von Kerstin
Ray of Light
Die vier Bücher, die ich in diesem Herbst am liebsten gelesen habe, sind allesamt von Musikerinnen verfasst, bzw. von Leuten, die, neben vielem anderen, auch tolle Musik mit tollen Texten machen.
Deshalb empfehle ich sie hier mal in alphabetischer Reihenfolge, weil sie alle auf ihre Art und Weise toll sind:
FACE IT – DIE AUTOBIOGRAFIE von DEBBIE HARRY
WIR TRAFEN UNS IN EINEM GARTEN – INGA HUMPE
WOHER KOMMT DER HASS? Die psychologischen Ursachen von Rechtsruck und Rassismus – ANNE OTTO
YALLA, FEMINISMUS – REYHAN SAHIN AKA DR.BITCH RAY
Zu „Yalla, Feminismus“ hier noch die versprochene, ausführliche Rezension:
„Eigentlich kann ich verstehen, dass sich Menschen von der expliziten, sexualisierten Kunstform einer Frau provoziert und getroffen fühlen und ein dringliches Kommentierungsbedürfnis bezüglich dieser Kunst verspüren. Denn Kunst soll ja auch Aufmerksamkeit erregen, irritieren und bestenfalls Denkanstöße geben, nur dann empfinde ich persönlich Kunst als gelungen. Jedoch habe ich die Vehemenz der Reaktionen auf Lady Bitch Ray bis heute nicht verstanden. Heutzutage stelle ich fest, dass ich meiner Zeit damals voraus war, und den für feministische Pionier*innen üblichen, schweren, steinigen Weg im Deutschrap alleine gehen musste, um damit heutigen Rapper*innen den Weg zu ebnen.“ (Reyhan Sahin aka Dr. Bitch Ray)
Besonders gefreut habe ich mich bei Dr. Bitch Rays neuem Buch über den Gesamtgestus, mit dem sie „in einer Sprache, in der sich Ghettoslang und wissenschaftliche Analyse unverschämt nahekommen“ (so der Klappentext), nicht nur nur detailreich und klug über so wichtige Themen wie Deutschrap, Kopftuchdebatte oder Diskriminierung und Ausgrenzung im Wissenschaftsbetrieb berichtet, sondern auch darüber, wie sie, nebenbei, und mit feministischer Intersektionalität, ihre eigenes Wirken als die Kunstfigur Lady Bitch Ray einer wundervollen, wissenschaftlichen Analyse unterzieht, including der Abdruck mehrerer ihrer bemerkenswerten Songtexte, die wirklich den patriarchalischen Porno und auch Battle-Rap spiegeln können und genüsslich mit Sex-Anekdoten/Fantasien/Beleidigungen ihrer Gegner „zurückschießen“, oder in ihrem Fall vielleicht besser gesagt: zurück strahlen können.
Ich musste die ganze Zeit beim Lesen an diese Song-Zeile von Courtney Love, vom dritten Hole- Album „Celebrity Skin“, denken: „Oh make me over, I´m all I wanna be, a walking study, in demonology“. Das Besondere an dem Buch der promovierten Linguistin, Performance-Rap-Künstlerin und alevitischen Muslimin, ist meines Erachtens, dass sie es auch schafft SICH SELBST ZUR STUDIE zu machen; ihre eigene Bedeutung in die Musik/Feminismus-Geschichte einzuschreiben, weil einfach das Bewusstsein in der (Pop/Hip Hop) Öffentlichkeit noch nicht da ist, zu begreifen, WIE WICHTIG und WEIT VORAUS ihrer Zeit diese Rapperin in den mittleren nuller Jahren schon war. Nicht nur eine laufende Studie in Dämonologisierung also, sondern auch in Selbst-Liebe und Selbst-Respekt, ist dieses Buch. Was ja durchaus eine Hip Hop-Strategie ist, aber natürlich ist Dr. Bitch Ray wohl auch die EINZIGE, die dieses Prinzip in Wissenschaft überführen kann- und es stimmt trotzdem noch; so konsequent und gleichzeitig spielerisch. Sie ist die einzig Wahre, die Größte und die Beste, und sie kann`s beweisen! (Wer kann das schon?)
