von Kersty
Hier mein sehr persönlicher und sehr politischer Nachruf, den ich am 30.11.22 beim Kristof Schreuf gewidmeten Krawalle & Liebe-Salon im Brecht-Haus vorgetragen habe:
Das Leben schien zu sagen: Such Dir Deine eigenen Schulen, Tagesabläufe und Nachtschichten aus, Deine eigenen Freunde.
Es war einmal… in den frühen neunziger Jahren, als man alles wollte, nur nicht bei der Gesellschaft mitmachen. Bei welcher Gesellschaft denn auch ?
Auch das heutzutage selbstverständliche Insistieren auf „ Grundgesetz“ und demokratischen Institutionen, hatte den Beigeschmack von Verblödung, BAP und Rita Süssmuth. (M)eine (pop-)linke Position definierte sich so weit außerhalb von allem, dass eh sogar für die (deutsche) Sprache galt. Einziger Lichtblick: eine Handvoll Bands aus Hamburg, mit denen man über den ganzen Scheiß reden konnte, und die Musikzeitschrift SPEX. Sie war so schön hypergraphisch, schwarz-weiß-bunt.
Und auf keinen Fall wäre man auf die Idee gekommen, fucking Germany könne etwas für einen tun, oder gar, man könnte in hiesigen Universitäten das coole Wissen der Gegenwart erwerben. Also z.B. intersektionaler Feminismus, Literatur jenseits von Böll und Grass, antifaschistische Praxis, dekonstruktivistische Philosophie usw. Das coole Wissen der Gegenwart, das gab es hierzulande an der Uni einfach nicht! Das gab`s für uns allenfalls im Buch-Service der SPEX oder in linken US-Zeitungen wie der Village Voice. Warum sollte ich also, wenn ich die Schule beendet hätte, mal an so ´ne deutsche Uni wollen. Stattdessen fühlte sich mein Leben so an, als wäre es Stein für Stein eine eigene Geschichte aus reiner Gegenwart. Das Leben schien zu sagen: Such Dir Deine eigenen Schulen, Deine eigenen Tagesabläufe und Nachtschichten aus, deine eigenen Freunde. Deine eigene Gesellschaft aus eigener Moral, wie bald schon ein Sampler von Alfred Hilsbergs Label „What´s So Funny About“ heißen würde, benannt wiederum nach einem Song der Berliner Band Mutter.
Meine Nachtschicht begann im Kölner Rose Club. Dort stand eines Nachts der Sänger Kristof Schreuf auf der Bühne. Zusammen mit dem Gitarristen Pascal Fuhlbrügge, Klaus Meinhardt am Bass und Christoph Leich am Schlagzeug. Auf derselben Bühne auf der gerade eben noch die Lemonheads, Mudhoney oder Sylvia Juncosa gespielt hatten. Auch Kolossale Jugend war eine von Punk und Hardcore inspirierte Post-Punk-Irgendwas-Band.
Schreuf hatte von Anfang an alles, was ein junger Rockstar braucht: die Haare. Hardrock-halblang, dunkelbraun, zottelig, lockig. Dieses Leuchten in den Augen, knitz, verschmitzt, mit einem kleinen Schuss Teufelchen drin. „Darf-ich-noch-was-sagen“-Unverschämt und „Es-interessiert-mich-was-du-erzählst,-ich-hör-dir-sowieso-gerne –zu“- engelhaft. Stimme wie Blick.
Bei Kristof Schreuf war gleich zu Beginn der Hamburger Schule schon mal Rap ähnlicher Sprechgesang, eisenschneidende Rock Vocals und zartwarme Sprechstimme einfach eins. Und gleich zu Beginn dieses später “Hamburger Schule” genannten Quasi-Genre, waren auch Rock und Diskurs vermischt. Beinahe dasselbe. Zumal ja Rock-Diskurs die Umkehrung von Diskurs Rock ist. Kristof Schreuf hatte von Anfang an ein Thema mit dem Journalismus, kommentierte ständig öffentliche Rede und die dahinter verborgene Ideologie; getreu dem Diktum Julie Burchills; das Interessanteste an der Welt ist die Meinung; die Meinungen, die man darüber haben kann.
Ich hatte sowohl von meiner Mutter als auch von meinem Vater nicht mehr zu erwarten, war, knapp 16 Jahre alt geworden, zusammen mit meiner Schwester, nach dem Realschulabschluss nach Köln gezogen, um dort mein Fanzine weiter zu machen, und, vor allem, um für die SPEX zu schreiben. Gleichzeitig ging ich dort aber weiter auf die Schule, auf ein Wirtschaftsgymnasium.
Nach dem Konzert im Rose Club unterhielten Kristof Schreuf und ich uns ca. 10 Minuten, dann musste ich schon nach Hause, weil für den nächsten Morgen eine Mathe-Klausur anstand. Eine Stunde später ca, ich lag schon im Bett, klingelte es an meiner Haustür. Schreuf stand da.
