“Das geht natürlich am besten mit viel Liebe, Tanz, Musik, und Diskurs und Schnaps im Schlepptau.”
Hier meine Antworten aus dem Air-Reading-Mag (Video-)Interview, von Montey. Ich habe sie heute Nachmittag, bei Vanilleeis und Hafer-Cappuccino, abgetippt, mit freundlicher Genehmigung und so.
Warum ein Episodenroman?
Ich wollte den Figuren richtig viel Raum einräumen, sie fest in ihrer Umgebung verankern. Die auktoriale Erzählerin beobachtet die Personen ja mit einer gewissen Ruhe. Dadurch haben meine Protagonist: innen die Möglichkeit, ihre Unruhe, die halben und ganzen Nervenzusammenbrüche, das Auf und Ab der Emotionen aufzufahren; ohne dass die Lesenden davon gestresst wären. Ich habe dafür die Geschichte aus dem Bewusstseinsstrom der Figuren entwickelt, die Verbindungen zwischen den Protagonist: innen sollten sich dadurch wie von selbst ergeben. Der Episodenroman schien mir dafür geeignet. Eine schützende Hülle zur Entfaltung der Schutzlosigkeit und des Survival-Instinkts der Figuren. Ab der zweiten Hälfte werden die Einstellungen immer kürzer, die Personen rücken näher zusammen, lernen einander ganz neu kennen. Man merkt dann kaum noch, dass es ein Episodenroman ist.
Warum wolltest du der legendären BRAVO BAR in der Torstraße ein Denkmal setzen?
Das war eine sehr besondere Bar. Lady Gaga sagte einmal in einem Interview: „Wenn man etwas erleben will, muss man immer in die selbe Bar gehen.“ Die BRAVO BAR hat sich dafür angeboten. Ich habe sozusagen in den zehner Jahren diesen Satz Lady Gagas „gelebt.“ Die Leute, die dort ein- und ausgingen, waren sehr unterschiedlich. Aber auch sehr offen dafür, die anderen in ihrer Unterschiedlichkeit zu respektieren.
Aber es waren nicht nur Avantgardisten dort, auch viele normal-hedonistische Mitte-Ausgeh-Afterwork-People. Das erschien mir insgesamt ein gutes Experimentierumfeld für eine plurale Gesellschaft zu sein. Es gab dort Leute, die sich in die Idee von übertriebener politischer Unkorrektheit verliebt haben, und Figuren, die ihre Pirouetten auf übertrieben politisch-korrektem Eis drehten. Das gab mir die Möglichkeit einfach mal nur staunendes Kind zu sein, spielerisch zu beobachten. Ich wollte mit leichtem Spott, und auch in bisschen satirischer Form, diese gesellschaftlich relevante Phase des Übergangs zu mehr (Selbst-)Respekt, Teilhabe, Wokeness beschreiben. Ich habe damals schon geahnt, dass wir Linksintellektuelle bei allem Rechthaben:) trotzdem dringend von allem runter müssen, was die Ideen von Gleichheit mit zu autoritären Mitteln durchsetzen will. Das geht natürlich am besten mit viel Liebe, Tanz, Musik, und Diskurs und Schnaps im Schlepptau. Kurz gesagt: ich will den Übergang in eine wokere Gesellschaft feiern, das aber ziemlich ruppig, und auf Krawall und Dada gebürstet.
Warum diese Betonung von Herausforderungen? Stehen wir alle vor unmöglichen Herausforderungen in unseren current lifes?
