Der Roman „Das weibliche Prinzip“ von Meg Wolitzer spielt auf überraschende, unterhaltsame und metaphernreiche Weise mit den sogenannten “Generationskonflikten” von Feministinnen.
Von Valerie Horn
„Denn nicht alles war hoffnungslos, das wusste sie. Richtig war, dass die Frauenbewegung der Generation Faith Franks, Verachtung und Ungerechtigkeit gegenüber Frauen nicht für immer beseitigt hatte; es war nicht so, als hätte die Hand einer Mutter damals mt einem kühlen Tuch über die heiße Stirn der Welt gewischt. Aber trotz des grassierenden Sexismus und aller Vergewaltigungen; trotz des lächerlichen Klapses, den Darren Tinzler auf die Finger bekommen hatte; trotz ungleicher Bezahlung, die bis heute die Regel war, trotz der beschämend geringen Zahl von Frauen, die irgendetwas Mächtiges leiteten, seien es Staaten oder Unternehmen; und obwohl das Internet von Blöcken männlicher Solidarität und Wut nur so strotzte – „Bruder vor Luder!“ , so der Ruf der Musketiere, dazu die Trolle, die sich in aller Brutalität ausmalten, die Körperteile von Journalistinnen und weiblichen Stars abzuschneiden -, war die Welt für Frauen inzwischen in vieler Hinsicht besser geworden.“
Dass es gar nicht so leicht ist, ein Mensch zu sein, der mit einem bestimmten Charakter ausgestattet worden ist; in anderen Worten: damit leben müssen, wie man halt so ist, in der Gesellschaft der anderen Menschen (und sich dabei mit allen eigenen Schwächen zu konfrontieren und auch zu fragen, inwieweit man sich ändern könnte) gehört zu den klassischen Grundkonflikten der Romankunst; oder, wie es die Protagonistin Zee Eisenstat in Meg Wolitzers feministischem 500-Seiten-Roman-Schmöker „Das weibliche Prinzip“ auf den Punkt bringt: „Warum nur halb leben, wenn man schon mal auf der Welt war? Sie fragte sich, ob es manchen Menschen gelang, ganz zu leben, oder ob alle das Gefühl hatten, Mensch zu sein sei gleichbedeutend mit dem Schicksal, ein Selbst zu haben, das einem Beutel mit leckeren, aber leider halb verputzten Köstlichkeiten glich.“
Es ist also schön-schlicht und auch folgerichtig, dass die weiße US-amerikanische Schriftstellerin Meg Wolitzer (Jahrgang 1959), die irgendwo zwischen der sogenannten zweiten und dritten Welle des Feminismus eingeordnet wird, und zahlreiche preisgekrönte und erfolgreiche Romane verfasst hat (wovon sich in diesem Jahrzehnt auch einige in Deutschland ganz gut verkauften), eine schüchterne, junge, weiße, heterosexuelle, schlanke Cis- Frau auf dem Weg zu mehr Selbstsicherheit und Ausdrucksstärke begleitet: die schüchterne Greer Kadetsky, die gerne „mutig, schlagfertig, selbstbewusst“ wäre, steht im Mittelpunkt einer langen Erzählung, in deren Verlauf auch ihre besten Freunde mit eigenen Kapiteln (mit-)erzählt werden. Da ist zum einen ihr Boyfriend Cory Pinto, der nicht so schüchtern “erzogen” wurde wie sie: ein geliebtes Kind einer fürsorglichen Mutter, der zwar selber auch ein Musterschüler ist wie Greer, aber sich völlig mühelos und ohne einen roten Kopf zu bekommen z.B. in der Schul-“Gemeinschaft“ behaupten kann, obwohl oder auch, zum Trotz, gerade weil er aus einer portugiesischen Einwandererfamilie kommt; und ebenso die bereits oben beschriebene Zee, auch „Franny“ genannt, die zwar eine mutige Aktivistin ist, laut, unbequem, nicht auf den Mund gefallen (sie kommt aus einer reichen Anwaltsfamilie) aber leider mit dem Defizit ausgestattet, das alles nicht wirklich schriftlich festhalten zu können. Sich nicht durch Schreiben ausdrücken zu können; ganz im Gegensatz wiederum zu ihrer besten College-Freundin Greer.
