Entgegen aller Stimmen, denen der neue Film über Amy Winehouse nicht “kritisch” oder “innovativ” genug ist! “Back to Black” enthält keine neuen Fakten über Amy Winehouse, er enthält die alten Fakten in neu! Setzt das Puzzle ihres Lebens in Einklang mit der Schönheit ihrer Songs. Mit diesem Biopic trifft ausnahmsweise mal eine Interpretation von Amy Winehouse ins Schwarze!
von Kersty
Eins vornweg: Das Biopic über Amy Winehouse ist wundervoll, so wundervoll wie die Souljazz-Sängerin selbst: ihr gesamtes, bezauberndes Wesen füllt die Leinwand aus, man liebt sie einfach in jedem Film-Moment. Regisseurin Sam Taylor-Johnson und Schauspielerin Marisa Abela gelingt das Kunststück die Ikone (mitsamt ihrer Songs) so unverfälscht wie möglich zu inszenieren. Marisa Abela beeindruckt dabei mit gesanglicher Brillanz. Keine leichte Rolle für eine Newcomerin – umso souveräner hat sie abgeliefert. Sie IST Musik, in diesem Film.
Wir dürfen Amy Winehouse neu kennenlernen – jenseits aller zur Karikatur ihrer Selbst verkommenen Spottbilder, die die (Boulevard-)Medien noch heute von ihr zeichnen.
Da ist die witzige, schlagfertige Amy, eine beinahe ganz normaler Teenagerin mit Gitarre. Schon in ihrer Jugend inspiriert vom Stilbewusstsein der jazzbegeisterten, glamourösen Großmutter, da trägt sie selber noch dicke Pullover aus Kunstwolle. Da ist ebenso die verletzte Seele Amy, die ihr Innerstes nach Außen kehrt; ein unruhiges Scheidungskind, das sich aber einen tollen Rückzugsort geschaffen hat: ihre Songs, die allen Abgründen trotzen. So wie in diesem Streifen habe ich mir Amy, über die ich schon eine Menge Biographien gelesen habe, aber auch vorgestellt: Amy, die Begeisterungsfähige, changierend zwischen Spontaneität und Weitsicht, jugendlichem Leichtsinn, und Jazzmusikliebe, geprägt von einer musikbegeisterten jüdischen Familie. Ein fühlender und denkender Mensch, der schon früh all seine Talente beisammen hatte. Eine sehr willensstarke Person. Nein, sie hat nicht für die Schule, sondern für das Singen gelernt. Denn sie wusste ja schon früh, dass sie Sängerin werden will, und hat sich ab dem Alter von zwölf Jahren eine (Gesangs-)Ausbildung ertrotzt.
In diesem mitfühlenden Drama wird sie nicht als Leidensfrau hochdramatisiert. Die psychischen Krankheiten und ihre zahlreichen Süchte werden behutsam miterzählt; dabei driftet das Drehbuch nie in dieses „Versuchsobjekthafte“ ab, das die Beschäftigung der breiten Masse mit Amy Winehouse oft so ekelhaft machte.
Alle, die es wissen wollen, können sich ja per Internet selber informieren. „Alkoholsucht“, „Bulimie“ “Bipolare Störung” oder whatever. Am besten auch mal nachschlagen unter „Heteronormativität in den Geschlechterbeziehungen der Nullerjahremedien“, „Einseitige Schlankheitsideale der Nullerjahre“ und leider wurde Amy Winehouse auch mit antisemitischen Stereotypen belegt, und sah sich dabei mit verdeckten Vorurteilen konfrontiert.