Ich beobachte ständig Menschen, die sich von den individuellen Herausforderungen ihrer Leben total bedrückt und überfordert fühlen. Deshalb habe ich auch keine Hierarchisierungen von Herausforderungen unternommen, obwohl man ja denken könnte: eine übergeschnappte, partiell unerwiderte Liebe kann ja nicht auf der selben Ebene laufen wie eine Krebserkrankung; aber in einer Bar würde man vielleicht trotzdem all diese Geschichten gleichzeitig erzählt bekommen. Bis der ganze Kopf davon dröhnt. Sich endlich seinem Begehren mit allen Unwägbarkeiten zu stellen kann ja für den Einzelnen, die Einzelne, durchaus auch ein Kraftakt sein, wie natürlich auch der Umgang mit einer heilbaren, aber schlimmen Krankheit. Letzteres ist eine der big Herausforderungen, auf die dieser Roman hinaus will: Krankheit zu ent-stigmatisieren, sie mitten im Leben zu verorten, sich nicht wegzudrehen, wenn die ganz harten Einschüsse kommen, sozusagen. Ich glaube schon, dass die eindringlichen Gedankensalven, die Rachelle während ihrer Chemotherapie denkt, einen besonderen Nachhall haben. Ich habe da schon ein bisschen auf die Pathos-Tube gedrückt, einfach, weil es so schrecklich ist, dass Menschen mit solchen Diagnosen klarkommen müssen. Ich habe Freundinnen bewundert, die es fertiggebracht haben, diese verdammten Herausforderungen dann einfach anzunehmen. So eine Tapferkeit, die ich bei Freund:innen, die den Brustkrebs überlebt haben, nahezu als magisch empfunden habe, ebenso die damit verbundene neue entfachte Lebensfreude.
Welche literarischen Vorbilder hat der Roman, ich nehme ja mal stark an, dass du nicht nur von Deutschrapperinnen beeinflusst bist? Auch wenn dem Roman ein eindrucksvoller Schnelldurchlauf von Cora E über Antifuchs, Kitty Kat und Hayiti bis SXTN gelingt.
Da waren natürlich meine ewigen Vorbilder: Rainald Goetz, Irmgard Keun und ganz speziell auch der Erzählband „Das dreißigste Jahr“ von Ingeborg Bachmann, an dem ich mich schon seit meiner Jugend “abarbeite.” Vor allem die Episode über Timo („Er will Sex, devot“) lebt von diesem Tonfall: zwischen Sidos erzählerischer Spätphase und Bachmanns früher Erzählung „Das dreißigste Jahr.“ Auch der Text über eine Wiederbegegnung von Louie Maro und Greta („Seitenwechsel, Augenhöhe“) ist inhaltlich von Ingeborg Bachmanns „Undine geht“ geprägt.
Aber von diesen glamourösen Wunderwesen der Literaturgeschichte mal abgesehen, habe ich mich für dieses Buch auch einfach mit dem ein oder anderen Roman von zeitgenössischen, amerikanischen Erzählerinnen (wie z.B. Meg Wolitzers Roman “Das weibliche Prinzip”) beschäftigt, die gute Handwerkerinnen sind. Ich habe bewusst Texte gelesen, die nicht so elaboriert sind, die nicht mit der Selbstheilung experimentieren, dafür aber straight oder queer eine Geschichte erzählen können und über deren Metaphern-Reichtum und Facettenhaftigkeit sich bei mir dann auch viel erschlossen hat. Von Meg Wolitzer habe ich mir abgeschaut, dass auch Metaphern, die aus den alltäglichen Bereichen kommen, leuchten können. Der Untertitel „Die Musik im Ernstfall“ ist ein Zitat auf Daniela Kriens „Die Liebe im Ernstfall“, das ich auch mit sehr viel Gewinn gelesen habe und aus dem ich unfassbar viel wertvolles Episodenroman-Handwerk abgeguckt habe- um mal auf die Anfangsfrage zurück zu kommen.
Und natürlich habe ich mich auch von Virginie Despentes Mammutprojekt “Vernon Subutex” inspiriert gefühlt. Ich glaube, sie hat uns allen vorgeführt, dass es vollkommen ausreicht, die Personen aus dem eigenen Sub-und gegenkulturellen Umfeld zu beleuchten, wenn man einen schillernden Gesellschaftsroman schreiben will.