von Kersty
Eine Manic-Mittwoch-Kolumne an einem Frauentag, ohne Frauentag. Aber das ist nun wirklich egal. Seitdem ich im Besitz des Corona-Virus bin (oder war: ist ja schon wieder seit zwei Wochen vorbei, jedenfalls wenn man das Testergebnis als offizielles Endergebnis sieht) sind die Stunden und Wochen ohnehin miteinander verschmolzen, als wären sie nur ein einziger Tag. Sie haben sich gegenseitig Puppen in die Zöpfe gedreht und dabei Zaubertee mit Holunderbeeren verschüttet.
-Mein Corona-Tag!
-Und wie wars?
-Na, ja.
Ich liebe es ja, wenn die Dinge, die Gewissheiten sich umdrehen! Wie lange habe ich mich vor dem Corona-Virus gefürchtet, und auf die Zahl der Corona-„Fälle“ gestarrt wie das Kaninchen auf die Schlange. Jetzt bin ich selber bei der Schlange, es fühlt sich – nach drei Jahren Höchstvermeidung aller Gefahrenquellen – so an wie ein Outing, nachdem die ganze Welt sich schon vor mir geoutet hat:
Hallo, mein Name ist Kersty Grether, und ich habe jetzt auch Corona, in der Omikron-Variante.
Ich gebe zu, ich bin von mir selbst enttäuscht. Wie konnte das nur passieren? Im allerletzten Moment sozusagen, wo die Schlange noch bissig war oder so. Aber das Kaninchen weiß nicht wo es sich angesteckt hat. Es war überall nur mit Maske unterwegs. Hat sich nicht in Innenräumen aufgehalten. Außer im Studio und im Proberaum. Und da wurden Corona-Tests verteilt. Schon wieder ein Winter fast nur im Freien und bei Freund:innen und Zuhause verbracht. So hätte es noch ewig weitergehen können.
Jetzt ist doch endlich die Vision von Virginie Despentes Roman „Vernon Subutex“ aufgegangen, den ich vor der Corona Zeit so heftig verschlungen habe, wenn auch aus anderen Gründen. Aber wir leben in den Parks unter freiem Himmel und verbringen die Nächte unter dem süßen, dröhnenden Sternenzelt. Ausgenommen natürlich die Februarnächte, aber ansonsten. Ach, ich mochte das. Die Idee: ich steck mich nicht an, ich will das Scheißvirus nicht in meinem Körper haben, basta, das braucht sich da nicht aufzuhalten, ich tu alles dafür. Das gehört da nicht hin. Schon als ich zum ersten Mal vom Corona Virus gelesen habe, wusste ich: das will ich lieber nicht.
Wie gruselig ist das denn? Ich bin sehr empfindlich bei der Vorstellung etwas in die Lunge zu bekommen, weil ich als Kind unter Pseudo-Krupp-Husten und Bronchitis litt. Ganze Nächte bin ich wachgelegen und hab um mein Leben gehustet, schon bei den ersten Anzeichen musste ich meinen Bruder alarmieren, der dann meine Mutter aufgeweckt hat, und sie hat mir dann irgend so ein lebensrettendes Medikament, irgendwelche Tropfen, verabreicht, wie man so schön sagt, und dann ging es mir schlagartig besser. Immer die Angst nicht rechtzeitig zu diesen Tropfen zu kommen…
Als Erwachsener fasst man sich bei sowas natürlich an den Kopf: Warum stand das Medikament nicht einfach bei mir im Schrank, und man zeigte mir wie das geht mit der Dosierung? Ich hätte vielleicht niemals dieses Gefühl von Panik und Kontrollverlust bekommen, wenn ich mich selber mit der Droge hätte versorgen dürfen. Wobei ich jetzt sagen muss, dass die Kette: Bruder-Mutter-Medikament immer hervorragend funktioniert hat. Und bis vor vier Wochen, bis zu diesem Sonntagmorgen Anfang Februar, hat auch meine Corona Selbstfürsorge hervorragend funktioniert. Ich will damit, mit diesem Text, jetzt kein Victim Blaming betreiben. Ich weiß schon und wusste die ganze Zeit, dass es kaum möglich ist eine Ansteckung mit dem berühmt-berüchtigten Corona-Virus zu vermeiden.
-Oh, oh, my Sharona!
-Und wie war`s?
-In New York?