Apropos: Reyhan Sahin aka Dr. Bitch Ray zitiert übrigens auch Courtney Love aus „Doll Parts“ – im wunderbarerweise „die Spitze der Klitoris“ genannten Vorwort, außerdem enthält Yalla, Feminismus, das sich tollerweise auch für die Idee von „Undercover“-Feminismus stark macht, das Beste, was je über Lil` Kim geschrieben wurde (jedenfalls soweit ich das als weiß sozialisierte Autorin überhaupt beurteilen kann). Lil`Kim, die mit ihrer Selbst-Bezeichnung als Bitch eins der Vorbilder der Kunstfigur Lady Bitch Ray war, und auch notorisch unterschätzt und mit sexistischer Kritik überzogen wurde. Reyhan Sahin beschreibt ausführlich, was genau „Hip-Hop-Feminismus ist“: „Hip-Hop-Feminismus ist als Teil der Schwarzen Frauenbewegung entstanden, Kerninhalt sind Schwarze Musiker*innen, die Elemente und Themen aus der Kultur, den Erfahrungen und Traditionen Schwarzer Frauen in ihre Songs aufnehmen, ihnen neue Bedeutung verleihen und sich damit gegen ausbeutende unterdrückerische Gesellschaftsstrukturen auflehnen. Die Bezeichnung „Hip-Hop-Feminismus wurde von der Feministin, Journalistin und Wissenschaftlerin Joan Morgan geprägt, welche ihn als eigenständige feministische Bewegung, fernab der zweiten und dritten Welle des Feminismus und unabhängig vom klassischen Schwarzen, akademisch geprägten Feminismus des späten zwanzigsten Jahrhunderts versteht.“ Sie erwähnt auch namentlich die neue Riege von Rap-Journalistinnen, „die im Rahmen von Rap-Printmedien und Online-Rap-Formaten dazu beigetragen haben, Sexismus und Schwulenfeindlichkeit zu thematisieren. Diese Frauen berichten nicht nur über Rap, sie hören und lieben ihn auch, wodurch seit einigen Jahren auch die zwiespältige Stellung des Raphörens einerseits und der emanzipatorischen Ablehnung sexistischer Song-Konzepte als Frau andererseits diskutiert wird.“
Generell unterscheidet Sahin „Hip-Hop-Feminismus“ von popfeministischem Riot-Girl-Feminismus: „Ich selbst habe die Riot Grrrls nicht direkt miterlebt, da ich zu jung war und mich später eher mit Hip-Hop-Musik identifizierte. Aber meine Musik und das positive Reclaiming des Begriffs „Bitch“ wurden seit meinen Anfängen von vielen Frauen und queeren Hörer*innen mit den Riot Grrrls verglichen. Auch wenn die Riot Grrrl-Bewegung ihre Ziele im Laufe ihres Bestehens optimiert und auf Punkte der Intersektionalität erweitert hat, würde ich sie als überwiegend weiße Bewegung des Popfeminismus betrachten und dem Schwarzen Hip-Hop-Feminismus als parallele Entwicklung gegenüberstellen, denn es werden zwar queer-feministische Themen behandelt, die Lebensrealität von Women of Color bleibt jedoch außen vor. Diese Darstellung der Parallelität der beiden Feminismen der sog. Dritten Welle gefällt mir. Für den Feminismus der zweiten Welle hat Reyhan Sahin nicht so viele, dann doch noch wohlwollende Worte. Sie beschreibt ihr Anliegen aber so, dass noch eine Auseinandersetzung möglich wäre: „Das Managen einer zielführenden Kommunikation zwischen den zweite- und dritte-Welle-Feminist*innen wird zu den zukünftigen feministischen Herausforderungen gehören. Dieser Dialog darf jedoch nicht bis bisher einseitig und von oben herab, sondern respektvoll, aufmerksam und auf Augenhöhe zwischen den unterschiedlichen Lagern geführt werden. Islamischer und muslimischer Feminismus – die unabhängig von unseren Debatten-Sackgassen seit Jahrzehnten global existieren – müssen in diese Diskussionen eingeführt werden.“
Wenn Dr. Bitch Ray die Wirklichkeit wissenschaftlich einordnet, sollte man froh sein, dass man zuhören darf. (Denn immerhin sind diese Erkenntnisse auch durch viel persönlichen/kollektiven Schmerz und Erfahrung beglaubigt. Was aber nun widerrum nicht bedeutet, dass sie hier als “Leidensfrau” auftritt. Im Gegenteil.) Wahrscheinlich ist Dr. Bitch Ray nicht nur die spannendste Intellektuelle Deutschlands, sondern auch die, die am besten über Sex reden, rappen und schreiben kann. Und sie ist wohl die einzige Deutsch-Rapperin (falls man sie so beschreiben will), die den Begriff „Bitch“ nachhaltig positiv auf sich selbst anwendet, anstatt ihn negativ auf andere Frauen (innerhalb der Deutschrap und Patriarchat-typischen Hure/Heilige-Dichotomie bleibend) zu übertragen, was sie zu Recht bei eigentlich ja tollen Rapperinnen wie Kitty Kat (die sich sehr respektlos ihr gegenüber verhalten hat), Haiyiti und SXTN kritisiert. Ich habe zu den Rapperinnen, über die sie schreibt, über die Jahre hinweg die selbe Meinung gehabt – an Kitty Kat stört mich so sehr, dass bei ihr die „Bitches“ immer die anderen (Frauen) sind – und freue mich wahnsinnig, meine eigenen bescheidenen, wenn auch von weiblichen Rappern durchaus besessenen, Einschätzungen aus berufenem Munde und mit so viel authentischer Sachkenntnis beglaubigt zu wissen. Auch was sie z.B. über das männlich dominierte Umfeld so mancher Deutschrapperin schreibt ist toll. Für meinen Geschmack hätte sie zwar den queer-feministischen Rapperinnen aus dem linkspolitischen Springstoff-Umfeld noch mehr Buchseiten schenken können, doch ich verstehe auch, dass es enttäuschend ist, dass die Szene so klein und so weiß ist. Den ganz großen Aufstand gegen das sexistische und rassistische System kann man damit wohl nicht machen, aber da in dieser Szene so viele gute Rapperinnen unterwegs sind, die gezeigt haben, wie man sich komplett selbst ermächtigt und unabhängig macht von männerdominierten Strukturen, und das mit viel politischem Engagement verbinden, sollte man Rapperinnen wie Faulenza, Babsi Tollwut, Jennifer Gegenläufer, Sookee, Lady Lazy, oder auch Lena Stoehrfaktor und Finna, auch nicht zu gering schätzen.
