von Sandra
„Aber ich halte es mit Stephen King und schaue mir zuerst die Leute an, die da auftauchen, und gucke dann, in welchen Quatsch die so hineingeraten.“
Der zweite Roman von Jasper Nicolaisen verspricht „eine Regenbogen-Familiensage im Almadóvar-Format“ zu sein – eine Ansage, die “Erwachsen” locker halten kann – und noch vieles mehr!! Am morgigen Donnerstag liest der Autor bei KRAWALLE UND LIEBE. So spannend das Buch, so spannend sind auch seine Antworten auf die Fragen – und das, obwohl ich ganz vergessen habe, ihn auf den Vampir anzusprechen, den sein Protagonist Thomas ganz sicher in der Kindheit gesehen hat…
1 Ich habe dein Buch in zwei Tagen runtergelesen, konnte fast schon nicht mehr schlafen, weil ich unbedingt wissen musste wie es weitergeht. Das Tolle an dem Roman ist, wie queere/ intersektionale Diskurse in einer alltagstauglichen Geschichte wie selbstverständlich miterzählt werden, also die Gegenwart des Jahres 2019 ist in allen Dialogen präsent ist, und gleichzeitig ist es auch eine Abenteuergeschichte: weil der Teenager-Sohn Beat des Hauptprotagonisten Thomas gerade jetzt von seinen Müttern abhaut – mit der Freundin quer durch die Nacht – und dann auch noch ausgerechnet zum Opa, wo noch immer aller untoten Schrecken lauert.
Wie bist du auf die tolle Story gekommen? Welche Inspirationen liegen dem zugrunde?
Jasper Nicolaisen: Das ist immer so die Hansfrage – ich weiß es manchmal auch nicht. Ich glaube, mir fallen Geschichten wie diese ein, weil ich erstmal viele verschiedene Dinge in meinem Leben mache und mich in ganz unterschiedlichen Kontexten bewege, die aber alle so ein bisschen durch ein geheimes Band miteinander verknüpft sind. Ich bin Erzieher im Kinderladen, ich bin Therapeut und arbeite mit queeren Menschen, die endlich auch mal über andere Dinge als Queersein reden möchten, ich schreibe Geschichten und für Zeitungen, ich bin Vater von zwei Pflegekindern, und dann pütschere ich noch ein bisschen mit Musik rum, mache Fantasyquatsch und schlage mich in der Boxhalle rum. Manchmal fragen mich Leute, wie ich das alles schaffe – na, ich langeweile mich schnell, aber für hängen auch alle diese Arenen gewissermaßen miteinander zusammen.
Es geht immer um Menschen, wie die ticken, wie viel Nähe es braucht, wie viel Distanz, wie ich mich selber dabei fühle, und ob nicht alles auch ganz anders sein könnte, wenn nur ein bisschen was anders läuft. Das ist so der gemeinsame Nenner. Und oft fliege ich so von einem Lebensbereich in den anderen und stelle fest, ach, das ist ja wie da drüben, wo ich gerade herkomme, lustig … das abzugleichen und weiterzuspinnen, das arbeitet ständig in mir, und dabei kommen Geschichten raus. Und Geschichten sind dann bei der ganzen Arbeit mit Menschen auch mein eigenes Reich in meinem Kopf, wo es mal nur um mich geht.
2 Der Ausgangspunkt in dem Buch ist der Tod des Lebensgefährten von Thomas. Plötzlich stellt dieser sein ganzes Leben in Frage. Ein Taxifahrer empfiehlt ihm eine „Einzelfallhilfe“ zu beantragen. Mit dieser Idee nimmt der Roman Fahrt auf. Zum Beispiel taucht die schillernde Figur
Spritney Bears vor seiner Haustür auf und nimmt den „Auftrag“ an. Wie entwickelst du deine Figuren?
Die Figuren haben einerseits ganz klassisch Anteile von mir selbst, die ich übersteigere und überlebensgroß mache. Ich probiere, wie in so einem Fantasy-Rollenspiel,dann Dinge aus, wie es wäre, wenn ich viel mehr so wäre oder so -oder ganz anders… und dann arbeite ich manchmal sehr funktional, fast mechanisch: was braucht die Story noch? Wenn es einen Mann mittleren Alters gibt, dann wäre als Kontrast ein Teenager ganz gut … und dann taucht der Opa ganz von selbst auf, der die Generationenreihe vervollständigt. Aus diesen Figuren entwickle ich meist überhaupt auch erst die Geschichten.