Nur weil diese vieldiskutierte Pop-Ikone mit 27 Jahren gestorben ist, bedeutet es aber nicht, dass sie kein Leben hatte, das nicht auch zutiefst schön sein konnte. Was wir hier erleben DÜRFEN, ist das, was wir Amy-Ultras immer schon wussten: dass sich hinter der alkoholabhängigen Schale ein sehr übermütiges, reflektiertes Mädchen befand, das aus sich selbst, der Musik und ihrer Familie heraus sehr viel SCHÖNHEIT und LEBENDIGKEIT schöpfte. Die Amy, die den Widersprüchen unserer Gegenwart große, schmachtvolle Songs über Sucht, Love und Alltag, und ja, auch Sexismus, abtrotzen konnte. Toll, dass der Film ihrem Song “Fuck me Pumps” vom Debutalbum “Frank” so viel Space einräumt. In diesem smarten, gesellschaftskritischen Song nimmt sie, leicht lakonisch, die Perspektive derjenigen Frauen aus lower classes ein, die jede Nacht in den Kneipen von wohlhabenden Männern missbraucht werden. Nie über einen roughen One-Night-Stand hinauskommen, in der Hoffnung jemanden zu finden, der die Miete bezahlt. Das Lied war ein wenig frech, aber im Kern richtig beobachtet. Amy war eine gute Beobachterin von Nachtschwärmern und Tagesdieben im Camden Town der Nullerjahre. War eine von ihnen, auch als sie selber schon weltberühmt war. Benahm sich rührend und süß ihren Fans gegenüber. Ein nahbarer Mensch, der von brutalen Pressefotografen ins Haus eingesperrt wurde, wenn man es genau bedenkt.
“Back to Black” ist ein Film, der das alles zeigt, und dabei die bekannten Fakten aus ihrem Leben neu mischt. Der sich nicht dafür hergibt, den paternalistischen Voyeurismus einer Öffentlichkeit zu bedienen, die bei Amy Winehouse vor allem deren Selbstzerstörung genossen hat. Keine Walking Study in der Frage, warum sie nicht älter als 27 Jahre alt wurde. Und geht trotzdem mit ihr bis zu den Rändern ihrer Schmerzen, dort wo der Tag am nächsten ist. This is nicht Hochglanz oder Ausverkauf. Kein boring Biedermeier-Film, wie manche behaupten, nur weil man Amy hier nicht durch ihre eigene Kotze wanken sieht. Eher das Gegenteil: “Back to Black” ist eine klangvolle Geschichte übers Stadtleben, das Erwachsenwerden, über Liebe, Wut, Sex und den ganzen Rest. Damit dieses Kunststück gelingen kann, wählt die Regisseurin einen sehr einfachen, entwaffnenden Trick. Sie lässt die komplexe Geschichte der Amy Winehouse durch Amy-Winehouse-Songs erzählen. Muss man erstmal drauf kommen. Es ist zwar naheliegend, in Anbetracht des öffentlichen Slutshamings einer im Scheinwerferlicht Gestrandeten, aber auch ein mutiges und bizarres Vorhaben. Er nimmt Amy Winehouse nicht nur als besondere Sängerin, sondern auch als Songschreiberin ernst. Und so gelingt eine Neubewertung der altbekannten Fakten.
Denn dieser Film enthält, wie gesagt, keine neuen Informationen über Amy, er enthält die alten Fakten in neu! Setzt das Puzzle ihres Lebens in Einklang zur Kraft ihrer Kunst. Es ist überdies ein Verdienst von Sam Taylor-Johnson, dass sie nicht den Fehler begeht, die männlichen Bezugspersonen im Leben von Amy Winehouse zu skandalisieren oder zu beschuldigen. Weder sehen wir hier Mitch Winehouse, in der Rolle des dubiosen, hinterhältigen, geschäftstüchtigen Vaters, in der ihn die Öffentlichkeit so gerne abbildet (Antisemitismus ist, glaube ich, der Fachbegriff dafür). Es gab jedenfalls nie einen vernünftigen Grund, Mitch Winehouse, der ein liebender Vater war, fast so etwas wie Amys künstlerischer Kompagnon, ein auf jeden Fall musikbegeisterter Dad, so sehr die Würde zu nehmen, wie die Medien das getan haben. Sie sind besessen davon ihn als den „bösen Macher“ hinter Winehouse zu inszenieren. Der Vater von z.B. Paul Weller (The Jam und The Style Council) hat auch die Karriere seine 17-jährigen Sohnes von Anfang an unterstützt. Hat ihn jemals jemand so krass für irgendetwas aus Paul Wellers Leben verantwortlich gemacht?
