisch: der Text ist meistens nebenbei, steht jedenfalls viel unauffälliger, weniger plakativ im Raum; da braucht man sich nichts vorzumachen). Wo ich doch so vieles an Deutschland so scheußlich finde, einfach mal wieder Musik auf englisch. Beruhigend irgendwie, so angenehm. Immerhin kriegt man ja auch die peinlichen Wendungen weniger mit. Dabei hab ich sogar ein paar Semester Anglistik studiert, das Himmelreich der englischen Popmusik hat mich in meiner Jugend so beschäftigt, dass meine Englisch-Lehrerin irgendwann zu mir sagte, sie könnte niemals solche Aufsätze schreiben wie ich. Meine Worte für diese Aufsätze, die mir selbst völlig normal erschienen, kein bisschen Over-The-Top, kamen natürlich aus dem schier unerschöpflichen Fundus englischer Songtexte.
Tja, es ist also nicht so, dass ich es nicht verstehen würde, was die tolle Joan as Police Woman singt – oder so viele verblödete schwedische Musiker*innen mit ihrem kleckerlichen Schulenglisch. Aber ich will Musik hören wie ein Gedicht, verdammt, wo ich sofort auf Anhieb alle Abgründe, Mehrfachbedeutungen, Umschiffungen von Abgründen, alle Metaphern, Binnenreime und Was-weiß-ichs verstehen und inhalieren kann, verdammt. Hör ich eigentlich schon lieber die sexistischste Kackscheiße, wenn ich dafür in den Genuss der Doppelbödigkeiten und Substantiv-Reimknaller komme, als das emanzipatorischste Musikprojekt, wenn die Sprache dafür abgelutschtes Englisch ist? Oh, ich hab mich so sattgehört an der englischen Sprache in Songs, dass es mich selbst erschreckt, ich könnte vor Langeweile in der Nase bohren, wenn ich diese ganzen großen Song-Schicksalsworte höre: tomorrow auf sorrow – och, nee, morning auf warning: och nee. “I never forget the time that you told me you were mine.” Oh nein! Immer noch: “time” auf “mine.” Ist das wirklich wahr? Natürlich verstehe ich auch, dass man da vermutlich nicht auf die Originalität der Wortwahl achten darf, wenn eine Sängerinpianistin, wie gestern Nacht bei der tollen, melancholischen Kings-Hour auf radioeins singt, haucht, magict: “Can you hear the silence inbetween, can you feel the love that`s always been.“ So klangen meine englischen Songtexte auch, die ich mit 15, 16 geschrieben habe, genau so. Aber es fällt mir schwer, davon mitgenommen zu sein. Es klingt für mich bisweilen wie „großes Schüler-Aufführungskonzert in der Aula“, eine Songwriterin trägt ihre Ergüsse vor. Hilfe, das muss aufhören. Ich muss es endich wieder ins richtige Lot, Gleis kommen: Deutschrap ist pubertär und das Zeugs hier ist erwachsen – und nicht umgekehrt. Ich bin völlig verdorben von deutschschprachigen Songs, ich kapituliere. Vielleicht sind die Millenials es ja gewohnt, dass Musik in der englischen Sprache manchmal ein bisschen klingt wie Werbespot oder Evergreen. Flugprospekt. Airbnb-Werbung.
Dass die Songs, durch alle Songs die vorher so klangen, hindurchcodiert sind, und dass es klar ist, dass das nichts Neues ist, was eine da sagt oder singt, sondern es ist eben ihres; mehr so etwas wie eine Poesie-Album-Flaschenpost. „Can you hear the silence inbetween, can you feel the love that`s always been“. Das darf man nicht auf die Worte hin hören, nicht die Silben abklopfen, und neu zusammensetzen, als würde man sich in einer Psychose befinden, sondern man muss es ausschließlich auf die Bedeutung hin hören – und beim Hören innerlich mit der Musik verschmelzen. Diese schmachtenden Pianoklänge, auf das diese Zeilen gesungen sind, fast lautlos gespielt, als würde das Piano das Schweigen dann auch nochmal abbilden. So muss man das hören. Als totale Einheit von Text und Musik und dann damit weg-fliegen in eigene Geschichten, eigene Sphären des Unbewussten. Das geht echt gut, wenn man total zuhört und am besten noch im Bett dabei liegt. Nicht nebenbei, den englischen Song hören, niemals mehr nebenbei. Sonst ist er verloren, für mich. Natürlich gibt es auf Deutsch genauso viele schlechte Songtexte. Aber so eine Musik höre ich ja gar nicht erst. Die Texte der meisten neuen Songs, die im Radio gespielt werden, sind jedenfalls nicht neu, weder die Wortwahl noch die Themen, nur ab und zu mal ein neues Wort, das dann aber sofort wieder klingt wie Werbung oder Internet. Am schlimmsten sind diese kleinen, kurzen Verben und das dann so pathetisch mit der Musik aufgebaut. Ich fühl mich davon irgendwie verarscht. Den ganzen Aufwand, nur für :” I try, I try, I try” – millionenfach abgedroschen, ich versuch´s klingt viel mehr wie: ich versuch´s. Nun gut: ich versuchs, also I try. Oder müsste es nicht heißen: I´ll try?
Ich will damit nicht sagen, dass es keine Poet*innen in englischer Sprache gibt. Das wäre Quatsch. Aus Großbritannien kommt vielleichts und wahrscheinlichst immer noch die beste Pop-Musik. Aber wenn ich auch nur ein einziges Wort nicht kenne, hab ich ja schon was verpasst in Bezug auf den Gesamtzusammenhang – und gerade bei den poetischen Songs ist es dann ja mehr als nur ein Wort, das man nicht versteht. Man müsste also das machen, beim Radio-Hören, was man in der Jugend immer gemacht hat: sich die Songtexte irgendwo herbesorgen und dann nachschlagen, und dann das Lied nochmal hören, immer und immer wieder. “Mama, ich bleib zuhause, ich hab Bauchweh, ich muss Songtexte nachschlagen.” Das habe ich wirklich gemacht, das war früher einer meiner Gründe fürs Schuleschwänzen (und erklärt vielleicht die Begeisterung der Englischlehrerin). Aber jetzt damit nochmal anfangen??
Hey, hallo Kerstin: du bist Musikjournalistin, du darfst doch zuhause bleiben, du hast doch einen Beruf daraus gemacht Songtexte nachzuschlagen. Ja, liebes Radio, aber ich bin zu faul, das bei jedem einzelnen Song zu tun, und es ändert nichts daran, dass die meisten Phrasen aber eben doch abgedroschen sind. Aber das sind sie auf deutsch doch auch? Ja, nein, vielleicht, ich weiß nicht. Hm. Ehrlich gesagt, ich würde lieber russische und polnische und türkische Musik im Radio hören, auch wenn ich die Sprache nicht verstehe, als das Englisch für Schuleschwänzer. Dann kauf dir doch ein Digital-Radio. Vielleicht kriegst du dann einen italienischen Sender rein oder so. Gute Idee. Aber im Moment bin ich noch in das Transistorradio verliebt. Es ist so schön und einfach und auch ein bisschen glatt. Aber genau so solls doch sein, das Radiohören. Verstehe. Oder verstehe eben nicht.