Manche Autorinnen arbeiten ja vom Plot her, manche von den Grundkonflikten, aber ich halte es mit Stephen King und schaue mir zuerst die Leute an, die da auftauchen, und gucke dann, in welchen Quatsch die so hineingeraten. Das bringt es mit sich, dass es in meinen Storys oft ziemlich turbulent zugeht, weil Menschen, wenn man sie lässt, selten das tun, was man von ihnen erwartet.
3 Man wünscht deinem Roman ein großes Publikum, weil du über das queere Leben, vor dem ja auch viele Leute Angst haben bzw Vorurteile, mit so viel Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit erzählst. Wie wichtig ist dir Humor? Der scheint mir das Benzin dieses Buches zu sein.
Absolut. Das rührt wirklich aus der Arbeit mit Kindern und dem Therapeutischen her. Das Improvisieren und Sich-Durchwursteln, das du mit Kindern hast, produziert einfach endlos viel Komik, und viele Alltagskonflikte lassen sich besser bewältigen, wenn man etwas lustig bleiben kann. Das überträgt sich als Haltung übrigens oft auf Kinder. Und in der Therapie versuche ich, möglichst oft mit den Klient*innen auch zu lachen – nicht, weil ich sie nicht ernst nehme, im Gegenteil. Eine Psychotherapeutin, deren Name mir leider nicht mehr einfällt, meinte dazu mal, sie würde nie über die Sorgen und Probleme, der Klient*innen lachen, aber immer gerne über die absurden Lösungen, die sich die Leute so einfallen lassen. Weil das ja die Türen öffnet, etwas Neues zu wagen, aber auch zu sehen, was man eigentlich alles schon geschafft und mit viel Mühe auf die Beine gestellt hat, auch wenn´s nicht so gefruchtet hat.
Das ist mir sehr wichtig: Ich mache mich niemals über meine Figuren lustig. Solche Geschichten mag ich auch nicht gerne lesen, wo das Personal nur vorgeführt und preisgegeben wird. Aber die unbeholfenen und so ernsthaft betriebenen Problemlösungsversuche, über die darf man gerne lachen, finde ich.
4 Mir gefällt z.B. supergut, wie du den Teenager-Sohn Beat seinen lesbischen Müttern entgegensetzt. Er hört sexistischen Deutsch-Rap und wird wegen seiner Eltern in der Schule gemobbt. Sie kriegen das aber erst recht spät mit. Irgendwie prallen da Anschauungswelten aufeinander. Inwiefern hat dich diese Polarität gereizt?
Sehr, weil ich sie ja selbst als Elternteil so erlebe. Man will eben immer alles gut machen, stößt aber schnell an die eigenen Grenzen. Bei Beats Müttern ist es zum Beispiel der große Wunsch nach Normalität nach de Nichtauffallen, der sie hindert, dem Sohn das zu geben, was er gerade braucht. Sehr verständlich, übrigens! Und diese Sexrap-Texte, die sehe ich selbst ganz ambivalent. Natürlich sind die in vieler Hinsicht schlimm, das müssen wir ja hier nicht diskutieren. Vieles ist aber auch witzig und gelungen daran. Das mag ich dann nicht in die eine oder andere Richtung auflösen, das muss im Roman so auftauchen, dass ich diese Musik, die ich mir für den Roman erstmals angehört habe, eben teils unterirdisch und teils gut finde. Das ist wohl die Ambivalenz meiner Realität gerade…
5 Auf Amazon schreibt jemand:““ Es steht außer Frage, dass Jasper Nicolaisen Thomas Manns Buddenbrooks mag, weil Erwachsen ebenso wie die Buddenbrooks ein Familienroman ist – nur eben in Regenbogenfarben. Es steht außerdem außer Frage, dass Jasper Nicolaisen Roman in mehr als nur einer Hinsicht eine Hommage an Thomas Mann und seinen Roman ist.“ Stimmt das? Auf jeden Fall ist „Erwachsen“ ja auch ein Entwicklungsroman. Und zeigt, dass Identität nie beendet ist – und immer wieder neu hergestellt werden muss.