So weit, so schön und gut und rührend und spannend; aber die besondere Würze bekommt dieser Roman noch durch eine weitere, wesentlich reifere Romanfigur: die berühmte Frauenrechtlerin Faith Frank, die bereits in ihren 60ern ist und immer noch aktiv als Autorin, Mentorin, Herausgeberin eines etwas aus der Mode geratenen, feministischen Magazins namens„Bloomer,“ das es schon seit 40 Jahren gibt, und das es „schwer hatte mit Blogs wie „Fem Fatale“ zu konkurrieren, die die persönlichen Essays abgehakt und sich einer radikalen Kritik an Rassismus, Sexismus, Kapitalismus und Homophobie verschrieben hatten“, auch das Magazin „Bloomer“ und Faith Frank wird öfters von ihnen kritisiert. Und obwohl die chronisch schüchterne, von ihren Eltern lieblos erzogene Greer die aktuellen Blogs der jungen Feministinnen durchaus dem Magazin Bloomer vorzieht, verehrt sie dessen glanzvolle Herausgeberin Faith Frank umso mehr und folgt ihr auf ihren Wegen durch die feministischen Kämpfe der beginnenden Zehner Jahre. Faith Frank wird ihr Mutter-Ersatz und Greer wird immer lauter und selbstbewusster. Das ist natürlich der große Kunstgriff dieses Romans, der die schöne, selten gewordene Idee verfolgt, dass die ältere Feministin die jüngere empowert. Und nicht, wie es in Wirklichkeit geschieht, dass die jüngeren sich gegenseitig empowern, zum Beispiel durch Blogs: „Außerdem gab es noch die feministischen Blogs, die wie Pilze aus dem Boden geschossen waren, wenngleich Fem Fatale immer noch der bei Weitem beste und bekannteste war. Er stammte aus Seattle, war auf persönnliche Art essayisitsch, oft sarkastisch, sprach ganz offen über sexuelle Handlungen und Körperfunktionen und beschrieb sich selbst als „sex-freundlich, bissig und direkt aber auch verdammt gut lesbar. Dieser Blog war furchtlos und griff alle Themen auf, ohne Rücksicht auf möglichen schweren Beschuss.“
Soweit, so gegenwartsnah. Ähnlichkeiten mit den uns bekannten Auseinandersetzungen in der feministischen Szene sind natürlich nicht rein zufällig. „Greer hatte Fem Fatale den ganzen Herbst über gelesen, obwohl sie die Autorinnen – eine Bodybuilderin, ein Pornostar und mehrere lustige und bissige junge Kulturkritikerinnen – oft einschüchternd fand. Weil diese vor Selbstbewusstsein platzten. Woher sie es nahmen, war Greer ein Rästel.“
Aber auch Faith Frank strotzt vor Selbstbewusstsein, ihrem leuchtenden Beispiel zu folgen ist aber, aufgrund des Alters und Erfahrungsunterschieds der Beiden, eher ein Gewinn, weniger eine Demütigung oder Blamage für Greer. Dieser Gedanke, der das ganze Buch durchzieht, durchkreuzt den gesamten Jugendkult der westlichen Popkultur, weil er mal nicht auf der kapitalistisch verwertbaren Logik besteht, dass eine junge Frau sich unbedingt eine junge Frau zum Vorbild nehmen muss, um zu dem zu werden, was sie werden will. Deshalb ist das ein annehmbarer Gedanke, der auch seine Berechtigung hat, und den ich wie eine Kritik am durchaus vorhandenen (vielleicht auch eher unfreiwilligen ) AgeIsm der „jungen Feministinnen“ der Zehner Jahre oder des Popfeminismus, gelesen habe. Der wahre Verdienst dieses Romans besteht meiner Ansicht nach darin eine ältere Frau so abzufeiern, wie es in unserer Kultur meistens nur älteren Männern vorbehalten bleibt. Es ist jedenfalls sehr schön und auch wegweisend, wie starlike und glamourös Faith Frank durch die Dauer des Buchs beschrieben wird, auch wenn die naiv-schwärmerische Greer am Ende auch Zweifel an ihrem Idol zulassen kann – um dann WIRKLICH einen eigenen Weg zu gehen.