-Ganz anders, aber toll und scheiße
Ja, ein bisschen ist es so wie: jetzt war ich auch mal in New York, hab das gesehen, was alle gesehen haben, nur in negativ. Ganz ehrlich: ein bisschen neugierig war ich schon. Nach drei Jahren INTENSIVSTER Vermeidung, endlich mal das haben, was alle hatten: diese verdammt beschissene Krankheit, die echt und wahrhaftig und wirklich auch ganz schön beschissen ist. Hab den Text gerade nochmal durchgelesen. Der Vergleich mit New York ist unverständlich. Meine Schwester hat ihn auch nicht verstanden. Aber ich werde ihn trotzdem nicht aus der Kolumne streichen. Es geht ja nur darum ein bisschen zu unterhalten und sowas kann man bekanntlich auch mit Schwachsinn und falschen Verweisen.
Aber ich musste eben die ganze Zeit an mein erstes Mal in New York denken: so viel davon gehört und dann, gerade volljährig, selber mal dagewesen. (Das war übrigens im Jahr 1994, ich war in Brooklyn auf dem Videodreh von Queen Latifah, und habe mich auf die Schnelle in den sanften Promoter von Motown Records verliebt, während ich ein durch Jutta Koether vermitteltes Treffen mit Sonic Youth und Pavement kalt von mir gewiesen habe.
„Jetzt komm doch mal in den hinteren Raum, Kersty, da ist so eine goldene Tür. Ich stell dir Kim und die Jungs von Pavement vor.“
„Das geht nicht Jutta, ich werde hier gerade geheiratet, nein, nicht der von Motown, ein anderer. Da ist ein Typ am Tresen, der hat mir seine Green-Card versprochen, wenn ich mit ihm heim gehe und ihn heirate.“
„Na, dann, viel Spaß.“
„Das mach ich natürlich nicht. Ich flirte nur.“
„Das musst du wissen.“
„Ich interessiere mich einfach nicht für Pavement und Sonic Youth.“
So lustig wie New York City, wo Pavement und Sonic Youth auf mich gewartet haben, war My Corona nun auch wieder nicht. Ich habe schon die allerersten Artikel über Corona, als es noch eine oftmals unheilbar verlaufende Lungenkrankheit war, gelesen und ernst genommen. Als Hypochonder muss man einfach immer auf dem Laufenden sein. Und das was ich, irgendwann zwischen den Jahren, ich schätze mal so circa am 28. Dezember 2019 (!) in einer Spiegel-Online-Meldung darüber gelesen habe, hat mich sofort umgehauen. Oh, die armen Leute, die das haben! Das ist ja die Hölle. Hilfe, ich brauche meine Lunge noch zum Leben und zum Singen. Warum ich so besonders aggro darauf bin, wenn mir etwas in die Lunge fährt, kann ich tiefenpsychologisch erklären bzw eben aus jenem furchtbar nervenden Bronchitis und Pseudo-Krupp-Husten aus meiner Frühkindheit ableiten.
Es gab wirklich niemanden, der so gut aufgepasst hat, wie ich, höchstens Leute, die genauso gut aufgepasst haben. Es wurde einem oft als eine soziale Anmaßung gespiegelt, sich vor dem Virus, vor allem, als es noch keine Impfung und noch keine Masken dagegen gab, schützen zu wollen. Und ich kann von Glück reden, dass sie mich in Prenzlauer Berg noch nicht rausgeschmissen haben, so oft wie ich vor a) hustenden Kindern und b) sich schneuzenden Erwachsenen und c) krank aussehenden Hunden davongelaufen bin bzw Menschen in Räumen angefleht habe, doch bitte eine Maske zu tragen!
Es ist doch toll, wenn Dinge, Sachen, in dem Fall: ich mich meine Gesundheit, sich umdrehen und noch dadurch nochmal einen ganz anderen Blick ermöglichen. Auf so etwas stehen wir Schriftsteller:innen doch!
Also betrachten wir diesen scheußlichen Virus doch mal von seiner gemütlichen, seiner Omi, seiner Omikron-Seite.
