Blutrot und Bluemond: Teri Gender Bender – 10 neue Solo-EPs auf einmal!

Teri Gender Bender – Sängerin, Songschreiberin, Gitarristin und  Frontfrau von LeButcherettes, einer der aufregendsten mexikanischen (Punk-)Rock-Bands –  macht das Unmögliche möglich! Sie veröffentlicht 60 Solo-Lieder auf einmal. 40 davon auf 10 EPs  – und 20 weitere Stücke verteilt auf 2 Alben, die wiederum auf 4 EPs rauskommen werden. Der Output von Teri Gender Bender, die man derzeit nur mit männlich-verspieltem Oberlippenflaum zu Gesicht bekommt, kann es diesen Sommer ja lässig mit Prince aufnehmen, dachte ich fasziniert, als der Auftrag reinkam über Teri Gender Bender das Platteninfo zu schreiben.

Wir möchten ein bisschen was davon hier mit euch teilen.  Auch wenn es eine Auftragsarbeit war: glaubt uns, wir finden Teri Gender Bender, ihre mal geheimnisvollen, mal into-the-face-Songs; ihr ganzes bisheriges Lebenswerk, wirklich super.

TERI GENDER BENDER – YA NO SOY [Official Video] – YouTube

Starten wir mit den EPs, die  alle im August erschienen sind. Mitte September geht es übrigens mit dem ersten Album (intern: “The Modern Record”),  aka 2 weitere EPs weiter, watch out hier!

 

“Complexify” (10 EPs) / Label: Clouds Hill

von Sandra

Hier kommt ein fantasievoller und farbenfroher, ein radikaler und dabei rauer: ein ordentlich von der Pop Art infizierter Release! Vorhang auf für Teri Gender Bender. Die Frontfrau von Le Butcherettes startet jetzt solo durch! Eine erfreuliche Nachricht, denn nichts braucht die Gegenwartskultur so sehr wie eine authentische Persönlichkeit, die gleichzeitig Exzentrik bündelt. Ganz klar ein Fall für die auffällige und präsente Brünette mit dem großen Herzen und der großen Klappe.

Ein Riot Girl für die große Bühne mit überbordendem Temperament, spektakulären Shows und nachdenklichen Worten. Auf 10 EPs mit jeweils vier Stücken – gießt sie ihr- und unser aller! –  bewegtes Leben in Stücke, bevor sie es in Stücke zerreißt. Kleiner Scherz: aber ihre Band hieß ja nicht umsonst die Butcherettes (Die Metzgerinnen) und war in den späten 00er Jahren die heißeste und politisch dringend nötigste Riot Girl Band Mexikos.

Ihre immer elektrisierenden, immer stürmischen Songs, die sie größtenteils alleine am Computer produziert hat, können die verschiedensten Formen annehmen – von der spritzigen, geschichtenerzählenden Akustik-Gitarren-Ballade bis hin zum synthesizerbasierten Melodram a la Sugarcubes. Sie alle aber haben eines gemeinsam: Sie künden von einem strahlenden, inneren Licht; von Weisheit und Ausgeflipptheit, sind immer stolz, stark und süß zugleich, darin der Pop-Künstlerin Björk ähnlich, die all den Momenten des Innehaltens und Intensiv-Lebens ein ums andere Mal große Kunstwerke und kleine Pop-Miniaturen abgerungen hat. Es geht also um nichts Geringeres als um Weisheit und um Glut!

Dabei gibt es vier Grundsätze, die allen Teri-Gender-Bender-Songs zugrunde liegen, vier Grundpfeiler Wahrheit sozusagen, von denen wir viel lernen können; in den funkelnd schönen und schmerzhaft elegischen Songs:

1)„Es ist besser zu lachen als zu weinen.“ (davon handelt EP 09 mit dem Titel „Funny“, insbesondere der Song „Tiny Elephant“.)

2)„The Show must go on“. (Ihr Lebensmotto übers Musikmachen. Ein übergreifendes Motto für alle Eps, mit dem sie ihren Output ordnen und sich Klarheit über sich selbst verschaffen wollte.)

3) „Alle sind Menschen“ (sogar die Kardashians und die coolen Girls, die eine*n in der High School gemobbt haben. („Wer weiß, was die zuhause alles durchmachen mussten.“)

4) „Alles, was geschieht, geschieht aus einem bestimmten Grund.“

Teri Gender Bender – olivia, she wanted me to leave her alone (lnk.to)

Die EPs auf Spotify, z.B. 

Auf den EPs  werden diese Lebensweisheiten nun zum Funkeln und zum Tanzen gebracht! Geboren aus Leidenschaft, Widerstand gegen die Verhältnisse, Talent und Exzentrik. Blutrot und Bluemond in einem: Ein Kaleidoskop aus Stilen.

