After YouTube
von Kerstin Grether
Gerade ist ein Sammelband von den Oberhausener Kurzfilmtagen erschienen.
Er trägt den schönen zukunftsweisenden Titel “AfterYouTube” und ich habe mir das Werk des ursprünglich aus Polen stammenden gendermixed Video-Künstler*innenduos PUSSY KREW mal genauer angeschaut. Ihre Videoarbeiten für Kelea haben uns nämlich schon seit einiger Zeit sehr beeindruckt.
Und wenn irgendwas für eine mögliche Zeit nach Youtube stehen könnte, dann das!
Die Gegenwart abbilden – mit den Mitteln der Gegenwart. Kann das gelingen? Zumal wenn man den Anspruch hegt, die Gegenwart dort abzubilden, wo sie auf die Zukunft verweist…
Pussykrew zeigen wie das geht! Das experimentelle Artist-Duo – bestehend aus Ewelina Aleksandrowicz („Tikul“) und Andrzej Wojtas („ Mi$ gogo“) – nehmen den Umweg über das Kleine Ganze: die Alltagserfahrungen. Ihre 3D-Skulpturen, die sie selbst bauen, haben sie oft von Hand angemalt und aufgestellt. Auch wenn ihre Videos wie pure High-Tech-Clips aussehen, sind die eindrucksvollen Cyborg-Figuren doch einem einfachen Consumer-3D- Printer entschlüpft, und nicht etwa einem unbezahlbaren 3D-Industrie-Drucker. Sieht das liebevoll gebaute, urbane Environment in den Clips deshalb so aus als dürfte es atmen?! Kein Wunder, dass Pussykrew zu einer der gefragtesten Videoakteure der gegenwärtigen Popkultur geworden sind. Naturlandschaften wechseln sich ab mit städtischer High-Tech-Architektur. ( Die Skyscraperlandschaften in Shanghai seien hier als eindrucksvollstes „Vorbild“ genannt.)
Wenn die beiden in einem Interview sagen, dass sie die Kriege der Zukunft in der Auseinandersetzung zwischen herkömmlichen Menschen und Cyborgs sehen (wobei sie Cyborgs als Menschen definieren, die Technologie benutzen um ihre natürlichen Kapazitäten zu erweitern), dann beschreiben sie auch – vermutlich ohne es zu wollen – einen der Hauptkonflikte der Popmusik:
Denn Popmusik steht heute vor dem Dilemma, kaum noch um ihrer selbst Willen gefeiert und gekauft zu werden. Popmusik handelte ja immer schon von der Feier und Erweiterung der menschlichen Möglichkeiten. Aber nie zuvor war das Musik-Video ein so unverzichtbarer Teil des künstlerischen Gesamtkunstwerks wie in den Zehner Jahren. Gerade weil es nicht mehr im Verdacht steht, einem kommerziellen Nutzen zu dienen wie in den rund dreißig Jahren der MTV-Ära zuvor. Jeder (Pop-)Act, der etwas auf sich hält, sucht heutzutage nach Videos, die in Sphären hineinreichen, die von der Musik allein nicht mehr abgedeckt werden können. Das Musik-Video ist wie ein Geschenk, das Weitgereiste ihrem zuhause gebliebenen Publikum machen, um zu erzählen, was sie in der Welt da draußen erlebt haben.
Der andere Weg, den Popmusik heute nimmt, weist in die umgekehrte Richtung. Das Live-Konzert mit seinen unvorhersehbaren „intimen“ Momenten ist gewissermaßen ein Dual, wenn nicht sogar der schärfste Rivale, des Pop-Videos. Während das Pop-Video in der Regel auf ein Außen – und auf unser aller Zukunft in diesem Außen verweist – stimuliert das Live-Konzert das Gefühl von Nähe. Es zielt direkt auf die besonderen Gefühle des Einzelnen. Musik eignet sich besser als Gefühlsbringer denn als Zukunftsvisionär. Für die Gefühle des Publikums hat es sogar eine Technik-ähnliche Funktion: in dem ich mich beim Live-Konzert daran erinnere, was mir in der (jüngsten) Vergangenheit passiert ist, versetzt mich die Musik mit dem oftmals in ihr angelegten Erzählcharakter in einen inneren Dialog mit mir selbst. Das können ruhig ganz kleine profane Dinge sein, die durch den unmittelbaren Live-Sound und die kollektive Atmosphäre eines Konzerts in einem selbst hervorgeholt werden. Zum Beispiel: ein guter Freund hat eben einen Satz zu mir gesagt, der mein Selbstverständnis im Umgang mit Geld erschüttert. Oder ein Song erinnert mich an den letzten Urlaub mit meinem Exfreund. Die Live-Musik kann mir helfen zu meinen inneren, abgespaltenen Gefühlen zu finden, und dadurch erfrischt in die Gegenwart zurückzukehren.Wer hingegen schaut zur Verarbeitung von z.B. Liebeskummer ein Pop-Video?
Die Pussykrew hat aber ein Gefühl die Live-Dimensionen! Es ist kein Zufall, dass sie 2004, während ihrer Gründungsphase in Polen, ihre Arbeiten noch in einem Club-Umfeld präsentiert haben. Sie kreierten Visuals für Live-Auftritte, und Kurzfilme. Bekannt wurden sie damals vor allem für ihre Live-Visuals beim UNSOUND-Festival im Jahr 2006.
