Kolumne von Kerstin
„Die römische Göttin Mania hat nie so recht eine Gestalt angenommen. Man hat sie wohl nicht so sehr öffentlich verehrt, ihr auch keine Tempel gebaut und keine Kulte gewidmet, Vielleicht war sie nur eine Transformations-Mythe, die den Übertrag von Transzendenz zu Philosophie ermöglichte… die Manie, das energetische, konzentrierte und unbedingte Verfolgen eines inneren Auftrags. Im Extrem eine wahre Raserei… Je näher sie einer Heilung kommt, desto eher verliert sie den „Mania“-Status.“
Im aktuellen „Freitag“ schreibt der allwissende Georg Seßlen tausend spannende Sachen über manische Mädchen im allgemeinen und über die Antriebsfedern der „bösen, heiligen Greta Thunberg, die die Welt zum Guten verändert, im Besonderen, aber auch über „die Bösen“, die sprichwörtlichen „alten, weißen Männer“, wie z.B. Boris Johnson oder Donald Trump, denen er Narzissmus attestiert, aber eigentlich auch die selben Eigenschaften wie Thunberg, nur dass sie das Gegenteil ihres Werteuniversums verkörpern: Verdorbenheit statt Unschuld.
Warum ich das so wiedergebe? Weil es ein empfehlenswerter Text ist, den ich gerade zum Mittwochnachmittagskaffee gelesen habe. Und weil diese Kolumne ja „Manic Mittwoch“ heißt und ich in den letzten Wochen viel über Manie nachgedacht habe. Ein Teil von mir hat wohl einen manisch-depressiven Kommunikations-Stil, aber keine manisch-depressive Störung. Woher ich das weiß? Die Götter, die Göttinnen schweigen… aber ich mag schnelles, unreflektiertes Schreiben, und wie dann doch Reflektion entsteht. Deshalb diese Kolumne, über Nichts und Wiedernichts, und eben dann doch was.
Am späten Dienstagabend ist der „Schlagersänger“ Karel Gott im Alter von 80 Jahren gestorben. Er war natürlich immer mehr als nur ein gewöhnlicher Schlagersänger. Als Kind hat es mich sehr beschäftigt, dass „die goldene Stimme aus Prag“ der einzige Mensch war, von dem ich je gehört hatte, der die selben Initialen hatte wie ich: K.G. Schon damals spielte ich ständig mit den Worten, ihren Silben, las sie vor und rückwärts, und suchte nach schmatzenden, verlockenden Botschaften. Als Kind gibt man ja gerne allen Dingen, auch den zufälligsten, eine Bedeutung, die einem dann zu schaffen macht. Was hatte es mit der goldenen Stimme aus Prag auf sich? War es ein Zeichen, dass mir sagen wollte, dass ich auch etwas aus meiner Stimme machen, vielleicht selber professionell singen sollte? Das fühlte ich mehr, als dass ich es dachte, und es machte mich ein wenig unruhig, aber dann war es auch schon wieder vergessen, zumal dieser Mann ja „Gott“ mit Nachnamen hieß, und das war dann ja doch etwas ganz Anderes als mein normaler Nachname, der nicht so richtig was bedeutet. Vielleicht konnte nur ein „Gott“ eine goldene Stimme haben. K.G.`s Song „Babicka“ war natürlich großartig, es war genau das Liebeslied, das wir alle für unsere Omas im Kopf hatten und nie selber hätten formulieren können. „Singen, Kochen Tanzen, Lachen, Glücklich-Machen -das war Babicka“ – und das war eben auch Karel Gott! R.I.P.
Und wo ich schon bei meinen Vorlieben und komischen Wichtigkeiten als Kind bin: mit deutschsprachigem Schlager und den Beatles sozialisiert (4 Jahre), knallte die Neue Deutsche Welle so dermaßen rein, dass sie mein ganzes Leben auf den Kopf stellte und die traditionellen Gesetzmäßigkeiten unseres Odenwälder-Dorfs (die bei uns in der Familie aber nie so gegolten haben) gleich noch mit dazu. Ganz wichtig natürlich die Gruppe IDEAL, die z.B. einen Song hatte, in dem es hieß „Du machst mich noch ganz irre“, was bei uns in der Familie relativ locker und medizinisch nüchtern betrachtet wurde, weshalb meine Mutter oft monatelang in einem psychiatrischen Landeskrankenhaus verbrachte, wo sie aber zum Glück keine Medikamente angerührt hat. Meine Mutter wollte lieber ihre Angst und Panik-Attacken aushalten, als ihre gute Figur (oder besser: ihr „Figürchen“) zu verlieren. In dieses Vakuum stießen dann die Alben „Der Ernst des Lebens“ und „Ideal“ von der Berliner Band Ideal, um die hinreißende Sängerin Annette Humpe, die einfach alle Unbewusstheiten durcheinanderwirbelte und einen wirklichen (Psycho-)Soundtrack der damaligen Zeit verfasste. Die Geschlechter-Rollen aufs Subtilste und Grobste mit-vertonte. Plötzlich verstand ich die „Beziehungskisten“ und komischen Spielchen der Erwachsenen, das irremachende Hin-und-Her in Liebesbeziehungen, die Versteckspiele, die ganzen unrühmlichen Versuche sich selber im besten Licht zu präsentieren. Verpackt in kompakte und nervöse, packende New Wave-Songs.
