Unsere Lieblingsblondine hat mit unserer Lieblingsblondine telefoniert, und das auch noch am Valentinstag! In anderen Worten: Christina Mohr sprach mit Debbie Harry exklusiv für diesen Blog. Anlass war die Lesereise zu “Face It”, der Autobiographie, die Debbie Harry im März durch vier deutsche Städte führt.
Christina verriet uns, dass sie vor dem Interview “meganervös” war, auch weil andere Journalist:innen immer sagen, wie zickig und schwierig Debbie Harry sein kann. Dann sei aber das Gegenteil der Fall gewesen: Debbie Harry war sehr sweet und in Plauderlaune! Als Christina nach 30 Minuten ordnungsgemäß zum Ende kam, klang die Pop/Punk-Ikone fast überrascht. Sie hätte bestimmt auch noch weitere Fragen beantwortet. Unsere Autorin hat mit Absicht nicht nach #metoo, Drogen, Faceliftings und David Bowies Penis gefragt – weil danach alle fragen und Debbie Harry offenbar nicht gerne darüber spricht. Der Part über Windräder und Naturschutz ging eindeutig von ihr aus! 🙂
CM: Einen schönen Valentinstag wünsche ich Ihnen – gönnen Sie sich heute etwas Besonderes?
Debbie Harry: Ebenfalls! Heute hat ein Freund von mir Geburtstag, ich gehe nachher noch zu seiner Feier!
CM: Ist es wahr, dass Sie das Manuskript zu Ihrem Buch in einem Taxi vergessen haben?
DH: Haha, fast richtig! Ich hatte es in einem New Yorker Café liegen gelassen und habe es im Taxi gemerkt. Als ich zurück in den Laden kam, gab es mir der Kellner grinsend zurück – ich wette, dass er drin gelesen hat!
CM: Er wusste also, wer Sie sind?
DH: Ja (lacht), er hat mich wohl erkannt!
CM: Sie kommen in wenigen Wochen zusammen mit Chris Stein erneut für einige Lesungstermine nach Deutschland – sind Sie gerne hier?
DH: Oh ja! Dank Blondie kenne ich ja eure tollen Städte schon lange: Berlin, Hamburg, München… ein guter Freund von mir lebt seit acht Jahren in Berlin. Ich schätze, dass es ihm ja dann wohl gefallen muss! Berlin ist ein bisschen wie New York, finde ich: So viele Künstler aus aller Welt leben dort, man kann so viel unternehmen!
CM: Haben Sie denn Gelegenheit, sich beispielsweise Museen anzuschauen?
DH: Leider viel zu selten – nach den Veranstaltungen gehen wir oft zum Dinner mit den Veranstaltern, Journalist:innen wie Sie wollen auch zu Ihrem Recht kommen… aber so eine Lesereise ist ja schließlich keine Vergnügungsreise, sondern harte Arbeit! Wenn ich mich mal kurz davonstehlen kann, gehe ich gern spazieren, schaue mir Gebäude an – ich liebe Architektur!
CM: In den letzten Jahren sind einige (Auto-)Biografien von Musikerinnen wie Viv Albertine, Kim Gordon, Chrissie Hynde, Jordan, Vivien Goldman und Poly Styrenes Tochter erschienen – haben Sie sie gelesen?
DH: Das habe ich – auch, um ein Gefühl dafür zu bekommen, selbst zu schreiben. Ich finde es interessant, wie andere ihre Geschichten erzählen.
CM: Sie mussten überredet werden, eine Biografie zu schreiben, habe ich gehört…
DH: Ja, das stimmt – aber dann wurde ich doch immer begeisterter von der Idee. Wissen Sie, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat und damit rechnen muss, dass es ein öffentliches Interesse an der eigenen Geschichte gibt – dann sollte man sie selbst aufschreiben, so lange man es noch kann. Bevor es jemand anderes tut!
