von Kerstin
Josefine Rieks` Serverland und das kleine Problem mit der Gegenwart der Kritik
Eine Autorin schreibt einen kleinen, süffigen Gegenwartsroman über das Leben in und mit dem Internet, am Beispiel von ein paar typischen Nerds oder Hipstern aus Berlin-Wedding. Sie entdecken in Serverhallen in Holland, auf dem ehemaligen Google-Gelände, alte Server und bringen sie wieder zum Leben und schauen mal so richtig bekifft hin, was da eigentlich geht und wie das früher mal war, in diesem Internet. Sie saufen und rästeln, was all diese Daten-Mengen von ihnen wollen, so wie das heute ja alle ständig tun (was will denn diese App jetzt von mir, grummel, grummel) – und sie sind vor allem den Gegenbewegungen im Internet (Feminismus, Antikapitalismus) nicht abgeneigt.
Das Ganze hat mich an Beatnik-Lektüre erinnert, ganz frühe Pop-Literatur, wo man sich reinfuchsen musste, in maulfaules, kauziges, aber detailreiches Wandeln in den Wunden und Horizonten einer Zeit, die bereits eingetroffen ist, aber die noch keiner so ganz versteht. So weit, so gut, so toll.
Wenn doch nur die Kritiker nicht wären, die „Serverland“ von Josefine Rieks ein bisschen zu ernst als Zukunftsroman gedeutet haben! Also gut, der Roman spielt in einer nahen Zukunft (2070), in der das Internet abgestellt wurde (nach einem Referendum in der Bevölkerung) – aber das ist nur ein Kunstgriff der Autorin – die Gegenwart also in der Zukuft stattfinden zu lassen (womöglich um sie besser zu spiegeln, krasser auszustellen, neuartiger erscheinen zu lassen). Diesen Kunstgriff hält sie ohne mit der Wimper zu zucken und mit großer Beharrlichkeit bis zum Schluss durch – mit dem Resultat, dass die Herren Kritiker nun aber das Thema des Buchs vermissen. Da hat eine den Angelhaken aber auch zu gut ausgeworfen! Alle Achtung. Och, nöö, maulen die Kritiker von ZEIT bis tagesspiegel da ganz larmoyant: wir wollten uns doch von der Autorin vorerzählen lassen wie so ein Leben ohne Internet wäre (dem Alter der Kritiker nach zu urteilen, wissen sie das ohnehin :).
Davon abgesehen beschreibt Josefine Rieks ja das netzfreie Dasein, so ganz nebenbei: man geht in die Telefonzelle, wenn man telefonieren will und man springt aus dem Auto, um jemanden nach dem Weg zu fragen.
Aber das ist ja sowieso das Problem von Literaturkritikern (vor allem, wenn sie Debut-Romane von jungen Autorinnen besprechen): sie wollen der Autorin gerne helfend über die Schulter schauen, hier und da ganz viel Rotstift ansetzen und nachbessern. Sie hätten das Thema – oder das, was sie dafür halten – nämlich viel besser zur Vollendung bringen können, und so vermissen sie ganz väterlich ein Lektorat (wie z.B. Daniel Haas in der ZEIT), das der Autorin geholfen hätte, beim Thema zu bleiben und den roten Faden nicht zu verlieren. Tja – bei aller Stringenz der Erzählung – wie das halt so ist mit den Fäden im Internet, man verliert sie manchmal, und davon abgesehen: welcher rote Faden eigentlich? Vielleicht wollte die Autorin ja gar keinen roten Faden im Sinne des ZEIT – Feuilleton spinnen? Vielleicht ist das Thema und das Ziel von Serverland ja nicht in erster Linie eine öde, ausgedachte, nach allen Regeln der Erzählkunst durchexerzierte Geschichte darüber, wie das wohl so wäre, wenn einmal, nach einem Referendum der Bevölkerung, das gute böse Internet, dieser Big Brother unserer Tage, abgestellt würde und wie wir dann heute oder in einer nahen Zukunft leben würden – sondern vielleicht geht es ja darum wie wir heute tatsächlich leben. Mit dem Internet? Und noch lustiger, wenn man beim You Tube-Videos gucken auch noch Drogen nimmt. Denn schließlich kommunizieren die Protagonist*innen von „Serverland“ ja die ganze Zeit, während sie miteinander herum sitzen, übers Internet miteinander? Vielleicht ist das ja ein experimenteller Roman, den man halt auch mal genießen muss, so wie er ist – und keine Science-Fiction-Soziologie?
Hey: auch Debutromane, auch die von Autorinnen, sind nicht Malen nach Zahlen, wo man nach Belieben seine eigene, vollkommenere Version der Geschichte reinschreiben darf, sondern wertvolle Kunstwerke: friss oder geh sterben.
Also: feiern wir es doch einfach ein bisschen, mit Serverland, dieses Internet, mit seinem Feminismus, seinen verstiegenen Theorien und seiner Möglichkeit Gegenbewegungen auszurufen, anstatt diee Romane origineller Autorinnen unoriginell zu Ende schreiben zu wollen.„Mansplaining“: auch so ein Wort, das vom Internet aus Welt-Karriere gemacht hat.
Oder um es mal in anderen, kaffeebekifften Worten zu sagen: It´s a man´s world, but it would be nothing without an Internet. Oder auch: Dieser Shit ist ein Gegenwartsroman, Alter.
Serverland, erschienen: 19. Februar 2018, 176 Seiten, Roman Hanser. Foto: c) Tim Bruening
Josefine Rieks wurde 1988 in Höxter geboren, studierte Philosophie und lebt in Berlin. Sie schrieb das Drehbuch zum No-Budget-Film U3000 – Tod einer Indieband. 2017 erhielt sie das Alfred-Döblin-Stipendium. Serverland ist ihr erster Roman.
IN EIGENER SACHE:
„Serverland“ gibt es übrigens auch in echt und in Farbe:
Wir haben Josefine Rieks eingeladen beim ersten „Grether-Salon“ KRAWALLE UND LIEBE im Literaturforum im Brechthaus am 6.9. aus ihrem Roman zu lesen! Mehr zum Grether-Salon demnächst hier auf diesem Blog!
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