I agree mit der Regisseurin, dass er wohl eher nicht einer dieser typischen Showbusiness-Väter war, die ihre Kinder in frühen Ruhm stürzen. Vielmehr schien er einfach einer zu sein, der seine Tochter in ihrem Wollen und Können unterstützt hat. Und welcher Vater ist schon perfekt? Das alles macht Amys Schicksal nicht weniger bestürzend. Im Gegenteil. Man bleibt ratlos und weinend zurück. Hätte nicht auch alles ganz anders kommen können? Sie hatte doch viele Voraussetzungen für ein glückliches Leben, oder etwa nicht? Sie hätte nur diesen einen Ruhmzirkus überstehen müssen. Aber die Boulevard-Medien waren nie so zerstörerisch wie in den Nullerjahren, als sie bereits mit dem Internet Hand in Hand gingen, aber noch nicht durch Social Media gebremst wurden. Die feministischen, antirassistischen und selfempowernden Stimmen waren einfach noch zu weit unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung.
Aber noch ein paar Worte zum Thema Mitch Winehouse:
Der Film zeigt ihn als so sympathischen wie kreativen Jazznerd und Taxifahrer. Possibly, ein gebrochener oder getriebener, doch nicht bösartig agierender Vater. In meinem Text über Amy Winehouse in dem Buch „These Girls“ habe ich die Film-Doku „Amy“ von Asif Kapadia kritisiert. In dem von den meisten Medien hochgelobten Film aus dem Jahr 2015 gab es eine zentrale Forderung von namentlich nicht genannten Freundinnen: Mitch Winehouse hätte seine Tochter aus dem Musikgeschäft nehmen sollen. (Den ganzen Text von mir könnt ihr hier lesen: Eine Liebeserklärung & eine Dekonstruktion des Mythos. Amy Winehouse – zum 11. Todestag – Ich brauche eine Genie )
Super Idee! Vielleicht hätte er auch noch im Alleingang dafür sorgen sollen, dass sich etwas an den Schlankheitsidealen der Gesellschaft ändert, die Amys Statur so sehr geschwächt haben. Amys Ärztin vertrat die Ansicht, dass Amy ohne ihre körperschwächende Bulimie möglicherweise nicht gestorben wäre. Singen war ihr Lebenselixier. Sie aus dem Musikbusiness nehmen? Ja, genau: Väter sollten ihren erwachsenen Töchter verbieten öffentlich zu singen, wenn die ein Alkoholproblem haben oder eins mit Essstörungen…
Die Zeiten, in denen man glaubte, in Familienmitgliedern unbedingt die Ursache von Depressionen oder Alkoholsucht zu sehen, sind aber hoffentlich vorbei. Das Wissen über Mental Health ist heute viel verbreiteter als noch in den Nullerjahren. Natürlich spielt Kindheit bei der Entstehung von all so etwas eine große Rolle. Aber hell yes: eine 1:1- Schuld anzunehmen verkennt den freien Willen des Individuums – und in diesem Fall auch die Tatsache, dass z.B. Stress ein gigantischer Faktor für psychisches Ungleichgewicht darstellt. Die Öffentlichkeit täte gut daran ihre eigene Rolle als Voyeurin zu reflektieren. Zumal hier das Bild eines jüdischen Mädchens antizipiert wurde, das zur Karikatur seiner Selbst gemacht worden war.
„Back to Black“ lässt sich auch nicht dazu hinreißen, Amys späteren Ehemann Blake Fielder-Civil als den Bösewicht schlechthin darzustellen. Stattdessen gibt es die schönste Kennenlernszene, die man sich vorstellen kann: So viel Wortwitz, Funkensprühen und Herzen, die bis zum Hals schlagen! Denn „Back To Black“ gibt alles an Amy zurück, was sie an Assen im Ärmel und Stärken auf ihrer Seite hatte. Wer Amy besonders gestärkt hat: Ihre Großmutter Cynthia, die 2007, als Amy auf den Höhepunkt ihrer Karriere zustrebte, an Krebs stirbt, und die zeitlebens eine Stilikone und Lebensvorbild für Amy war. Die exzentrische Cynthia wird mit viel Liebe gezeichnet, sie ist die wahre Bezugsfigur von Amy, eine sehr tolle Frau. Die Liebe zum Jazz und zum eleganten bis melodramatischen Auftritt hat die junge Amy von ihr aufgesogen. Die Verbindung der beiden wird aufs Schönste gezeigt, und nie ist man so traurig wie in den luziden Szenen, in denen Amy mit dem bevorstehenden Tod Cynthias konfrontiert wird.