CM: Es gibt ja schon eine Biografie über Sie: “Platinum Blonde” von Cathay Che aus dem Jahr 1999…
DH: Mit diesem Buch habe ich nichts zu tun, ich war zu keinem Zeitpunkt involviert!
CM: Wirklich? Das hätte ich nicht vermutet, das Buch wirkt stellenweise so vertrauensvoll…
DH: Ich habe mit Cathay nie gesprochen!
CM: Aber mit Sylvie Simmons schon, oder? “Face It” basiert auf mehreren Interviews von ihr mit Ihnen, steht auf dem Klappentext.
DH: Ja, das stimmt – Sylvie und ich kennen uns schon sehr lange, wir haben uns schon früher immer Briefe geschrieben. Sie ist eine wirklich versierte Journalistin, wir haben sehr oft und lange telefoniert. Sylvie hat die Gespräche aufgeschrieben und mir geschickt, ich habe dann hier und da ein wenig editiert – und kam dadurch auf den Geschmack, selbst ganze Kapitel zu schreiben.
CM: Wird es einen zweiten Teil geben? Das kündigen Sie am Schluss von “Face It” jedenfalls an…
DH: Ich denke ja – ich mache schon fleißig Notizen. Es geht nicht besonders schnell voran, weil das Schreiben nicht meine allererste Berufung ist. Aber es wird!
CM: Ihr deutscher Verlag nennt Sie im Presseinfo eine “Aktivistin” – für Natur, Bienen, LGBTQ… würden Sie sich selbst auch so bezeichnen?
DH: (denkt nach)… ja, doch… doch! Ich mache wirklich sehr viel, unterstütze verschiedene Organisationen, äußere mich öffentlich zu Themen wie Naturschutz – die Menschen müssen begreifen, dass das Leben auf diesem Planet nur eine Chance hat, wenn wir uns alle engagieren! Wissen Sie, was mich wirklich ärgert? Dass es in den USA bisher nur so wenige Windräder gibt – das ist bei euch in Deutschland anders, nicht wahr?
CM: Ja, das ist richtig – es gibt aber auch Proteste gegen Windräder, weil sie angeblich die Landschaft verschandeln und Vögel töten…
DH: Wirklich? Ok, ich wohne natürlich nicht in der Nähe eines Windrads und kann mir kein Urteil darüber erlauben, wie es ist, wenn man welche direkt vor der Nase hat. Aber andererseits: Windräder oder Windmühlen sind doch eine ganz alte Form der Energiegewinnung! In den Niederlanden gab es doch früher so viele, zum Beispiel.
CM: Haben Sie womöglich von “Fridays for Future” gehört?
DH: Nein, berichten Sie mir! Das ist ein toller Slogan!
CM: Schüler:innen und Jugendliche gehen freitags nicht zur Schule oder zur Uni, um stattdessen gegen den Klimawandel zu demonstrieren – ausgelöst durch Greta Thunbergs “Skolstrejk for Klimatet”. Die Bewegung ist riesig geworden – und doch wird über die Jugendlichen geschimpft: Vor kurzem fanden die Alt-68er “die Jugend” passiv und desinteressiert – jetzt gehen Jugendliche auf die Straße, was den Erwachsenen aber auch nicht passt, weil es nun ihren liebgewonnenen Privilegien an den Kragen soll.
DH: Oh, es ist großartig, was die Jugendlichen da tun! Und sie haben völlig recht, man muss sich von altgedienten Gewohnheiten verabschieden. Sonst haben wir alle keine Zukunft.
CM: Sie sind leidenschaftliche Autofahrerin, oder?
DH: Ja, das stimmt, aber wenn ich in New York bin, fahre ich kaum. Ich wünsche mir wirklich sehr, dass die Forschung in punkto umweltfreundlicherer Treibstoffe oder überhaupt anderer Transportarten Fortschritte macht. Aber ich bin zuversichtlich!
CM: Zurück zu Ihrem Buch: Ich fand es sehr interessant zu lesen, dass Sie versuchen, in Hotelzimmern keine Spuren zu hinterlassen, z.B. Haare in der Toilette herunterspülen – dabei sind Sie doch sowieso eine extrem prominente Person!