Irgendwer habe ihm gesagt wo ich wohne (ziemlich normaler Vorgang in den Neunzigern, als man sich noch nicht via Telegram, FB oder Email verabredete). Wir hätten unser Gespräch ja noch gar nicht richtig beendet, er müsste mir unbedingt noch was erzählen, mitteilen, was ganz Wichtiges: er habe nämlich eine Plattenkritik von mir in der SPEX gelesen, und er müsse mir jetzt mal sagen, ich sei für ihn jetzt schon sowas wie die Drechsler. Nein, er fände die Kritik sogar besser. Und er könne es auch begründen, sagte er. Und sprach über Syntax und Satzkonstruktionen. Und ich weiß nicht mal noch, um welche Plattenkritik es sich gehandelt hat. Ich hatte gedacht, dass es ungefähr noch zehn Jahre dauert, bis mich mal jemand mit der göttlichen Clara Drechsler vergleicht.
Aber das Tollste an Kristof Schreuf war, wie auch später an der Hamburger Schule: bei ihm war man immer schon angekommen. Man hatte seine Hausaufgaben schon erledigt, war am Ziel. Und Schreuf pushte einen höchstens noch ein bisschen mit Worten darüber hinaus, so dass man es wieder würde erreichen können. Was jetzt aber nicht heißt, dass er nicht auch total hart sein konnte mit seinem Urteil und seiner Kritik. Wir waren zwei Seelenverwandte, die sich sofort erkannt hatten, unabhängig von Alter und Geschlecht.
Er war alles wovon ich gerade eben im Dorf, in der Provinz, noch geträumt hatte. Plus: er war der Mann, der die deutsche Sprache im Stile von August Stramm und Rainald Goetz zertrümmert hatte, um zu sehen, was davon noch übrig bleiben durfte; ziemlich viel wenn es nach ihm ging, oder besser noch, wenn man sich seiner ausdauernden Beobachtungsgabe überließ. „Gut Ding ohne Weile ist, rar im Augenblick und gut.“ „Bessere Zeiten klingt gut, Bruch in allem, pausenlos.“ Zusammenkichernde Redewendungen, sinnlos und sinnlich zugleich, waren es auch einfach tagebuchgestraffte Beobachtungen von Momenten, in denen der Erzähler scheinbar mühelos alles erfasste, was sich im Raum befand. Es ging immer darum, wie sich jemand selbst beobachtet, während er die Welt beobachtet.
Wir waren später auch mal ein paar Monate lang zusammen, es war sehr schön und er war fast so eine Art Ersatzfamilie für mich. Kristof Schreuf vermittelte mir das Gefühl eines Aufbruchs beim gleichzeitigen Schon-Angekommen-Sein in der Wirklichkeit und im Jetzt. Mit Deutschland, auch noch im wiedervereinigten Zustand, brannten jetzt plötzlich Asylbewerberheime und es gab erschreckend wenig Widerstand dagegen. Ich bewunderte Kristof Schreuf sehr dafür, wie er mit seiner kleinen Post-Punk-Band Kolossale Jugend und mit diesem mittlerweile berühmt gewordenen T Shirt „Halt`s Maul Deutschland“ einfach mal so dagegen hielt.
Und natürlich war Kristof Schreuf nicht der Vordenker der Hamburger Schule. Er war doch die Hamburger Schule, auch. Obwohl er zweifelsohne viel vorgedacht hatte. Er war aber vor allem der Vormacher der Hamburger Schule: Denn noch während wir darüber redeten, in wechselnden Konstellationen (Leute aus Bands wie z.B. Die Goldenen Zitronen, Cpt Kirk &, Die Braut haut ins Auge, Blumfeld, Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs, Rocko Schamoni, Frank Spilker, Huah! und von den Labels L’Age D’Or und ZickZack) in ein paar Bars, Kneipen und Nachtclubs in Hamburg und Köln, wie man das denn jetzt mal angehen würde; das mit Szene, deutscher Sprache und Rockmusik, und vor allem, wie man wohl mit einer Öffentlichkeit und ihren von kapitalismusgestählten Werten in allen Worten umgehen würde – und wie die das alles was wir uns ausmalten an Utopien in sich aufnehmen, räsonieren sollte; wenn sie dann doch wieder nur die üblichen Klischees und Vorstellungen dafür übrig hätte… ; während wir uns dazu auch noch überlegten, dass man ja tatsächlich, nicht weniger bedeutend, einschneidend reinknallen wollte, ins scheußliche Kohl-Deutschland, so wie es einst Fassbinder Filme und Suhrkamp-Kultur getan hatten und dabei sogar auf den guten Gedanken kam, die Gegenöffentlichkeit in die Werkhaftigkeit miteinzubeziehen, was nicht mehr und auch nicht weniger bedeutete, als dass eine Plattenkritik in der SPEX oder in einem Fanzine ein ebensolches Kunstwerk sein konnte wie ein Song. Rock-Diskurs eben als der legitime Gegenpart, die logische Ergänzung zum Diskurs-Rock. ( Das Wort “Diskurs -Rock” ist dann später, ca 1994, der SPEX-Autorin und Bildenden Künstlerin Jutta Koether eingefallen. Sie schwärmte von der Idee, dass man die Liebe zur Musik eine Sprache lehren könnte und nannte des “Diskurs-Rock”). Und umgekehrt.
