Manic Mittwoch, Pt 11: Schließt endlich die Schulen – am besten für immer!

von Kersty

Über das Recht auf Bildung in der Corona-Krise, und darüber hinaus.

 WIR MÜSSEN NICHT WOLLEN  

 „Nie mehr Schule, keine Schule mehr, denn der Umstand ist bekannt, zu viel Schule macht uns krank, jaja“ (Falco, vom Album „Einzelhaft“)

Ist es nicht der Wahnsinn, wie totalitär in diesem Monat die Schulpflicht durchgezogen worden ist, komme was wolle? Abstand-Halten ist im Schulunterricht nicht möglich? Na, dann eben ohne Abstand. Schule kennt sowieso keinen Anstand, sondern nur Pflicht. Hält nur Abstand zu Leuten, die nicht dazugehören (wollen.)  Und jetzt ist es gekommen, wie es wollte und viele Menschen sind schon gestorben, deshalb. Surprise, surprise. Nie habe ich die Verfechter der Schulpflicht so gehasst wie in diesem Herbst/Winter, und oh my god, was habe ich die Schulpflicht schon gehasst in meinem Leben!

Wie die Wissenschaft jetzt also herausgefunden hat: die Schulen sind einer der Hauptgründe für die weiterhin hohen Corona-Fallzahlen. Oh Girl, das hätte ich dir als Schulschwänzer der besonderen Klasse auch schon vor einem Monat sagen können. Aber der Reihe nach:

Ich habe Schule ab der fünften Klasse nur noch gehasst, obwohl ich in manchen Fächern echt top war: Mein Englischlehrerin in der Oberstufe schwärmte immer vor versammelter Klasse von meiner „angeborenen Fähigkeit zur Textanalyse“, um meine Einser im Zeugnis zu begründen, die ich aufgrund meiner mangelnden Anwesenheit im Mündliche-Noten-Sind-Doch-So-Wichtig- Präsenzunterricht natürlich niemals hätte bekommen dürfen. Sie meinte sogar, solche erstklassigen Aufsätze wie ich, könnte sie selber niemals schreiben und man dürfe mir nicht das Leben versauen, nur weil ich es aus tausend Gründen nicht schaffe, morgens aufzustehen. Und auch mein Deutschlehrer war kurz davor sich in eine andere Schule versetzen zu lassen, weil er sich so unsterblich in mich verknallt hatte, was man mir, glücklicherweise, aber erst an dem Tag mitteilte, als wir unsere Abiturzeugnisse ausgehändigt bekamen.

Solche kleinen, menschlichen Erfolgserlebnisse und spontane, nicht abgesicherte Sonderregelungen für psychisch-kranke Genie-Wracks wie mich, konnten aber nie etwas daran ändern, dass Schule für mich ein einziger Albtraum war, aus zigtausenden von Gründen, die hier alle aufzuführen selbst den Rahmen dieser manischen Kolumne sprengen würde.

Aber apropos Alb-Traum: was gibt es schließlich Schlimmeres, als um halb sieben Uhr morgens aus seinen süßen Träumen (falls noch welche übrig waren, die nach Himbeer-Marmelade schmeckten) gerissen zu werden, um dann die Hälfte des Tages in einer staatlichen Institution zu verbringen, die mir haargenau das, was mich wirklich interessiert hätte, einfach, sorry leider wirklich nicht beibringen konnte? Was mich interessiert hätte, war, mit dem leider sexistischen, aber ansonsten großartigen Schriftsteller Rainald Goetz gesprochen, zu erfahren wie es denn so geht DAS SCHEIßLEBEN. Wie das Scheißleben geht, hab ich überall erfahren, nur in der Schule GERADE NICHT.

Deshalb nervt es mich so, wenn heute so getan wird, als seien Bildung und Schule ein und dasselbe. Staatliche Schulen sind die heiligen Kühe unserer Zeit. Für mich und viele, viele andere war aber Schule der Inbegriff von Scheißleben, eine wirkliche Scheißzeit, mit Mobbing und Anpassungsdruck (bloß nicht auffallen! Bloß nicht anders sein als die anderen)  – und einer der Gründe warum ich nie, aber auch wirklich nie, einfach mal meine Ruhe hatte. (Außer, wenn ich einfach nicht aufgestanden bin, acht Stunden Schlaf hab ich mir gegönnt. Wieso? Ist doch gesund!). Als Tochter, die mit einer psychisch schwerkranken Mutter alleingelassen wurde, fiel ich durch alle Netze, die es so gibt. Mich hat wirklich nie ein Mensch gefragt, wie s mir eigentlich so geht oder warum es mir so dreckig geht. Oder mir gar raugeholfen. Immer nur lag man mir in den Ohren mit der Schulpflicht. Es gibt seit ein paar Jahren auch Initiativen von Kindern psychisch kranker Eltern, die z.B. als Kind mitansehen mussten, wie ihre Mütter in einer Psychose waren, aber als ich in der Schule war gab es solche Initiativen noch nicht.