DH: Haha, vielleicht habe ich in meiner Jugend zu viele Science-Fiction-Filme gesehen und fürchte mich deshalb davor, dass aus meiner DNA in geheimen Laboren schreckliche Monster gemacht werden! Inzwischen mache ich das aber nicht mehr so akribisch, ich bin etwas lockerer geworden. Es hat aber auch damit zu tun, dass ich im Hotel gerne Ordnung halte, vor allem auf Tournee: Man muss oft schnell seine Sachen zusammenpacken und weiterreisen – deshalb breite ich mich im Hotel-Badezimmer nicht besonders aus, sondern versuche, möglichst alles beisammen zu halten. Und kein Chaos für die Angestellten zu hinterlassen!
CM: Noch interessanter fand ich die Stelle, an der Sie über Gender Fluidity schreiben, von ihren männlichen und weiblichen Anteilen, oder dass Blondie-Lyrics nie eindeutig aus weiblicher Perspektive geschrieben sind. Und in der Markus Lanz Show sagten Sie, dass Sie als junges Mädchen entweder Debbie oder Harry genannt wurden – so offen habe ich noch keinen Star wie Sie über Gender-Identität sprechen hören!
DH: “Debbie” oder “Harry” war ein Spiel mit Worten, ein Ausprobieren… es passte ja beides! Als ich zur Schule ging, war ich sehr athletisch, ich habe viel und gern Sport getrieben – und das meistens mit Jungs. Mädchen machten damals nicht so viel Sport, das war wirklich so. Vielleicht kommt mein “genderfluides” Körpergefühl aus dieser Zeit – ich kenne es eigentlich nicht anders. Aber es stimmt, Blondie-Songs haben keine explizit weibliche Sichtweise.
CM: Wie finden Sie Billie Eilish? Sie präsentiert sich sehr androgyn…
DH: Oh, vom künstlerischen Standpunkt kann ich sie nur bewundern – es ist toll, was sie und ihr Bruder Finneas bisher geleistet haben. Ich mag ihre Songs wirklich sehr. Und ich finde sie sehr hübsch, sehr ungewöhnlich.
CM: Bob Stanley von der Band St. Etienne schreibt in seinem Buch “Yeah Yeah Yeah” über Sie, dass Sie möglicherweise als Komponistin und Autorin ernster genommen worden wären, wenn Sie eine “hässliche Krähe” (seine Wortwahl) gewesen wären. Sehen Sie das auch so?
DH: Oh, ich hoffe natürlich, dass das als Kompliment gemeint war… ja, da ist bestimmt etwas dran. Meine Zusammenarbeit mit Chris Stein war so umfangreich und langjährig, wir haben so viel geschrieben und veröffentlicht… aber offenbar herrschte die Meinung vor, ich sei “nur” die Sängerin. Ich finde schon, dass meine Beteiligung etwas stärker gewürdigt werden sollte – aber glauben Sie mir: ich laufe nicht den ganzen Tag herum und jammere darüber, dass ich ungerecht behandelt worden bin!
CM: Auf welche Songs oder Schaffensperioden sind Sie besonders stolz?
DH: Hmmmm…. einige Stücke von meinen Soloalben finde ich wirklich gelungen: “I Can See Clearly” vom Album “Debravation” zum Beispiel, oder “In Love With Love” von “Rockbird”… von den Blondie-Songs natürlich “Heart of Glass”, weil wir damit wirklich etwas gewagt hatten und dann auch noch so einen Riesenerfolg hatten, auch “The Tide Is High” war wegen des Stilwechsels zu Reggae ein toller Coup. Auf “Rapture” bin ich auch nach wie vor sehr stolz – und von unserem ersten Album möchte ich “X Offender” hervorheben: Der Text über einen Vergewaltiger ist – leider – noch immer total aktuell.