Während wir also alle noch am Rumdiskutierten waren, hatte Kristof Schreuf mit der Kolossalen Jugend ( u.a. mit dem kongenialen Gitarristen Pascal Fuhlbrügge, der auch das L`age d`or Label gegründet hatte) mit den ersten beiden Alben (“Heile heile boches” erschien bereits 1989 und “Leopard 2” Ende 1990) bereits ein leuchtendes Beispiel dafür wie es gehen könnte, geliefert! Zwei künstlerische Statements die radikaler und origineller ausgefallen waren, als wir uns das alle in unseren kühnsten Träumen ausmalen konnten. Denn Schreuf schien mehr von AC/DC als von den Beatles beeinflusst zu sein. Weniger von Fernando Pessoa oder Klaus Theweleit und mehr von August Stramm und Georg Trakl.
Kristof Schreuf hatte die menschliche Größe zu verstehen und sich auch so zu verhalten, dass man nicht unbedingt sein Symptom, sondern lieber gleich seine eigene Szene so lieben soll wie sich selbst. Ausgerechnet dieser coole Lederjackentyp konnte auch ein Zarter, ein Zauberer sein; wie der Zauberer von Oz, er gab dir die Identität mit der du danach weiterleben konntest; der allen alles gönnte; eine recht seltene Eigenschaft; auch bei Kulturarbeiter*innen. Nur gut (aus welchen Gründen auch immer) musste der Künstler; die Künstlerin, das Werk, eben sein. Er war selten unkritisch und verfügte über die seltene Gabe das Werk anderer Künstler und Künstlerinnen weiterzudenken, und er tat dies im direkten Gespräch und auch deshalb war sein Lob, oder vielmehr sein Weiterdenken des Werks und des Wohlergehens des Gegenübers auch so viel Wert.
Kristof Schreuf hatte aus der frühen Hamburger Schule Losung „Verfolge den Prozess“; die er damals zusammen mit Tobias Levin (Cpt Kirk &) und Jochen Distelmeyer ausgerufen hatte, sein Lebensmotto gemacht: eine eigene Gesellschaft mit eigener Moral geht nicht, ohne Leute wie Kristof Schreuf. Oder zugespitzt formuliert: geht nicht ohne Kristof Schreuf.
Und deshalb muss ich euch ja nicht extra erzählen, dass ich ihm verziehen habe, dass ich wegen ihm in der 11. Klasse sitzen geblieben bin. Er hat halt mein Lebensgefühl geprägt und das passte nicht zum Lehrplan eines Wirtschaftsgymnasiums, ganz und gar nicht. Drei weitere qualvolle Jahre in der Kölner Schule standen für mich auf dem Plan.
Einmal schrieb ich mit Kristof zusammen einen Artikel für die SPEX, über das Ende der RAF. Kristof sah uns als eine Mischung aus Deleuze und Derrida und wir schrieben zwei Wochen lang an diesem Text, der alles sein sollte: poetisch, politisch, polemisch usw. Am Ende blieb uns lediglich das von Oberguru Diedrich Diederichsen (der sich freundlicherweise bereit erklärt hatte, den Artikel zu redigieren) verliehene Prädikat, dieser Text sei völlig sinnfreier Unsinn. Der totale Quatsch. Positiv formuliert, wenn man Schreuf auch diesen Punkt geben wollte, könnte man aber auch sagen: Kristof Schreuf war nicht der Mensch, der die RAF verstanden hat.
Kristof war damals schon kein Menschenhasser mehr, er war ja auch schon 30. Als ich ihn schluchzend fragte wie er denn nur mit mir Schluss machen kann, wo ich doch dachte, dass er mich liebt, sagte er den bis heute unübertroffenen Satz „Ja, ich liebe dich, aber ich liebe eben auch noch 100 andere Leute.“ Das war nicht im polyamourösen Sinne gemeint. Sondern tatsächlich auf die Wesenseigenschaften von Menschen bezogen. Oder lass es 10 sein, sagte er mir auf mein Entsetzen hin. Aber wie er anfing nachzuzählen, wurden es wahrscheinlich doch wieder 100.
Genug jedenfalls, um eine eigene Szene mit eigener Moral mitzubegründen, die auch 30 Jahre später noch ihresgleichen sucht.
Am 9.11. 2022 starb Kristof Schreuf, Mitbegründer von Diskurs Rock / Hamburger Schule. Sänger & Texter bei Kolossale Jugend, Musiker (z.B. bei der Band Brüllen und seinem Solo-Projekt “Bourgois with Guitar, 2010 ), Journalist, Schriftsteller.
Weiterlesen auf diesem Blog: Er war eine Lebenseinstellung. Er war gelebte Meta-Ebene. Nachruf auf Kristof Schreuf – Ich brauche eine Genie
Kapelle 29.11.22, Foto: Klaus Meinhardt
Fynn und Joachim Frank von Der Bürgermeister der Nacht, die Künstlerin Fehmi Baumbach und ich bei der Trauerfeier für Kristof