Denn im Mythos von Amy Winehouse ist etwas abhandengekommen, was man schlicht unter dem Wort „Herzlichkeit“ zusammenfassen könnte. Unter all den zu Spott-Bildern verkommenen Images von der zugedröhnten Amy, holt dieser Film etwas hervor, was man einen neuen Ton nennen könnte: Der schöne Umgangston in der Familie, die Vertrautheit auch, innerhalb derer auch große und kleine Neckereien zu einer warmen Umarmung werden konnten.
Natürlich gibt es nie nur eine Möglichkeit etwas so Hochkomplexes wie die Geschichte des kurzen Ruhms einer Sängerin zu erzählen, die von den Medien missbraucht wurde. Mögen noch weitere Möglichkeiten folgen.
„Back to Black“ lässt die mitreißende Musik sprechen, und wenn es einen Schuldigen gibt, dann ist es die kalte Gewalt der Paparazzi, die eine verstörende Gegenmacht zur Wärme und Weisheit von Winehouses` Wirkens bildet. Es sind neue Zusammensetzungen des Puzzles, die aus den kursierenden Narrativen ausbrechen und ein atemloses Filmvergnügen garantieren; mitsamt einem Kloß im Hals, den man kaum mehr loswird beim Zuschauen. Wenn zum Beispiel der Schmerz ihres Überhits „Back to Black“ auch der gerade verstorbenen Oma Cynthia gilt. Diese Szene, in der sie in ein Taxi in Amerika steigt – im Gegensatz zum Londoner Taxi ihres Vaters – verlassen, von allen guten Geistern ihres Lebens, und doch beseelt von ihnen. Es wird wahnsinnig toll gezeigt, wie die emotional-intelligente Amy in diese totale Leere hinein gerät. (Die wichtigste Frau ihres Lebens gerade gestorben und von der großen Liebe verlassen) – und wie sie inmitten diesem Gefühl schlimmster Verlassenheit plötzlich in ihren größten Hit taucht!
Wem dieser Film „zu brav und sauber erzählt wird“ (ZEIT), der soll sich doch einfach an seiner eigenen Kotze aus dem Schlamassel ziehen oder sich zumindest fragen, wann er das letzte Mal geweint hat. Amy Winehouse ist keine Frida Kahlo. Wir müssen sie nicht immerzu leiden sehen wollen.
Die Karthasis, die einem dieser Film in Bezug auf das eigene Leben bringt, ist beinahe so stark wie ein Amy Winehouse-Song.
Zugegeben: Einmal habe ich mir kurz gewünscht, der Film würde zeigen, WIE Amy einen Song schreibt. Warum sieht man sie immer nur in Situationen, wo die Songs schon fertig komponiert und aufgenommen sind? Aber ich habe spaßeshalber mal weiter der Handschrift der Regisseurin vertraut und sehe dies jetzt nicht mehr als einen kritikwürdigen Punkt an. Es wird einen Grund dafür geben, habe ich mir überlegt, dass man sie nicht halbfertige Lieder durch-klampfen sieht. Die Songs hier stehen immer schon wie eine EINS. Sie stolpert nicht durch klanglose Töne, stößt nicht an die Grenzen ihrer Wortfindungen, stellt keine Überlegungen zu Tonarten an. Diese Amy Winehouse in „Back To Black“ – die hat sich nicht versungen, und ist doch immer Mensch geblieben, um es mal pathetisch zu sagen. Der Film lässt sie frohgemut und mellow-dramatisch durch ihr Leben stolpern, aber die Songs sind Ikonen. That`s the message.