Ja, ich liebe tatsächlich Thomas Mann sehr, wobei eigentlich den „Zauberberg“ mehr als die „Buddenbooks“, wenn ich mich entscheiden müsste. Da gibt es ja auch direkte Zitate in „Erwachsen“ in Form dieses Penis-Stiftes, den sich da alle hin und her reicht, quasi ein Staffelstab, den ich von Mann aufgenommen habe … Und natürlich war Thomas Mann auf ganz eigene Art bisexuell, was ebenfalls ein Thema des Romans ist. Ich finde mich aber auch in seiner Ironie wieder, die oft ein Mittel ist, Nähe und Distanz zu den großen Gefühlen zu regulieren, nicht zu viel und nicht zu wenig … Und er tat immer sehr bürgerlich, während es im Inneren zur Sache ging! Das kenne ich auch.
6 „Erwachsen“ ist dein zweiter Roman, die einhellige Meinung, der ich mich anschließe ist, dein Debut „Ein Schönes Kleid“, in dem zwei schwule Männer ein Kind adoptieren, ist auch schon super – aber „ Erwachsen“ ist dein Meisterwerk. Auch stilistisch ist es durchweg brillant, ereignisreich, klug, facettenreich. Wie lange hast du daran gearbeitet?
Ich schreibe, das traue ich mich immer kaum zu sagen, sehr schnell. Ich wälze so eine Idee ein paar Woche in mir herum, dann schreibe ich ein Exposee und bespreche das mit ein paar Leuten, mit dem Verlag etc. Das ist dann irgendwann so ausführlich, dass ich mir während des eigentlichen Schreibens keine Gedanken mehr um die Handlung und die einzelnen Szenen machen muss. Das ist eine Vorgehensweise, die ich von der sehr gute Autorin und Lehrerin Karla Schmidt gelernt habe. Ich schreibe dann wirklich nur noch runter. Das waren im Fall von „Erwachsen“ etwa drei Monate. Diese Arbeitsweise bringt es auch mit sich, dass ich nach dem ersten Schreibdurchlauf nicht mehr allzuviel ändere – bis aufs Streichen, was immer gut tut.
7 Du bist systemischer Therapeut, u.a. in einer Beratungsstelle für trans*Menschen. Die Frage, inwiefern dein Berufsalltag deinen Roman inspiriert, kommt mir da fast schon albern vor, so naheliegend scheint das zu sein. Magst du trotzdem was dazu sagen?
Ich bin Therapeut, aber auch Erzieher, und beides trägt immer wieder zum Schreiben bei. Von Kindern lernt man ganz gut das Improvisieren, und dass man keiner Sache von vornherein eine feste Bedeutung zulegen sollte. Das Spielen eben, das Experiment, die Welterkundung im Ausprobieren. Das hilft beim Schreiben ungemein, und in der Art, wie die Figuren mit ihren Konflikten umgehen. Und die Klient*innen, die zu mir kommen, sind einfach wahnsinnig mutig. In gewisser Weise ist es ja einfach, immer einfach weiterzumachen und sich und andere noch kränker zu machen. Leute, die das aufbrechen wollen, imponieren mir immer ungemein. Und die Lösungen, auf die die Klient*innen kommen, wenn sie einmal anfangen, mit sich zu experimentieren, sind oft atemberaubend – was nicht bedeuten muss, dass es immer riesige, welterschütternde Dinge sind. Kleine Schritte muss man sich aber auch trauen. Das sind ja oft die schwersten, weil man sie eben wirklich gehen kann, im Gegensatz zu den Riesenprojekten, aus denen eh nichts wird. Na jedenfalls, ich denke oft, wenn Leute es immer wieder schaffen, sich doch noch mal die schräge Familie anzugucken oder weniger zu rauchen oder zurückzupfeifen, wenn die Nachbarn sie anpfeifen, dann kann ich ja wohl noch so ein Buch fertigkriegen!
8 Nervt es dich eher, wenn die Leute deine Biografie auf deine Romane anwenden, oder ist das ok mit dir? Gerade bei „Ein Schönes Kleid“ hatte ich den Eindruck, dass du es vielleicht sogar forcierst, weil du auch im Klappentext erwähnst, dass du selber ein Kind adoptiert hast.
Es ist okay, weil es bis zu einem gewissen Grad stimmt. Wobei ich vor allem beim „Schönen Kleid“ immer Wert darauf gelegt habe, dass es keine rein autobiographische Geschichte ist. Ich wollte dem Eindruck entgegen treten, ich hätte mein Umfeld in ein Buch gezerrt – vor allem mein Sohn soll später nicht denken, der Papa hat der ganzen Welt erzählt, wie ich in die Windeln gemacht habe. Ich bin von mir ausgegangen, aber ich habe, wiederum wie im Rollenspiel, schon etwas sehr anderes aus meinen Erlebnissen gemacht.