Trotzdem freue ich mich wirklich von ganzem Herzen für jeden, der Schule als etwas Positives erlebt, oder erlebt hat. Noch mehr allerdings möchte ich gerne mal die Stimmen derer hören, die Schule als einen Horror erleben. Traut sich das überhaupt noch eine*r  zuzugeben? Oder wird so eine Jugendliche oder ein Jugendlicher überstimmt vom zigmillionenfachen Heer der kollektiven (Un-)Vernunft, das uns immer und überall das bittersüße Ständchen vom Recht auf Bildung, gerade für die Schwächeren, singen will? So totalitär ist dies „Recht auf Bildung“ nun im deutschen System verankert, dass man auch in Kauf nimmt, dass viele Menschen deswegen an Covid-19 sterben, und da möchte ich in meiner Eigenschaft als Selberdenkerin gerne mal dagegen halten: Denn dieses Recht auf Bildungs-Gequatsche kommt ja erstens vor allem der Wirtschaft und zweitens den Mittelschichts-„Normalos“ zugute und drittens und viertens und fünftens: Wir sollten nie vergessen, dass es sich dabei um STAATLICHE Bildung handelt. Es gibt zig andere Formen von Bildung. Es gibt die Bildung, die sich automatisch einstellt, wenn eine einzelne Eule nachts noch wach liegt, um in Texten von Adorno, Irmgard Keun, Stuckrad-Barre, Toni Morrison, Oscar Wilde oder Judith Butler zu schwelgen, oder vielleicht sind es auch nur die Groupie-Erinnerungen von Pamela des Barres. Also jedenfalls, dieses wichtige Computerspiel, Buch oder Brettspiel, dass das Brett vor dem Kopf, das wir alle haben, ein Stück weit beiseite schieben kann, das er oder sie unbedingt noch zu Ende lesen oder spielen muss, weil da sowas Tolles, Inspirierendes, Alles-Erklärendes drin steckt, was eh alles weghaut, was man so kennt: ist das nicht letztlich die einzige Bildung, die wirklich bleibt?

Gute Bildung ist immer pubertär, immer solitär, baut sich sein eigenes Schloss, und wirft die Gabel aus dem Fenster.  Warum brauche ich die Schule um mir zu sagen, welche Diskurse es so gibt??? Es gibt doch Internet, Freundescliquen, Buchhandlungen und Bibliotheken. Oder die Popkultur. Zeitungen. Zeitschriften. Songs, Spiele. Haben wir nicht (honigsüß-konstruktiv gefragt) verlernt SELBER ZU LESEN? Aber auch das stimmt so nicht; die allermeisten Leute denken und fühlen und lesen am liebsten allein, um drei Uhr nachts, wenn die glänzendsten Wahrheiten die schärfsten Umrisse haben. Die Lehrerinnen und Lehrer wollen es nur nicht wahrhaben, und die gestressten Eltern erst Recht nicht. Tja, das gute, alte „einfach so mal ein Buch lesen.“ Ohne, dass einem ein Beamter des Staates, ein sogenannter Lehrer also, erklärt hat, wovon es handelt – und wie man es zu nehmen hat. Und auch kein Universitätsprofessor. Und später wird es mal nicht zur Rente angerechnet. Verdammte Zeitverschwendung aber auch, diese Selberbildung, Ichausbildung, Wechselbildung. Wirtschaftlich nicht rentabel, aber krass, geil, aggro. Nur so kommt man durch, freiwillig von Seite 1 bis zu Seite 390.