The Song is the Message. Ist das, was von ihr geblieben ist. Der geniale Jazz-Popsong. Der Film lässt keine Kratzer in den schwarzen Rillen zu. Lässt Amys Songs durch die berührende Darstellung von Marisa Abela glänzen. Eine Form der Verbeugung. Die gewollte Huldigung eines female Genies, dem man zwar dabei zuschauen darf, wie sie ihre letzten Karten ausspielt, der man aber beim Songs-Schreiben oder Singen nicht in die Karten gucken darf, denn da lässt sie sich am Allerwenigsten ein X für ein U vormachen.
Irgendetwas an Amy Winehouse will auch mal UNGEBROCHEN für sich stehen können, verdammt! Gratulation an das Produktionsteam dieses Films, dass sie das begriffen haben. Hätte sie sonst so rücksichtslos sich selbst gegenüber gelebt? Bzw. darf man schlussfolgern, dass Genie und Wahnsinn bei ihr so nahe beieinander lagen, dass sie beinahe im Alleingang solche Meisterwerke komponieren konnte?
Einer der ersten Höhepunkte des Films zeigt sie bei einem Treffen mit fünf Typen von der Plattenfirma. Sie bleibt störrisch bis zuletzt. Lässt nichts auf sich und ihr Debutalbum „FRANK“ kommen. Und gibt bekannt, dass sie nicht vorhat, sofort wieder ins Studio zu gehen und an einem Nachfolger zu arbeiten. Das ist sehr selbstbewusst für eine Frau von Anfang Zwanzig, die gerade ihren ersten Achtungserfolg hatte. Amy Winehouse hatte keine Angst, dass man sie fallen lässt, sie hatte keine Angst, dass sie in Vergessenheit gerät. Amy hatte Angst, dass sie noch nicht genug gelebt hat, um schon wieder erstklassig abzuliefern. Sie teilte der Plattenfirma mit, dass sie gedenkt, erst wieder ins Studio zu gehen, wenn sie genug gelebt habe. Sagte es, marschierte in einen Pub von Camden Town und lernte dort ihren Schicksalsgefährten Blake kennen…-
Es sind solche Szenen, die einen aufatmen lassen, weil sie beweisen, dass Amy Winehouse eben doch nicht das zwangsläufige Opfer mit der Naturstimme war. Sie hat sich nicht mit drittklassiger Konfektionsware zufrieden gegeben. Eine Indie-Künstlerin mitten im Weltruhm, ein sehr seltenes Pflänzchen. Ein Szenestar, ein Weltstar. Nichts schien so einfach zu sein, wie in diesen Songs dem Alltag zu trotzen, nichts so schwer wie mit ihren Inhalten klarzukommen. Sie hat gar nicht viel dafür getan, nur mit ihrem Leben dafür bezahlt…
Und ein weiteres stärkendes Detail wurde in die Filmhandlung aufgenommen: die Jungs von der Plattenfirma sind der Meinung, sie solle doch bitte ohne Gitarre auftreten, die Gitarre störe nur bei der Performance und beim Augenkontakthalten mit dem Publikum. Die eine Szene, bei der Amy diese Kritik als völlig unberechtigt beiseite wischt – taugt gut als Chiffre für eine außergewöhnliche Künstlerin. Das sind die Fakten, die man als Fangirl wissen will.
Es nervt mich daher, dass die Rezensent:innen auch heute noch mit allen privaten Themen von Amy Winehouse vertraut sind, nur nicht mit der Musik. Auch heute wollen sie noch in Amys Partnerwahl eingreifen; dass ein erfolgloser Mann mit einer erfolgreichen Frau zusammen ist, „das konnte und sollte nicht gutgehen,“ weiß der aktuelle STERN. Das sind sexistische Vorurteile, die erfolgreichen Frauen nicht gestatten, mit erfolglosen Männern zusammen zu sein. Warum nur? Weil der Mann gesellschaftlich ÜBER der Frau stehen muss, blöd gesagt? Der 21-jährige Blake Fielder-Civil jedenfalls ging als Loser in die Musikgeschichte ein. Fragt sich eine:r dieser Journalist:innen mal, ob das auch umgekehrt denkbar wäre? Im Patriarchat hat scheinbar niemand ein Problem damit, wenn die Frau eines Popstars ein sogenannter “Nobody”, ein unbeschriebenes Blatt ist. Haben umgekehrt Männer auch mal das Recht, keinen prestigeträchtigen Beruf zu haben? Nein, haben sie nicht. Amy hat sich aus Sicht der Medien nicht standesgemäß genug verheiratet, was echt ein Witz ist, bei einer boundaries breakenden Musikerin.