Das habe ich dann, am vergangenen Sonntag, versucht, zusammen mit Sandra, in Worte zu fassen: das manchmal manisch-depressive Klima meiner Kindheit und die Gruppe Ideal – sozusagen als Blitz und Donner und Regenschein mitsamt Regenbogen. Und noch viel mehr, gedacht als Würdigung Annette Humpes. Auf den letzten Drücker geschrieben, den wirklich allerallerletzten Abgabetermin angenommen – und auch da waren wir eigentlich schon drüber. “Wenn wir den Text jetzt nicht aufderStelle schreiben, sagte Sandra, dann können wir`s vergessen.” Ja, wenn wir ihn heute noch schreiben, dann drucken sie ihn vielleicht noch in dieses Buch „These Girls: „100 Einträge in die Musikgeschichte“, das die tolle Journalistin Juliane Streich demnächst im Ventil Verlag veröffentlicht.
Zum Glück hatten wir zum Sonntagsnachmittagsbrunch im Parkcafé einen Laptop dabei. Die Stühle des Cafés waren vollbesetzt, denn draußen konnte man nicht mehr sitzen. Nicht nur weil es kalt war (das hätte mich nicht gestört), sondern weil es dort offensichtlich ein Bienen-Nest gab, oder sowas. Die spätsommerlichen Bienen waren hysterisch und aufgepeitscht um die Zuckerdosen und Menschen herumgeschwirrt, und genauso hysterisch waren wir ins Innere des Café-Restaurants gerannt, um den wirklich allerletzten unbesetzten Tisch zu ergattern. Dort formulierten wir einfach gleichmal drauflos, erzählten von diesem warmen Oktobernachmittag im Jahr 2012, wo wir auf dem Weg zu unserem Idol Annette Humpe waren, die uns zum Kaffeetrinken bei sich in der Wohnung eingeladen hatte. Eine sehr persönliche Ambiente, man muss, wenn man sowas in eine allgemeine Würdigung ihres Schaffens einbauen will, sehr genau aufpassen, was man davon „verrät“ und was nicht, man will ja nichts Geheimes herumerzählen. Auch wenn es, ehrlich gesagt, nicht viel Geheimes gibt, was wir über Annette Humpe wissen. Aber so eine gewisse journalistische Distanz muss man trotzdem immer wahren, wenn man über öffentliche Personen schreibt, die einen in ihre Wohnung gelassen haben, zumal wenn man dort nicht als Journalist, sondern privat und zur Songwriting-Beratung eingeladen ist.
Während Sandra und ich also um Worte ringen und an Eindrücken feilen, das Sagbare ausloten, merken wir, dass wir von zwei Frauen am Nebentisch beobachtet werden. Die eine sieht sogar ein bisschen so aus wie Annette Humpe, apart und blond und mit dieser unschuldig-coolen Ausstrahlung, die ich gerade versuche in Worte zu fassen.
„Ich bin Juristin“, sagt sie, und wirkt dabei sonntagsnachmittags-sympathisch-beschwipst.„Ich kann euch doch helfen“, sagt sie, „was wollt ihr denn sagen?“
Das ist aber nicht Annette Humpe, wispert Sandra – und wir lachen.
„Worüber schreibt ihr denn?“, lässt sie nicht locker: „Ich bin echt gut im Formulieren, ihr könnt mir einfach sagen, was ihr sagen wollt und ich formuliere es euch dann.“
Wir schauen uns ratlos an, kein schlechter Deal, wenn man selber Autorin ist.
„Das ist echt nett“ sage ich schließlich das Naheliegende, aber bei diesen Formulierungen kann uns keiner helfen. Wir schreiben über eines unserer größten Idole.“
Idol? Das Thema scheint ihr zu gefallen.
„Ich hab auch Idole gehabt, als ich so alt war wie ihr“, sagt sie (die ungefähr in unserem Alter ist 😉 ) , „als ich zum ersten Mal in LA war, zum ersten Mal in Amerika, hab ich gleich am ersten Abend Guns N Roses kennengelernt und mit Slash geschlafen. Ich bin gleich mit dem ins Bett, warum auch nicht.“ Wow! Ich lache.
„Als ich zum ersten Mal in LA war, hab ich nicht mit Slash von Guns N Roses geschlafen, sondern war “nur” mit den Breeders im Proberaum, um einen Artikel darüber zu schreiben, für ein Musikmagazin“ sagt Sandra.