Subkultur bedeutet halt, dass es auch kleinere Szenen sind, die zu revolutionären Erneuerungen führen können. Aber wahrscheinlich ist es mit diesen Rapperinnen so ähnlich wie mit Riot Grrrl, es gibt zu wenig migrantisierte Menschen, die queer-feministischen Rap machen, um Dr Bitch Ray wirklich zu begeistern: “Auch bleibt der intersektionelle Bereich of Color des Rap von diesen weißen Rapperinnen unberührt. Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass seit einigen Jahren auch queer-feministische Women of Color aktiv sind, welche intersektional gegen Sexismus und Rassismus im Rap angehen. Dazu gehören unter anderem die Rapper*innen Ebow mit ihren Songs „Punani Power“ oder „K4L“ sowie Haszcara mit Songs wie „Kotzen“ oder „Lauter Rapper.“
Das Buch endet mit einem Empowerment der Adressat*innen:
„Dieses Buch soll alle Menschen dazu empowern, ihre kritischen Gedanken zu feministischen Inhalten auszuformulieren und kundzutun und insbesondere marginalisierte Menschen wie etwa Frauen und LGBTQI*s of Color, Muslim*innen, Alevit*nnen oder Kurd*innen dazu anregen, sich feministisches Wissen anzueignen und intersektionellen (Queer-)Feminismus zu machen. Fast alles ist möglich, wenn man an sich und an der Sache arbeitet und um keinen Preis aufgibt.“
Ein Buch also, das ein Schatz ist, das sich wegen absolut jeder Buchseite lohnt. Allein was sie über die Bedeutungsvarianten des Kopftuchs schreibt, würde schon den Kauf rechtfertigen. „Der Kopftuch-Diskurs kann nicht vollständig geführt werden, wenn man der Bedeutungsvariante der „Unterdrückung“ pauschal die der ausschließlichen Emanzipation entgegenhält…“ Vielleicht hat „Yalla ,Feminismus“ ja die Kraft, wirkliche Dialoge, und bislang undenkbare Utopien miteinander zu verbinden; auch die Kopftuch-Kritikerinnen der zweiten Welle des Feminismus sollten ihr endlich zuhören, wenn sie so detailreich darlegt, wie divers das Kopftuch ist und dass es je nach Trägerin verschiedene Auslegungen des orthodoxen Islam ausdrücken kann.
P.S. Schön, dass Parole Trixi, die ehemalige Band meiner Schwester, erwähnt wird, im Riot Grrrl Kapitel.
P.P.S. Was sie über die rassistischen und sexistischen Strukturen im männlich und weiß dominierten Wissenschaftsbetrieb schreibt ist so krass-traurig, dass man sich sofort eine Fernsehserie oder einen Film wünscht, in dem das heldinnenhafte Engagement der jungen Wissenschaftlerin und ihre zahlreichen fehlgeschlagenen Versuche, eine feste Stellung zu bekommen, im Mittelpunkt stehen.
Merke: In Deutschland dürfen Migrantinnen aus der Arbeiter*innenschicht keine Professorinnen werden, zumal dann, wenn die wenigen, die es an der Uni gibt, nicht bereit sind, sich nach oben zu schlafen. Aber so bitch ist Dr. Bitch Ray dann eben doch, dass sie sich nicht hoch schläft, um in eine bessere gesellschaftliche Position zu kommen.
Eigentlich ein Buch zum Heulen, aber noch mehr: ein Ray of Light der Selbstermächtigung!
Danke für dieses Meisterinnenwerk. Und als Rap-Hörerin, mein Lieblingsbuch des Jahres.