Dieser Biopic wird hingegen Amys Liebe zu Blake GERECHT. Das freut mich ehrlich gesagt, auch für ihn. Immerhin war er ja ihre große Liebe. Ihn immer nur zum Prügelknaben zu machen, bedient alle möglichen sexistischen Narrative. Ja, die Liebe ist, zumal in diesem Alter der Protagonist:innen, oft ein Spiel, das man nicht gewinnen kann. Aber Blake hat ausgestrahlt, dass er all das in sich trägt, wofür Amys Herz schlägt, sie hatten einen ähnlichen Humor, eine überirdische Vertrautheit und haben sich im Gespräch toll gegenseitig hochgeschaukelt. Was geht es eigentlich die Öffentlichkeit an, was für ein Typ dieser Blake war? Und wenn doch, so war er ja immerhin der Typ, der sie zum Lachen brachte, der sie als Ganzes erkannte. Und jetzt wissen wir auch, dass er es war, der ihr The Shangri Las ans Herz gelegt hat. Amy Winehouse, die Ikone des Retro-Sixties-Soul kannte die legendäre Girlgroup überhaupt erst, nachdem Blake für sie ins Feld gezogen ist.
Die tollen Dialoge beim Kennenlernen bezeugen nachvollziehbar die Anziehungskraft zwischen den beiden. Keine hierarchische Beziehung, ein Up and Down zwischen Gleichen. War es vielleicht Amys Schicksal, dass ihr die sensationslüsternen britischen Medien nicht gestatteten, mit einem Tagedieb zusammen zu sein? Nicht einmal, obwohl er erst Anfang zwanzig war? Blake Fielder-Civil hat Amy, glaubt man diesem Biopic, mehrfach verlassen, weil die Medien ihn immerzu als „Loser“ und “Dummkopf” verspottet haben. Welcher Mensch lässt sich sowas schon gerne sagen? Was hätte er tun sollen? Eine feministische Bewegung starten und dafür kämpfen, dass ein Mann an der Seite einer erfolgreichen Popsängerin auch ein Recht auf Erfolglosigkeit hat? Die Medien gaben ihm die Schuld an ihrem Absturz. Aber in welcher Welt leben wir, wenn nicht einmal Zwanzigjährige noch Drogen ausprobieren dürfen? Ihm, der doch sowieso schon von der Überzeugung getrieben war, dass Promis immer nur mit anderen berühmten Leuten durchbrennen, wurde unentwegt Salz in die Wunde geträufelt. Auch dafür mag ich diesen Film: er begeht diesen Fehler nicht. Amy darf endlich Blake lieben, auch wenn sie am Ende an einer Alkoholvergiftung stirbt. Der Film nimmt sich genug Zeit die guten Zeiten zu zeigen, statt immer nur die schlechten. Bei einer Ikone der manischen Depression fair enough, würde ich sagen.
Es ist sicherlich nicht the one and only possible film about Amy Winehouse, aber der charmanteste und für den Moment richtigste. Sam Taylor-Johnson gibt Amy Winehouse von der ersten bis zur letzten Szene ihr Vermächtnis zurück. Das sind die Songs, die uns alle Trost gespendet haben, die von Amys Schmerz, aber auch von ihrem Übermut geprägt waren. Wir sollen uns auch in Zukunft an diesen starken Tracks freuen dürfen! Denn ihr das Vermächtnis an ihren eigenen Songs zurück zu geben, war das erklärte Ziel der Regisseurin.
“Back to Black” erweitert so die Bedeutungen des Worts “Black” im Songtitel um eine neue: Ausnahmsweise trifft mal eine Interpretation von Amy Winehouse ins Schwarze.