„Ihr sollt nicht so viele Artikel schreiben“, sagt sie, und ruft dann ganz laut: “Mehr Sex! Das ist doch scheiße. Immer nur Reproduzieren. Ihr müsst selber machen, selber mit den Musikern schlafen. Ich hab das gemacht, ich hab einfach mit allen geschlafen.“
Das sind so die Art von Selbstauskünften, die man sich wünscht, wenn man schon im Café angesprochen wird, was in Berlin ja selten genug passiert. Sandra sieht das anders. Sie ist jetzt ein bisschen wütend.
„Also hör mal“, sagt sie aufgebracht: „Wir sind selber Musiker, wir müssen nicht mit Musikern schlafen, wir machen nämlich selber Musik. Ich kann selber Gitarre spielen wie Slash.“
„Sei doch ruhig“, sage ich zu Sandra, denn ich finde es gemein, wie sie der LA-Blondine die Show stiehlt, immerhin gibt die ja auch was von sich. Es kommt mir, wie ich hier so sitze, Straight Edge und ohne Zigaretten, fast mutiger vor mit Slash von Guns `n Roses zu schlafen, als selber Gitarre zu spielen. Aber unsere liebenswürdige neue Café-Bekanntschaft gibt Sandra Recht: „Nein, nein, schon okay“, sagt die Juristin, „lass deine Schwester sagen, was sie will. Ich sag ja auch, was ich will. Wir sagen beide, was wir wollen. Was macht ihr denn für Musik?“ Aber Sandra hat sich immer noch nicht beruhigt: „Wir haben selber Groupies“, setzt sie nochmal zum Rundumschlag an, „wir sind nicht Groupies, wir haben Groupies“. Oh no, wie kann sie nur mit wildfremden Leuten so hart reden. “Jetzt sei doch nicht so humorlos“ herrsche ich sie nochmals an. „Ach, was, lass sie doch sagen, was sie denkt, es ist doch okay mit mir“ versichert die Ex-Groupie-Juristin erneut: „ich war damals 21“, sagt sie, „jetzt bin ich ja 10 Jahre älter oder so.Vielleicht auch siebzehn Jahre.”
“Aber damals war ich die Schönste.“ „Das bist du immer noch“, sage ich.Wir quatschen jetzt durcheinander.„Also darf ich euch jetzt helfen, eure Text zu schreiben?, “ fragt sie abermals.
„Wovon handelt er überhaupt?“ will ihre Begleiterin wissen.„Von Ideal ,ruft Sandra dazwischen.“ „Kenn ich nicht“, sagt Frau Slash, „ich kenn nur Guns N Roses. Ich hab mit Slash geschlafen, gleich am ersten Abend in LA. Und am nächsten Tag dann auch mit den anderen…“
„Du kennst Ideal nicht?“Ihre Begeiterin schneidet ihr das Wort ab und fängt an zu singen:„Deine blauen Augen machen mich so sentimental, so blaue Augen.“ Da freuen sich selbst die Bienen, die auch hier drinnen um die Zuckerdosen herumfliegen.“Den Text kannst du nicht schreiben, der ist zu persönlich, das kann man nur schreiben, wenn man es selbst erlebt hat, dieses Vorbild zu treffen,” sage ich.
„Ich hab auch mein Vorbild getroffen: ich hab mit Slash von Guns n Roses geschlafen, als ich zum ersten Mal in LA war.“ Sie will jetzt wissen, welche Musik wir machen. „Rock, wie Guns n Roses“ sagt Sandra angeberisch. „Nee, eher so wie Ideal“, sage ich trotzig. „Wollt ihr noch einen Sekt, ich geh gleich“, sagt sie, „aber ich würde euch gerne noch einen Sekt ausgeben.“ „Echt, nett“, sage ich, „aber wir trinken doch keinen Sekt.“ Das müsst ihr aber, ihr müsst mehr saufen.“ „Ich kauf mir euer Album. Wo find ich das denn?“. Sandra klickt auf ihrem Handy rum und sucht unsere Amazon-Seite und zeigt sie ihr. “Was, ein Album heißt “Drogen und Psychologen?” Das kauf ich mir. Sie scheint sich richtig zu freuen. „Da ist auch ein Song drauf, der heißt: „Der Groupie Song bzw Sheena loves the singer
, der ist für dich“, sage ich nett. „Das war aber der Gitarrist”, sagt sie, und: “gleich wenn ich zuhause bin, kauf ich mir euer Album.“
In Zukunft werde ich meine Texte immer in so vollbesetzten Cafés schreiben. Man weiß gar nicht, was man alles verpasst, wenn man zuhause bleibt. In diesem Sinne: ein Hoch auf die Manie!
Wenigstens den Sekt hätten wir doch annehmen können. Und die Zigaretten. Die Drogen. Und die guten Tipps im Umgang mit den Mitgliedern von Guns N Roses. Schneller kann man LA oder eine andere neue Stadt nicht kennen lernen als so. The City of Angels. Aber nein, das war ja von den Chili Peppers. Paradise City! “Take me down to the paradise city. Where the grass is green and the girls are pretty. Take me home (oh won’t you please take me home).”
Das auf jeden Fall.