Oh glückliche Musikerinnen und Musiker, wenn sie mit Pussykrew zusammenarbeiten dürfen! Die ursprünglich aus Polen stammenden Videokünstler haben mittlerweile eine Residenz in Shanghai, nachdem sie vorher längere Zeit in Berlin und New York City gelebt haben. Ihre Videos vibrieren vor metropolischer Energie! Oft präsentieren sie die Künstler und Künstlerinnen in einem digital hergestellten Umfeld. Ganz allgemein betrachtet könnte man sagen, ihre Themen sind: das Ineinanderspielen von Technologie und Kunst, Zukunftslandschaften und eben der Mensch der Zukunft, der sich durch Technologie neu erfindet. Zu diesem speziellen Themenkreis zählen sie auch all ihre Ideen rund um das Topic der Geschlechtsidentität. Es scheint für sie vollkommen selbstverständlich zu sein, dass Geschlechtsidentitäten sozial konstruiert sind. In ihrer Welt der Zukunft sind „Männer“ und „Frauen“ überflüssige Kategorien: Paare umarmen und liebkosen sich auf Augenhöhe, offenbar bereits in einem Bewusstsein, dass sie beide Seiten haben können: die sogenannten „männlichen“ und „weiblichen“ Eigenschaften: non-binär, leidenschaftlich und funkelnd. Wie zum Beispiel in der Video-Installation für die Electropop-Songwriterin Oyinda, wo wir sich drehende halbnackte Menschenskulpturen in einer paradiesisch anmutenden Wasserkulisse sehen. Sind die Farben in dem magischen Garten noch nicht ganz getrocknet, oder hat das Wasser sie angreifbarer gemacht? Man sieht das Gemachte, das noch nicht vollständig zur Identität Gekommene dieser Umgebungen! Aber auch das Utopische, verkörpert durch blitzlichternde 3D-Effekte.
Und so wirken diese künstlichen, digitalen Arbeiten der Crew sehr lebendig – und verweisen wiederum auf ein anderes, wichtiges Essential der Popkultur: Den eben doch handgemachten, menschlichen Faktor in all seiner Unvollkommenheit.
Überhaupt: Aleksandrowicz und Wojtas lieben es Skulpturen selbst zu bauen! Oder auch flüssige Stoffe in andere übergehen zu lassen: im Video zum Song „Giddy“ – von der britischen Dance/Electro Sängerin und Komponistin Perera Elsewhere – wird aus Wasser langsam Öl. Die Interpretationsmöglichkeiten sind dabei so fließend wie das pinkviolette Meer, in dem Raffinerien untergehen. Die Bedeutung von Öl verhandeln Pussykrew also auf denkbar romantische, dabei nicht unkritische Art. Ein goldenes Handy wird zu einem goldenen Sessel oder zu einem klassisch goldgerahmten Bild. Das alles hat etwas Weihe-und-Würdevolles.
Pussykrew wirken wie Leute, die gerade, weil sie so zukunftsbesessen sind, gerne eine Leerstelle hinterlassen, die mit Vergangenheit und Gegenwart gefüllt werden kann. So kooperierte das Kollektiv schon vor zwei Jahren mit der derzeit angesagten Alternative R&B-Musikerin Kelela. Für deren Performance „NOWSEETHIS“ im Pittsburgher “Carnegie Museum of Art” kreierten sie berührende Visuals mit surrealer Ausstrahlung. Dafür scannten sie antike und klassische Skulpturen aus dem Museum und bauten diese 3D-Scans in ihre Animation ein. Die in Rot und Violett gehaltenen Bilder hinterlassen einen Eindruck von Geschichte und Zukunft. Alles dreht sich. Und auch die Musik von Kelela steht für Leben, Bewegung und für eine Natur, die sich ständig verändern kann. Eine zärtliche Reise in die Zukunft. Zu romantischer Oberfläche und fließender Bewegung lassen sie die Abgründe tanzen. Ich persönlich mag besonders, dass Pussykrew mit selbstbestimmten und innovativen Musikerinnen an der Schnittstelle von Pop und Avantgarde zusammenarbeiten. Dabei hat das Duo keinen „Haupteinfluss“. Viele Inspirationen kommen, laut Eigenaussage, aus dem Internet. Außerdem: B-Movies, Popkultur, zeitgenössische Kunst und zufällig vorgefundene Alltagsgegenstände.
Video von Pussykrew mit Kelela: gar nicht auf Youtube sondern auf Vimeo 😉
Und apropos „Alltag“: Auch wenn Pussykrew nicht nur für Musiker und Musikerinnen arbeiten, sondern noch andere Auftraggeber haben (von der Werbung bis hin zum Museum), so ist ihre Affinität zum Alltäglichen der Popkultur offensichtlich. Das illustriert ihr Video für die Avant-Trip-Hop-Musikerin Leila und ihren Song „Welcome to your Life“, der bereits 2012 auf den Oberhausener Kurzfilmtagen gezeigt wurde: ein ausgeschnittener feuerroter Mund lässt Alltagsgegenstände sprechen. Und Fantasietiere. Anstelle ihrer üblichen Schnauze wird nun der akkurat geschminkte Mund sichtbar. Und Pussykrew wären nicht Pussykrew wenn sich darin nicht auch ein schiefer Zahn befände.