Um die Songs zu ordnen hat sie auch hierfür immer mal wieder Musikerfreunde gebeten, beim Sichten des Materials und Entschlacken von Songs zu helfen. „Aber ich habe alle Instrumente selbst eingespielt oder den Leuten genau gesagt, was sie spielen sollen“, lacht Teri. Weitere tolle Ordnungs-Spleenereien für die EP-VÖs ergaben sich aus den Worten selber: Die Anfangsbuchstaben der EPs bilden ein eigenes Wort: „COMPLEXIFY.“ Und alle Titel der EPs aneinander gereiht wiederum ergeben ein Poem.*

Teri Gender Bender – BERKELEY (Official Music Video) – YouTube

Die Sensation an diesem Release ist dabei, dass diese beherzte Musikerin, in all den Jahren einem unglaublichen Schaffensdrang folgend, mal so eben noch dieses stille Solo-Werk geschaffen hat! Jenseits von rauem Garage Rock, entsteht hier eine New School of Pop: am Computer selbst produziert und trotzdem nicht verkopft oder nerdig;  gesanglich auf der Höhe der Zeit und dabei kein High End Pop. Vergleichbar, wie gesagt, etwa mit der Björk bei Sugarcubes, z.B. im Song „Magic Change“ von der EP 03, was Teri Gender Bender als großes auffasst,  und beeinflusst von Pop Stars und Icons wie David Bowie, Betty Davis („die Sängerin UND die Schauspielerin“, lacht Terri), Marilyn Monroe, Pedro Almodóvar. „Mein Spektrum reicht von Horrorfilm bis Spice Girls“ bringt sie es mit ihrem lakonischen Humor auf den Punkt. Interessant ist dabei, dass ihre englischsprachigen Lieder tendenziell experimenteller und punkiger sind als die spanisch-sprachigen, wie etwa „Cortate el Pelo“ (wiederum von EP 03):

„Das liegt wahrscheinlich daran, dass es so viele spanisch singende Pop-Sängerinnen in Südamerika gibt; von Shakira bis Paulina Rubio – viele davon habe ich in meiner Pubertät gehört. Und zwar andauernd. Und die Punkmusik, mit der ich aufgewachsen bin, war eher englischsprachig. So was wie Dead Kennedys und Plasmatics. In gewisser Weise ist es einfacher für mich auf Englisch die Angst zum Ausdruck zu bringen und auf Spanisch die Romantik.“

Was macht ihr mehr Spaß? „Well, im Moment die Romantik, ich höre gerade viel Spanischen Folk und Flamenco, das ist gerade so meine Stimmung. Ich liebe z.B. Rosalia. Ihre Musik ist so futuristisch und ich liebe die Produktion. Aber wir gehen ja alle ständig durch die verschiedensten Emotionen. Morgen sage ich vielleicht, ich will jetzt Black Metal machen.“

Bevor es soweit ist  –  ja,  Teri Gender Bender könnte man sich durchaus auch als Black Metal Sängerin vorstellen –  hat die  Pop-Art-Inspirierte aber nochmal so eben, zu rund zehn der EP-Songs, selbst Videos gedreht! „Ich bin eine 1 Person-Crew“ scherzt die Songschreiberin: Konzept, Performance, Schneiden: macht sie alles selbst!

Im bedrückend-schönen Video zu „Penelope“ (von der EP 02 namens „Olivia, She Wanted Me To Leave Her Alone“) etwa thematisiert sie das Gefühl, dass das Leben sehr langsam vorbei geht, wenn man in einem Traum verharrt. Depressiv ist. Nicht mehr aus dem Bett aufstehen will.  „Just wake me wake me wake me wake me up“ fleht sie.  Ein Song über die Angst sein Leben zu verschlafen. Eine weiße Wand repräsentiert dabei das Prinzip Hoffnung.

Dass man sein Leben auch verschlafen könnte, ist tatsächlich eine der wenigen Möglichkeiten, die es im Kosmos von Teri Gender Bender nicht zu geben scheint. Auch wenn sie die gesamte Gefühlsbandbreite, auch dieser Fantasie, zum Ausdruck bringen kann!

Teri Gender Bender – x rays were taken to make sure i am there, that i exist (lnk.to)

Dabei wäre es allerdings von Vorteil, ihr Werk nicht zu verschlafen. Viel Spaß also bei der Entdeckungsreise. *Und dem Enträtseln des schönen EP-Gedichts:

„Cuando Yo Era Una Nina / Olivia, She Wanted Me To Leave Her Alone/ Madre Would Not Allow It Though / Pestering Became A Virtue / Leaving Her To Be Was Just Not An Option / Erik, Even He Found It To Be Obscene / X Rays Were Taken To Make Sure I Am There, That I Exist / I Suddenly Remembered That I Am Not (It Feels Too)/ Funny / You Were Truly The One That Made Us Laugh.“

P.S. Kleiner Tipp: Die Vornamen sind alles Namen aus der Welt der Kardashians. „Cos they are humans too“ (Siehe Merksatz Nr 3).