„Auf den meisten Fotos trug sie hohe, sexy Wildlederstiefel, ihr Markenzeichen. Es gab Interviews und Porträts eines wies auf ihre „erstaunliche Ungeduld“ hin. Faith platzte offenbar rasch der Kragen, und das nicht nur gegenüber chauvinistischen Autoren. Sie wurde als gütig und menschlich, teils schwierig, aber stets großzügig und wunderbar beschrieben. Als sie nach Ryland kam, um den Vortrag zu halten, galt sie als eine Gestalt aus der Vergangenheit, von der man aber bewundernd und in einem besonderen, nur wenigen Menschen vorbehaltenen Tonfall sprach. Sie glich einem stetig brennenden, tröstlichen Leuchtfeuer.“
Aber dieser euphorische, bewundernde Blick ist eben auch ein nicht ganz unberechtigter Blick (zumal, wenn Meg Wolitzer die US-amerikanische, feministische Szene vor Augen hat) den wir in Zukunft gerne auf Frauen in ihren 60ern werfen sollen, zumal, wenn sie etwas in der misogynen Kultur bewegt haben. Sie haben es verdient, von ihren jüngeren Schwestern auch mal auf ein Podest gehoben zu werden oder, noch besser: als tolle Partnerinnen im alltäglichen Kampf für mehr Gleichberechtigung angesehen zu werden, wo beide Seiten voneinander lernen können. Und dafür sind Romane ja da: um die Wirklichkeit liebevoll, ja sogar leicht sarkastisch zu korrigieren. Wir brauchen mehr einflussreiche, umschwärmte Frauenfiguren wie Faith Frank in Romanen und im echten Leben, und sie sollen bitte auch dick, schwarz, lesbisch, arm, krank oder aus anderen Gründen diskriminiert oder von der gesellschaftlichen Norm ausgegrenzt – und eben trotzdem oder gerade deshalb auch Vorbild sein. Auch sie hat es schon immer gegeben, und das werden dann hoffentlich die Erfolgsgeschichten, die nach diesem Protestjahrzent der vielfältigen Frauenbündnisse, für selbstverständlich erachtet werden. Meg Wolitzer hat immerhin mit Zee Eisenstat auch eine coole, lesbische Protagonistin geschaffen.
Und wenn ihr als Leser*innen dieser Rezension jetzt glaubt, ihr wüsstet schon, was in diesem Buch drin steht, nach dieser ausführlichen Buch-Besprechung und bräuchtet es eigentlich gar nicht mehr zu lesen: mitnichten. Es werden in „das weibliche Prinzip“ so viele Geschichten von so unterschiedlichen Lebensphasen erzählt, dass die Greer-Frank-Emanzipations-Story “nur” der Strang ist, der alles zusammenhält. Und über die Weihnachtstage werde ich Meg Wolitzers gerade erschienenes Buch „die Zehnjahrespause“ über Mütter in ihren 40er-Jahren lesen. Und dann davon berichten. Es kann ja nicht schaden, mal reinzuschnuppern bzw genau hinzuschauen, was mit den Leuten jenseits der 30 so los ist. Man muss ja nicht gleich vor Ehrfurcht in Ohnmacht fallen.
Meg Wolitzer, „Das weibliche Prinzip“ (Roman, 494 S. Dumont, gibt es seit August 2019 als taschenbuch, Erstveröffentlichung 2018)