Kolumne von Kerstin
Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn sie dir das E-Mail-Konto hacken – um gleich ein bisschen in Gaunerspeech zu bleiben. Dass irgendwo da draußen Trickbetrüger sind, die unter meinem Namen an meine Freund*innen und Geschäftspartner*innen schreiben, und ihnen mitteilen, dass ich in der Ukraine bin und dort nicht mehr wegkomme, stand in der Mail. Ich hätte angeblich all meine Kreditkarten und Ausweispapiere verloren, die ukrainische Botschaft würde mich aber ausreisen lassen, wenn ich jetzt nur noch ganz schnell 1720 Euro für das Flugticket und die noch ausstehenden Hotelrechungen aufbringen könnte. „Du kriegst das Geld sofort zurück, wenn ich wieder da bin“- So ähnlich lautete „meine“ Hilfsbotschaft, die an Hunderte von Leuten geschickt wurde; das alles unter der Betreffzeile „Hilfe!“. Mal davon abgesehen, dass das auf englisch einen tollen Song von den Beatles ergibt, ist das schon ganz schön krass. Ich lag gemütlich im Bett noch, in Berlin, versteht sich, als der Anruf eines Freundes kam, der mir die wunderbare Nachricht überbrachte: dass mein E-Mail-Konto wohl gehackt wurde, und vorsichtshalber fragte er auch nochmal nach, ob ich wirklich nicht in der Ukraine weile. Also liebe Freunde, liebe Freundinnen: nein, ich muss nicht aus der Ukraine gerettet werden (ich habe mich, was zum Beispiel eine Möglichkeit gewesen wäre, nicht plötzlich den FEMEN angeschlossen, um dort einen topless Protest zu veranstalten, davon abgesehen, dass die Gründerinnen der FEMEN nicht mehr in der Ukraine leben).
Mein E-Mail Account ist einfach nur gehackt worden, wohl weil meine Virenschutzprogramme für den Computer nicht ausreichend waren. Wenn ich mir selber eine Mitschuld geben will, was ich nicht will, dann, dass ich immer zu ungeduldig bin, um die Virenschutzprogramme über den Computer laufen zu lassen. Das Lustige oder vielleicht auch Schlimme ist, dass ich es mir genau an diesem Tag zum ersten Mal im Leben geleistet hatte, mir professionelle Hilfe beim Möbelaufbau zu holen. Genau in den Stunden, wo ich mit Schadensbegrenzung und Passwörterwechsel beschäftigt war, waren Mitarbeiter von Ikea in der Wohnung, die Möbelteile aufeinanderlegten und Schränke löteten. Noch dazu war ich entsetzlich müde, weil ich der Nacht vorher bis fünf Uhr das tolle neue Buch „Yalla, Feminismus!“ von Reyhan Sahir aka Dr Bitch Ray gelesen habe, das ich hier demnächst noch ausführlich besprechen werde.
Wenn ich müde bin kann ich die einfachsten Sachen nicht mehr bewältigen. Ich bin dann wie unter Droge, gemischt mit ein bisschen Depressionsflow und Ohnmachtsgefühlen. Ich hasse das Gefühl von Müdigkeit mehr als alles andere auf der Welt. Ich möchte also die Trickbetrüger da draußen bitten: wenn sie das nächste Mal mein Konto hacken, dann bitte nach 12 Uhr mittags, wenn ich ausgeschlafen bin und fähig zu den normalsten Reaktionen, wie z.B. schnellstens Passworte auszutauschen und im Drei- Minuten-Takt auf nette Anrufe von denjenigen Freund*innen zu reagieren, die bei sowas gleich mal telefonisch nachfragen. Danke Euch allen! Ich hab die tollsten Freunde und Freundinnen, denn in der Not, da lernt man sie ja bekanntlich kennen. Ich finde die Vorstellung auch ein bisschen witzig, wer alles die Mail bekommen hat. In meinem E-Mail Account sind ja auch nicht nur Freunde, sondern auch Geschäftspartner, Radiosender, Künstler*innen, Schauspieler*innen, Schriftsteller*innen, Ticketvorverkaufsstellen usw.
In der Nacht vorher, als ich meine Wohnung umgeräumt habe, hatte ich noch ein uraltes Telefonbuch aus dem Jahr 2001 gefunden (es war schon so klein und handlich wie ein Handy, aber noch aus Papier und gebunden) und gestaunt, wer da alles drin stand.Damals habe ich ja full time als freie Autorin gearbeitet, u.a. für MTV, und die Telefonnummern sämtlicher MTV-Moderatoren bildeten dabei nur, sagen wir, die mittlere Kuchen-Schicht. Am meisten freute ich mich über die New Yorker-Telefon-Nummer, mit allen Durchwahlmöglichkeiten von Chuck D. Ich erinnerte mich wieder daran, wie ich 2002 mal ein wirklich schönes nächtliches Interview mit ihm, ich glaube für die taz, gemacht, habe. Ich weiß noch, dass er sich über den, seiner Meinung nach zu kommerziellen Hip Hop der frühen Nuller-Jahre beschwert hat und sein eigenes, neugegründetes Underground-Hip Hop-Portal im Internet dagegen hielt. Und wenn ich das nächste Mal in der Ukraine bin und in Not, dann beruhigt mich der Gedanke, dass ich im Zweifelsfall den Public Enemy-Frontmann anrufen und um Hilfe bitten könnte. Oder Nora Tschirner.