Teri  Gender Bender auf Bandcamp

Wer ist Teri Gender Bender? 

von Kersty

Wie bei vielen anderen Popstars war auch die Schulzeit von Teri Gender Bender aka Teresa Suarez Cosio ( wie sie mit bürgerlichem Namen heißt) in Denver als Tochter einer mexikanischen Einwandererfamilie von Außenseitertum geprägt: „Ich habe mir wirklich Mühe gegeben Freundschaften zu schließen. Ich war sogar mal an dem Punkt wo ich mir genau angeschaut habe, was sie anhaben und dann in die Shopping-Mall gegangen bin und mir genau dasselbe gekauft habe. Am nächsten Tag ging ich in die Schule: hey schaut mal, jetzt bin so wie ihr. Aber sie haben sich erschrocken. Sie fanden das wahnsinnig. Es hat alles nur noch schlimmer gemacht.“  Die Sängerin, Gitarristin, Keyboarderin und Gründerin der zunächst in Guadalajara ansässigen Garagepunk-Band Le Butcherettes, hat mit ihren 33 Jahren wahrlich schon ein bewegtes Leben hinter sich.

Als sie 13 Jahre alt ist, stirbt ihr Vater an einem Herzinfarkt. Daraufhin zieht sie gemeinsam mit ihrer Mutter, einer Schauspielerin, aus der Wahlheimat Denver, Colorado, zurück nach Mexiko in die Heimat der Eltern. Dort allerdings ist der Sexismus noch so viel offensichtlicher und präsenter als in den USA. Struktureller und offener Sexismus wird für sie zu einem Dauerschockzustand. Hatte sie schon in Denver Probleme damit, sich dem konservativen Umfeld anzupassen („Meine Eltern sind nie richtig in den USA angekommen und hatten viel mit offenem Rassismus zu kämpfen“) so steht sie jetzt in Mexico vor nicht weniger großen Herausforderungen: „Meine Mutter wollte sich ein Auto kaufen, und alle schauten sie nur entgeistert an. Wer wird das Auto fahren? Die Mutter etwa?“ bekam sie hier zu hören. Als Teri selber etwas sagte, sei durch sie hindurch geschaut worden: „Als wäre ich gar nicht da.“

Le Butcherettes — “Henry Don’t Got Love” — MTV Iggy Live – YouTube

Und der Schulweg im Bus war geprägt von sexualisierter Gewalt und Anmache. „Es war sehr gefährlich.“ Aber Teri Gender Bender (wie sie sich nennt, um männliche und weibliche Energien zu vereinen) geht ihren eigenen Weg! Sie findet Zuflucht in der örtlichen Punkszene, gründet im Teenager-Alter bereits eine eigene Band und schafft sich eine eigene Welt; kämpft wie die Riot Girls in den Neunzigern für sichere Orte, wo man diese Verhältnisse thematisieren kann: „Wir kleideten uns wie Hausfrauen aus den Fünfziger Jahren und ich übergoss mich mit Kunstblut und brachte Schweinköpfe mit auf die Bühne.“ Schon nach der Veröffentlichung von nur einer  EP („Kiss & Kill“ im Jahre 2008)  erhalten „Die Metzgerinnen“  im Jahr 2009 bedeutende mexikanische Awards für Indie. Kurz darauf verlässt die Schlagzeugerin Jolene die Band, und Terri zieht mit 21 Jahren schließlich nach L.A, wo sie viele neue Kontakte knüpft. Jetzt geht alles ganz schnell: als Support-Act für Bands wie Jack Whites The Dead Weather und den Yeah Yeah Yeahs wird sie einer größeren Öffentlichkeit bekannt.

Nicht zuletzt öffnet ihr die langjährige Musiker:innenfreundschaft mit Mars- Volta-Songwriter Omar Rodriguez-Lopez einige Türen. 2011 produziert er das Butcherettes Debutalbum „Sin Sin Sin. „Ich lernte ihn bei einem Gig kennen, bei dem der Strom ausfiel. Ich dachte, „ The show must go on“ und sang einfach A capella in den Raum hinein.“ Da ist er wieder: ihr Sinn für Theatralik, Poesie, wütende Aura.  Der von so viel Spontaneität und Talent beeindruckte Musiker machte ihr auch klar, wie wichtig der Bass ist –  und spielte dann auch gleich Bass in der Band. Plus: Le Butcherettes veröffentlichten fortan auf seinem Label…

 

 

Ein Songtitel wie ein Gedicht. Le Butcherettes 2020, auch hier trug Teri Gender Bender schon ihren Oberlippenbart:

Le Butcherettes – DON’T BLEED YOU’RE IN THE MIDDLE OF THE FOREST – YouTube