Ich muss schon sagen: es weihnachtet sehr. Ich habe davon noch nicht einmal einen richtigen Schnupfen oder Husten gehabt. Wahrscheinlich war es doch richtig sich viermal zu impfen, einmal gegen das Omi direkt. Aber es ist trotzdem verstörend, wie erschöpft, ausgelaugt, kaputt, einfach fertig ich mich seit drei Wochen fühle. Ich kann kein einziges Symptom mehr an irgendeinem Körperteil festmachen. Wo genau liegt die Erschöpfung? Ist es weil der Körper sich so viel Mühe gibt mit dem Virus fertig zu werden? Es ist beinahe beängstigend wie ich meine Fitness von einem auf den anderen Tag eingebüßt habe. Ich bin richtig sauer, seitdem ich nicht mehr jeden Tag mindestens 1 Stunde laufen/joggen kann. Jetzt hab ich schon Herzklopfen nach einem 10 bis 20-minütigen Spaziergang, ich glaub, ich spinn. Langsam geht es wieder besser. Ich hab mich gezwungen jeden Tag eine halbe Stunde zu schlendern, zu trippeln, auf der Stelle zu gehen, Hauptsache raus an die frische Luft, Antioxidantien auffahren. In der Zwischenzeit habe ich mir viele schöne Kleider bei desigual gekauft und den Einsatz von Zink, Vitamin D, Eiweißpulver, Holunderbeeren verdoppelt. Ich habe meinen schönen März- Gesangsfortbildungskurs, für den ich schon das Zug-Ticket hatte, abgesagt, ich komm im Mai wieder, und mich noch nicht getraut ein einziges Mal zu singen. Ich bin zu ängstlich, um es auch nur auszuprobieren. Ich habe Arzt-Checks vereinbart, beim Kardiologen und beim Hausarzt, was man halt so macht, wenn einem absolut nichts fehlt. Erst wenn mir ein Arzt gesagt hat, dass ich keine körperlichen Beeinträchtigungen davon getragen habe, werde ich wieder Sport machen. Zum Glück habe ich ja noch mein Roman-Manuskript. Nicht in der ersten Woche, als der Test noch zwei rote Balken zeigte, wovon der eine schon die ganze Zeit unglaublich blass war, aber danach habe ich die Bewegungslosigkeit meines Zustandes genutzt, um fieberhaft das dritte Kapitel meines Buchs zu Ende zu redigieren. Auch an etwas so Schlimmes, wie das Selber Verfassen eines Exposés hab ich mich herangewagt. Es hat jetzt schon 20-Seiten und liest sich wie ein Aufsatz von Volker Weidermann im Spiegel über den neuen Episodenroman der Kersty Grether. Die eine gute Nachricht lautet also: Schreiben kann man auch mit Covid 19. Musik-Machen eher nicht. Selbst etwas so Gemütliches wie Klavierspielen braucht doch eine gewisse Energie, die ich meinem Körper jetzt nicht abluchse, denn er soll doch das Virus bekämpfen, und sich ganz darauf konzentrieren. Schlecht ist mir schon lange nicht mehr. Schüttelfrost hatte ich nur ein paar Stunden lang, die geringfügig erhöhte Temperatur lag auch nur wenige Stunden bei 37, 8 Grad Celsius und hüpfte dann wieder zurück auf 35, 9 Grad Celsius. Von einem Befall der Lunge mit krankheitsauslösenden Bakterien kann nicht die Rede sein, die Ärztin sagt, Omikron ist in diesen Tagen wirklich nur noch ein Schnupfen, der die oberen Atemwege befällt. Nicht einmal das hatte ich, aber:
Warum ich das alles hier so akribisch aufschreibe: zum einen um dabei zu sein, bei den Corona-Kranken. Man hat so viel darüber gelesen. Dies hier war mein Erfahrungsbericht, zum anderen, um zu staunen: das was ich hier hatte war wahrscheinlich der mildest mögliche Verlauf und ich bedanke mich dafür bei sämtlichen Schutz-Göttern im Himmel und auf Erden, und trotzdem hat es mich noch so geschlaucht, erwischt, verhext, gekriegt, zum Nichtstun gezwungen, mir erzählt, dass ich gerade wirklich gar nichts machen kann, außer aufmerksam Musik hören, appetitlos essen und eigenes Zeugs-Lesen und Internet. Dass ich circa 15 Stunden Schlaf brauche und auf nichts Appetit habe, außer auf das Leben selbst, wie immer.
Hat es sich also gelohnt so dermaßen gut aufzupassen?
Ja, ich würde es wieder so machen! Ich würde wieder aggro „Ich und meine Maske“- spielen. Ich denke, dass auch das, was ich davon abgekriegt habe, auch wenn das in Anbetracht der chronisch an Long-Covid- Erkrankten und der Toten ein schlechter Witz ist, schon zu viel war. Es hat mir immerhin den ganzen Februar 2023 ruiniert. Ich wünsche mir, dass wir alle wieder besser aufpassen. Auf uns selbst und auf andere. Gerade liegen wieder so viele Leute flach mit diesem Virus. Vielleicht ist es gut, ihn einmal gehabt zu haben, allein um mitreden zu können, aber auch um noch besser immunisiert zu sein. Aber ich werde auch in Zukunft gut aufpassen.
Ok, ok, ich habe eine von Psychologen attestierte „hypochondrische Störung“- gegen die ich zwei Jahre lang, von 2020 bis 2022 eine Therapie gemacht habe.