Auf diese Weise habe ich mir schon als Teenager meine gesamte feministische und anti-rassistische Bildung angeeignet: Susan Faludi, Judith Butler, bell hooks, Angela Davis, Lester Bangs, Julie Burchill, Julia Kristeva, Gayatri Chakravorty Spivak, Michel Foucault, Pierre Bourdieu,  Michelle Wallace, Diedrich Diederichsen,  Simone de Beauvoir, Virginia Woolf. Da hätte ich ja lange warten können bis sowas mal in der Schule unterrichtet worden wär, aber das ist nur ein SEHR kleiner Auszug dessen, was ich einfach gelesen habe, weil es mich interessiert hat. Von all den Romanen, die ich während des Unterrichts, unterm Schultisch, gelesen hab, weil wir im Unterricht immer nur doofe Literatur gelesen haben, nämlich mal ganz abgesehen.

Der Abschuss war, wie wir mal im Deutsch-Buch eine Erzählung von Irmgard Keun drin hatten, was selten genug vorkam, in Anbetracht der sich unpolitisch gebenden, postnationalsozialistischen deutschen Spießer-Schriftsteller*innen, die wir sonst vorgesetzt bekamen, und ich war so aufgeregt und euphorisch über Keuns Text „Wir schreiben dem Kaiser einen Brief“, sowas Tolles hatte ich (es war im Schulbuch der achten Klasse) bis dato noch nie gelesen. Auf meine glühendes, quasi sofort einsetzendes, Fantum reagierte der Deutschlehrer (nein, es war nicht der Verliebte) mit sofortiger Macho-Allüre. Die Keun sei aber so toll jetzt auch wieder nicht gewesen, kein Grund in Begeisterungsstürme auszubrechen, weil das sei doch einfach echt `ne krasse, auf deutsch gesagt: Säuferin gewesen, keine literarisch (oder meinte er vielleicht liter-arisch? ) wirklich anspruchsvolle Schriftstellerin. (Schlag nach unter: „die deutsche Frau trinkt nicht.“) Na, jedenfalls haben wir ja sowieso in der Oberstufe nur Bücher von männlichen Autoren gelesen (die natürlich alkoholisiert sein durften, wie sie wollten, sogar im Exil),  wovon Adorno und Thomas Mann im Abituraufsatz noch das einzig Erträgliche war.

Wobei Sandra, die aufgrund der Tatsache, dass sie nie sitzen geblieben ist, ein Jahr vor mir Abitur machte, einwendet, ich soll bitte noch schreiben, sie sei im Abitur-Aufsatz gezwungen (Alternative wäre nur: kein Abitur) gewesen, Patrick Süskinds blumigen Frauenmörderverhamlosungs-Duft-Epos „Das Parfum“ (sechs Stunden lang ) zu analysieren. Man muss verstehen, dass ein Vollwaise zum systematischen Frauen-Killer wird, wie viele Frauen waren es gleich? Alles Kunst, ey. Staatlich zertifiziert und schadstoffgeprüft, von irgendwelchen Kultusministern. Das Buch wird auch dem Genre des „magischen Realismus“ zugeordnet. Na denn! Auch heute wird der Roman wohl noch in der Schule unterrichtet, zum Thema „postmodernes Erzählen wäre mir da aber auch was Besseres eingefallen, als Schülerinnen dazu zu zwingen, sich ca. 25 Mal  („gute Sprache!“) durchzulesen, wie ein Mann en detail eine Frau ermordet. Immer dem Geruch nach! Er hatte nämlich eine außerordentliche Begabung im Riechen, der Gute. Natürlich alles ohne Aufklärung über sexualisierte Gewalt und ohne Triggerwarnung. Und wer was sagt ist gegen Kunst.

Aber die Frage nach Bildungsinhalten ist gerade eigentlich auch nicht der Punkt, auch wenn es mir Spaß macht, das hier auszubreiten. Der Punkt ist: Herzensbidlung, the one and only. Das wäre doch jetzt die Chance für die Schulen: ein Zeichen zu setzen, gegen das Survival of the Fittest, das ( wo sonst?) im Schul-Alltag , doch auch täglich seinen fröhlichen Dauerlauf nimmt.

Haben sie die Schwächeren, für die das angeblich alles ist, weil sie diese Bildung „nicht von zu Hause mitkriegen“, mal gefragt, wie sie sich Schule wünschen? Am besten gar nicht in die Schule, nicht jeden Tag, sechs bis acht Stunden Dauerlauf, würde da sicher so manch einer sagen, wenn er/sie ehrlich wäre. Aber gegen die Schule als solche darf heute nur noch in Rap-Texten gewettert werden. Ein Grund warum Raptexte immer noch wichtig sind, by the way.