9 Sehr gelungen ist auch die Figur des Vaters von Thomas Weißmann, der exzentrische Fotokünstler Edgar Edel. Schon allein der Name! Er gibt der Geschichte etwas Schillerndes, wenngleich er auch als sehr unsympathisch geschildert wird. Wie wichtig war dir auch hier das Nebeneinander von Glamour und menschenverachtendem Abgrund?
Das ist eine bestimmte Form von männlichem Künstlertum, die heute immer noch sehr lebendig ist und viel Bewunderung erfährt. In dem Buch geht es ja stark um verschiedene Modelle von Männlichkeit, und das ist so der Typ „brutales Genie“, wie vielleicht Lou Reed, Kippenberger, Bukowski, diese ganzen Typen, die auch sonst ziemlich reflektierte Dudes unkritisch abfeiern. Nun hat natürlich Lou Reed auch tolle Musik gemacht, klar. Aber oft hieß es dann: sorry, dabei gehen natürlich auch ein paar Leute in meinem Umfeld kaputt, kann man nix machen. Dieser Mythos nervt mich unheimlich, dass (männliche) Künstler antisozial, einsam und zerstörerisch sein müssen. Ich würde mir wünschen, mehr zu kooperativen, weniger geniefixierten Formen der Arbeit zu kommen. An der Figur Edgar Edel fand ich auch interessant, wie dieses Genietum zusammengeht mit einer Art der sexuellen Selbstinszenierung, die durchaus schwul sein darf – und das wird dann ja in dem Roman ein bisschen die Tür, hinter der eine andere Seite dieses Mannes sichtbar wird.
10 Es kommt auch viel Musik vor, in dem Buch. Du zitierst Songzeilen. Wie musikalisch darf ein Roman sein?
Wenn´s nach mir geht, sehr. In diesem Buch läuft die Musik ja fast als Soundtrack mit, untermalt einige Szenen, bildet ein Leitmotiv für manche Figuren (Thomas Mann wieder, ha!), eröffnet auch einen anderen Resonanzboden für die Handlung, weil zwischen den gedruckten Zeilen Zeitdiskurse anklingen, die eher im Pop verhandelt werden als in der Literatur. Da habe ich mit viel Freude eine andere Ebene eingezogen. Und ohne jetzt zu verkopft klingen zu wollen, ein kleines Bisschen habe ich tatsächlich auch an Sampling gedacht, an die ganzen Fragen nach Original und Kopie, nach Aneignung und Umwandlung, die im Pop immer mitverhandelt werden, und die auch für Genderfragen immer im Raum stehen. Zum Beispiel, wenn ein Beatleslied über die buddhistische Gleichförmigkeit der Welt als Coverersion eines schwulen Künstlers ertönt, gerade in dem Moment, wo sich eine Figur eben doch dagegen auflehnt, dass alles immer gleich (männlich) bleiben soll. Da habe ich ein bisschen Thomas Meinecke gespielt, der das alles natürlich viel besser beherrscht.
11 Noch ein paar unserer „Standard-Fragen“:
Darf man in deinem Schlafzimmer rauchen?
Ja, aber es liegen dort nicht mehr so oft Leute, die rauchen. Mein Mann hat jetzt endgültig auch aufgehört, und für alle anderen fehlt mir die Zeit und der Mut.
Do you think flowers scream when you pick them?
Yes, with joy.
Was sind deine Lieblingsplätze in Berlin?
a) im Winter
Die Wohnung meiner guten Freunde Simon und Damaris in Neukölln, wo wortwörtlich mit Büchern tapeziert ist, schwäbisch gekocht wird und alberne Fantasyspiele gespielt werden.
b) im Sommer
Das Prinzenbad, der Plänterwald und die Bergmannstraße.
c) allgemein
Die Amerika-Gedenkbibliothek und das Boxgym der „Boxgirls“, in dem ich mich immer noch abmühe, im Oberkörper mal ein bisschen beweglicher zu werden.
Am 6.6. liest Japser Nicolaisen bei unserem Grether-Salon “Krawalle und Liebe” im LfBrecht-Haus:
Roman “Erwachsen” von Jasper Nicolaisen, erschienen im Quer-Verlag, 328 Seiten, veröffentlicht: März 2019