von Kerstin
11. Juni 18
Auch die Spatzen in PrenzlBerg sind schon ganz dünn geworden, in diesem stickig-heißen Frühsommer. Nicht weil sie zu wenig essen, sondern weil sie Durst haben. „Sie brauchen zwar nicht viel zum trinken, aber ein bisschen was schon“, weiß die Kellnerin. Gerade hat sie einen Spatz gerettet, der mit karacho an die innere Fensterwand des Cafés geflogen ist, weil er die Glasscheibe nicht als solche erkannt hat. „Es ist unser Horror, dass die hier an die Fensterscheibe knallen und dann blutig runterfallen“, sagte sie, und versuchte den Spatz, der schon was am Kopf abgekriegt hatte, mit einem Schüsselchen einzufangen und nach außen zu bugsieren. Ich durfte dabei assistieren und die Speisekarte aus Pappe bringen. Da ich in solchen Situationen, wo Leute tatkräftig Tiere retten, immer ein bisschen hilflos bin, weil ich immer Angst vor Tieren habe, auch vor noch so kleinen, auch vor Vögeln, auch vor Spatzen, machte ich das, was ich am besten kann: ich lobte die mit dem Spatz-Einfangen beschäftigte tapfere Kellnerin übers grüne Klee: wie toll sie das macht, gleich haben wir´s geschafft, wow, super,“ und als sie die, wie sie sie nannte, „kleine Spatzendame“ endlich nach draußen in die Freiheit entlassen hatte, applaudierte ich sogar ein bisschen.
Die Frau bedankte sich dann später voll bei mir, wie gut ich ihr geholfen hätte, und ich dann so bescheiden: „Aber, ich hab doch gar nichts gemacht. Sie hatten doch die ganze Arbeit.“ Und sie dann: „Nein, nein, Sie doch auch.“ Wunderbar, Leuten das richtige Kompliment zur richtigen Zeit zu machen, setzt Kräfte frei, und wir reden jetzt hier ausnahmsweise mal nicht über sexuell konnotierte Komplimente und blöde Anmachsprüche. In Deutschland sind die Menschen so gnadenlos unterlobt, es ist traurig, im Gegensatz zu England zum Beispiel, wo die Kinder zu viel mehr Selbstbewusstsein erzogen werden, wie Maike neulich wieder erzählt hat, und ein richtiges Lob zur richtigen Zeit kann sogar kleine Spatzen retten. Ich muss ja sowieso immer, wenn ich Spatzen sehe, an ein Horror-Märchen von Stephen King denken, wo ganze Armeen von Spatzen vom Himmel kommen und den Psychopathen töten/aufessen. Der Gedanke, dass viele kleine gute Wesen den Bösewicht töten hat mir gut gefallen. Und das Bild vom Spatzenblut, das an der Fensterscheibe des Cafés klebt, hat sich da irgendwie mit hinein vermischt, an diesem sunny afternoon, in the summertime.
Wer ist hier Biedermaier?
Die ebenfalls tief in der deutschen Geschichte verankerte Abwertung des Weiblichen schwingt auch oft mit, in den Reden vom bösen gentrifizierten Prenzlauer Berg, wo die vielen Mütter wohnen, denen es, wie man so hört, wohl zu gut geht. Da wo es zu vielen Frauen offenbar zu gut geht, muss immer mal wieder nachgefragt und nachgetreten und nachgelästert werden: ob das wohl sein darf? Gestern habe ich zum Beispiel direkt nach dem Aufstehen gedacht: ich müsste mal wieder Radio hören, früher hab ich doch immer so gern Radio gehört, als Vorbote des Koffeins sozusagen. Das kann ich mir doch nicht kaputt machen lassen, nur weil ich fast alle Radiosender in meiner Reichweite so sehr dafür verachte, dass sie so gut wie nie tolle, authentische Musik von weiblichen* Musikern spielen; und zur Not muss ich dann halt „Radio Energy“ hören, dachte ich, während ich mir die Haare wusch, weil da wenigstens R`n B läuft, und ich brauch halt Frauen*stimmen, wenn ich morgens aufstehe und Musik höre. Weil ich mich damit besser identifizieren kann, und als Sängerin macht es mir auch einfach mehr Spaß richtig guten Sängerinnen zuzuhören, und mir zu überlegen, was die wohl gemacht haben, um so richtig gut zu klingen. Mein innerer Fachsimpel will schließlich auch noch befriedigt werden.