CM: Wir sind uns vor vielen Jahren schon einmal begegnet: Als Sie Mitte der Neunziger mit den Jazz Passengers in einem kleinen Marburger Club aufgetreten sind. Erinnern Sie sich an diese Tour?
DH: Aber ja! Wir sind im “Ice-Train” (sie sagt “Ice” wie “Eis”, nicht I-C-E. Ich hab sie nicht verbessert, weil es so süß ist / Anm. cm) durch Deutschland gereist, das hat wirklich Spaß gemacht. Und in kleinen Clubs aufzutreten ist toll, ganz anders als mit Blondie, wo das Publikum immer so groß ist, dass man keine einzelnen Personen erkennt.
CM: Würden Sie so etwas mal wieder machen: Mit dem Zug durch Europa fahren und in kleinen Läden auftreten?
DH: Ja, gern – aber ich weiß nicht, ob es stattfinden kann. Es muss auch ökonomisch machbar sein, wissen Sie… in New York trete ich ab und zu (ohne Blondie) in Clubs oder Bars auf. Aber dann bin ich alleine und es ist kein großer Aufwand.
CM: Sie schreiben, dass “Debbie Harry” eine Kunstfigur ist: wie schwer ist es, von öffentlich zu privat umzuschalten – oder sind Sie inzwischen daran gewöhnt?
DH: Das haben Sie jetzt sehr schön formuliert: Ja, ich bin daran gewöhnt.
CM: Am Schluss von “Face It” schreiben Sie, dass Sie noch immer ein New York Punk sind – wie meinen Sie das?
DH: Ich lebe wirklich gern in New York, ich könnte gar nicht anderswo leben… Wie gesagt: ich finde ja, dass sich Berlin und New York ein bisschen ähneln. So viele unterschiedliche Leute, Szenen, Clubs… ich gehe immer noch viel und gern aus und ich glaube, dass ich das in keiner anderen Stadt tun könnte außer in New York. Dort kann ich sein wie ich will.
CM: Blondie sind nach wie vor eine aktive Band – gerade habe ich das Ankündigungsposter für das “Cruel World”-Festival in Los Angeles im Mai gesehen: Neben Blondie treten Bauhaus dort auf, Devo, Public Image Ltd., The Psychedelic Furs, Morrissey ist Headliner… freuen Sie sich darauf?
DH: Oh ja, ich liebe es, live zu spielen – und dieses Festival ist wirklich gigantisch. Wir sollten das gesamten Package nach Europa überführe, Ihr könnt ja nicht alle nach Los Angeles kommen…
CM: Das wäre großartig – allerdings fürchte ich, dass Morrisseys Headliner-Status für Proteste sorgen könnte…
DH: Warum? Was hat er gemacht?
CM: Er redet sich in punkto Zuwanderung um Kopf und Kragen, er trägt bei TV-Auftritten Badges rechter Parteien…
DH: Oh je… Morrissey scheint mir aber schon immer ein, ähm, spezieller Charakter gewesen zu sein.
CM: Das haben Sie aber sehr höflich ausgedrückt!
DH: Ich versuche immer, höflich zu sein.
Vielen Dank für dieses Gespräch – und gute Reise!
Am 8. März 2020, Frauen*kampftag, stellt Torsten Groß, der Übersetzer der Blondie-Biografie “Face it!”, gemeinsam mit Mieze Katz (MIA.), das Buch bei unserer Veranstaltungsreihe “Ich Brauche eine Genie” vor.
Mieze Katz, Debbie Harry, Torsten Groß in Hamburg, 2019
Zum Weiterlesen auf diesem Blog. Rezension von Kerstin Grether:
Debbie Harrys Autobiografie – Das Mädchen aus den Märchenwäldern New York Citys
Debbie Harry & Chris Stein in Conversation 2020
07.03. Hamburg, Kampnagel
09.03. Berlin, Funkhaus
11.03. Köln, Theater am Tanzbrunnen (lit.COLOGNE)
13.03. München, Muffathalle