Das Einzige, was dem streunenden Punk in mir zur derzeitigen Corona-Lage einfällt, ist daher:

Jetzt schließt doch endlich mal die Scheiß-Schulen. Am besten für immer!

„Life is very long when you`re lonley“ (The Smiths), aber es kann auch ganz schön kurz sein. Jedenfalls kann keine*r  mit Sicherheit sagen, dass er oder sie hundert Jahre alt wird. (Schon gar nicht in Zeiten von Corona.) Es gab auch schon Leute, die sind mit 25 Jahren gestorben, oder mit 17.  Ist es überhaupt vertretbar, den Menschen mal so eben 12, 13 Jahre ihrer Lebenszeit zu klauen, und dann auch noch das OBLIGATORISCHE, NIEMEHRINFRAGEZUSTELLENDE Studium obendrein, nur um vergleichbare Leistungen herzustellen, die doch sowieso in keinster Weise vergleichbar sind, weil die Lebensbedingungen unter Menschen NIE vergleichbar sein werden. Scheißt doch mal jetzt auf eure Vergleiche. Schließt doch jetzt mal eure pädagogisch wertvollen, bestimmt ganz, ganz liebevoll refomierten Kinder und Jugendlichen-Zuchtanstalten.

Sagt euch doch einfach täglich: NIE WIEDER EUTHANASIE, denn darauf Leben in lebenswert und unlebenswert einzuteilen, läuft  es doch hinaus, wenn man täglich performt, dass das Leben älterer Menschen und bestimmter Risikogrupppen halt nicht so viel Wert ist, wie das gottverdammte Scheißrecht auf Bildung. Menschen holen sich ihre Bildung doch eh von überall her. Das Einzige, was sie in diesem Winter in Schulen lernen können, ist, hingegen mit The Clash gesprochen: “HOW TO BE SICK.”  Und vor allem: wie man andere sick macht.  Nehmt es als Anlass zur Herzensbildung und scheißt auf euren blöden Lernplan, wo eh nur das staatlich erwünschte Wissen drauf steht. Für wie blöd haltet ihr eigentlich eure mit verheuchelter Hingabe sogenannten „Schwächeren“? Sie wissen vielleicht nicht viel, aber so viel, dass die herrschende Meinung die Meinung der Herrschenden ist, wissen die meisten schon noch.

Ja, ich weiß, dieser Text ist in keinster Weise verantwortungsvoll oder zu Ende gedacht. But so what? Im Moment hilft nur noch Punk, und Tocotronics „Sag alles ab“.  Und was ist mit Feminismus? Die Mütter, die ihre Kinder nicht den ganzen Tag zu Hause ertragen? Da muss ich jetzt mal in meiner Eigenschaft als Selfmade-Feministin ganz hartherzig werden: wer ein Kind will, muss es wohl leider auch in Katastrophenzeiten ertragen. Das ist so wie mit dem Künstlerinnen-Beruf. Wobei auch hier etwas mehr Ehrlichkeit angebracht wäre. So schlimm finde ich es nicht, zuhause zu bleiben, denn auch dafür bin ich Künstlerin  geworden. Um nicht zu sagen:  Oh verdammt, I love it! 

Ach, ja und liebe Mütter: auch wenn das in euren Ohren vielleicht klingt wie der Gipfel der Dreistigkeit: BITTE ERLAUBT EUREN KINDERN SICH DARÜBER ZU FREUEN, DASS SIE MAL NICHT IN DIE SCHULE MÜSSEN. Der Ernst des Lebens hat doch gerade erst begonnen… Die meisten von uns werden später mal keine Vizepräsidenten oder Präsidentinnen des Bundestages. Gibt es nicht auch ein Recht auf Totalverweigerung? Wir müssen nicht wollen. Und eine 14-jährige kann sich doch auch mal selber ein Brot schmieren, oder nicht? Traumatisiert das? 

Auf jeden Fall hab ich die Angela heute mal richtig lieb, wie sie im Bundestag so eindringlich-sarkastisch wurde: “Wenn die Menschen jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben, und es anschließend das letzte Fest mit den Großeltern war, dann werden wir sicher etwas versäumt haben. Das sollten wir nicht tun.” Last Christmas mal anders. 

Ist es wirklich so, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der es den Menschen, aufgrund von Gewohnheit, nicht möglich ist, mal drei Tage nicht in die Institutionen zu gehen? “In denen du sonst nichts vermisst, außer dir selbst?” (Blumfeld).