Dann hab ich aber doch einen alternativen Radiosender eingeschaltet, und gehofft, dass etwas Gescheites kommt. Ergebnis: ein einziges Musik-Stück von einer Frau* in eineinhalb Stunden. Noch dazu ein total banaler Popscheiß-Song. Von den Männern spielen sie immer auch die härteren Sachen, und von den Frauen* nur pinkfarbene Songs. Ich hab mich gefragt, warum die das dürfen! Einfach mal so: knallharte Männerquote von 100 Prozent in einer Stunde, und in der nächsten dann 90 Prozent, einfach so – und dann, mittendrin, fing der Moderator plötzlich an, über die Mütter im speziellen, und die Leute in Prenzlauer Berg im Allgemeinen zu lästern, mit dieser ekelhaften, von zu viel eingefrorenem Geläster schon ganz eingeschnalzten schmalzigen Radiostimme.
Weil die ja alle Kinder hätten, die Leute in Prenzlauer Berg (stimmt nicht, es gibt so viele hier, die keine Kinder haben), und Leute mit Kindern wären ja so arrogant und intolerant gegenüber Leuten, die keine Kinder haben. Bei denen wäre man ja sofort unten durch und die würden einen dann ja gar nicht mehr ernst nehmen und deshalb müsse er jetzt auch aufhören zu reden, weil sonst die Leute in Prenzlauer Berg alle abschalten. (Stimmt! 🙂 ) Den Witz machte er gleich doppelt und dreifach, das fand er unglaublich witzig von sich. Ich muss mal sagen: wenn so ein Biedermaier-Heini, der in anderthalb Stunden kein einziges gescheites Lied von einer Musikerin spielen kann, glaubt, er könne sein Mütchen kühlen, indem er ein bisschen über PrenzlBerg-Eltern ablästert, dann empfinde ich das als so was von “typisch deutsch”, auch wenn das auch ein Klischee ist: weil so einer nie gelernt hat für echte Gleichheit zu kämpfen, weil er echte Feindbilder vermisst, weil er es weder wagt richtig heftig gegen den Kapitalismus zu kämpfen, noch richtig heftig gegen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus etc. – und ja, und gerne auch gegen Gentrifizierung! – schießt er sich dann immer gerade gegen die Personengruppen ein, die etwas machen, was man als weiblich empfindet, z.B. Kinder-Care, um zu beweisen, dass er doch irgendwo noch ein cooler Typ ist, der Eier hat und so.
Ich wohne übrigens seit 12 Jahren in diesem Kinderviertel und mich hat noch nie einer oder eine blöd angemacht, dass ich kein Kind hab oder will, noch nie einen blöden Blick gespürt, noch nie sind mir Mütter arrogant gekommen. Das ist alles das komplette dumme Vorurteil von Typen, die sauer sind, dass sie wegen zunehmendem Feminismus über die minderwertigen Weiber nicht mehr so geil herziehen können, wie sie das ihr ganzes Leben lang gewohnt waren. Was übrig bleibt, ist ein Songwriter-Crooner aus Kanada, den man hofiert, in der Live-Sendung, als wäre er ein König, und den man in schlechtem Englisch fragt, warum er eigentlich noch keine Kinder hat und ob das heutzutage mit 28 noch erlaubt sei.
Ja, isses du, armer, nie geliebter Dummkopf. Ist doch gar kein Thema mehr, wenn du nicht eines draus gemacht hättest.
Lasst endlich den Vibe der neuen Zeit in euer Herz, und spielt zum Beispiel die Songs von Maike Rosa Vogel rauf und runter… Mutter sein bedeutet nicht ein Biedermaier zu sein, nur weil manch einer es zutiefst innen immer schon war…
.