Bei mir ist es also hochoffiziell, dass ich in punkto Gesundheit schnell mal einen Kontrollverlust fühle, vielleicht etwas spinne oder übertriebene Angst habe. Aber hell, yes:
Corona ist ein verdammter Scheiß, und wir dürfen uns alle nicht daran gewöhnen, sollten das nicht unter Schnupfen abspeichern, auch den Leuten zuliebe nicht, die zu Risikogruppen gehören oder bereits chronisch an Long Covid erkrankt sind. Wir sollten auch sie schützen. Ich habe in der Zeit der ziemlichen Energielosigkeit viel an die an ME/CFS Erkrankten gedacht. Wie es wohl wäre, wenn man sich seine Energie in kleinen Löffelchen-Einheiten über den Tag hinweg genau einteilen müsste, geräuschempfindlich wäre, zu schwach, manchmal um Musik zu hören, Brain Fog, der am Schreiben hindert. Ein Leben im Liegen, wo jeder Gang in die Küche oder sonst wohin gut überlegt sein muss. Wo man Zähneputzen zur Energiebilanz des Tages dazu zählen muss. Und wo man vor allem darauf achten muss, dass man diesen Virus nicht noch einmal bekommt, weil man sonst vielleicht für immer bettlägerig wäre.
Ich habe keine Worte dafür. Mein tiefstes Mitgefühl den Leuten, die so etwas ertragen müssen, über Wochen, Monate, Jahre…
Oh je, jetzt ist dieser Text doch noch von unterhaltsam und lustig, auf ernst und moralisch gesprungen. Soll die Lady doch mal Ruhe geben, wenn es bei ihr nicht so schlimm war. Aber das ist ja die Message: noch die harmloseste Infektion fühlt sich schlimmer, dröhnender, lähmender, energieloser an, als alles was ich in den letzten 20 Jahren an Erkältungskrankheiten so durchgemacht habe.
Ich habe zwei Erkenntnisse gemacht während der Corona- Zeit:
Es gibt nichts Schöneres im Leben als
a)genügend Energie zu haben, um seine Träume zu verwirklichen und sein Leben zu leben.
und b) das alles in aufgeräumten Räumen zu tun.
Es nervt mich, wenn ich nicht selbst aufräumen kann.
Ich weiß, es ist wie mit der Sonne, sie kommt schon wieder. Es wird wieder gut, es war nur eine Voraussicht: so wird sich das Leben mit 80 Jahren anfühlen. Jetzt spulen wir gleich wieder zurück, gleich sind wir wieder 20. Als man noch dachte Slacken sei eine Tugend und keine Krankheit. Als man das Schön-Erschöpft-Sein noch auf den Sex in der Nacht davor schieben konnte und nicht auf irgendeinen blöden Virus. Ab und zu hilft es vielleicht sogar, mal krank zu sein. Um zu sehen wie die Kranken auf die Gesunden blicken. So ganz und gar ungläubig: dass sie einfach weitermachen, diese Stabilen, Hochgeschossenen, Lustigen. Mit ihren navy-grünen Thermojacken, und den neobunten Mützen auf dem Kopf, mit Kindern an der Hand, die Eis der Sorte New York Cheesecake essen.
Denn was gibt es Schöneres, als mitten im Winter ein Eis essen zu gehen? Ich kann das alles schon wieder genießen. Stehe in der bourgeoisen Eisdiele um die Ecke und die Menschen spiegeln sich schon wieder in den Kacheln hinter dem Tresen. Ich sehe überhaupt zum ersten Mal die Menschen wieder. Wie sie sich in die Augen lachen, und übermütig noch drei Heißgetränke extra ordern, in furchtbaren Kunststoffpappbechern, auf englisch, of course. Ihre Haare glänzen wie bei der Letzten Generation und toll, wie nackt und heftig sich die Ladies schon wieder geschminkt haben heute. Sie strahlen aus, dass sie kaum gemerkt haben, wie es einfach schon wieder losgegangen ist, das Leben.
Es gibt nichts Schöneres als den Moment, wo man nach einem Infekt wieder gesund zu werden scheint. Bald gehört man wieder zu ihnen, genau genommen war man die ganze Zeit eine von ihnen. Plötzlich scheint auch wieder die Sonne, auf das Denkmal am Stierbrunnen, wo vor ein paar Jahren noch, iniitiert von Christian Y. Schmidt, mit roten Totenkerzen der Corona-Opfer gedacht wurde. Der Stier schaut auf die Erde herab, als wolle er gleich loslegen, surrounded von einem Mann und einer Frau, die sich mit dem Arsch nicht angucken. Das Eis schmilzt, nicht nur in der Kälte, auch in den ersten, wärmenden Sonnenstrahlen. Gott, ist das kitschig, dieses Gefühl am Leben zu sein. Man wird Schritt für Schritt mit dem Leben gesund und man wärmt sich an den Lebenden. Nur ich denke ab und zu noch an die Toten. Und natürlich an Menschen, die ihre Liebsten durch dieses blöde Virus verloren haben.
Wir sollten nicht aufhören, es zu hassen!