Dekonstruktion und so
Wenn der Verweis auf den bohemistischen Sozialabsteiger »made in the US« hierzulande schon zum guten Diskurs-Ton gehört, muß auch erkannt werden, daß die laufenden und kommenden »Wohlfahrts-Kriege« im amerikanischen Sozial-Versorgungs-System, vor allem Frauen betreffen. Analysen einer »Feminisierung der Armut« sind dort bislang meist von Mainstream-Feministinnen und schwarzen Feministinnen erstellt worden. Das Bedürfnis nach empirischen Analysen, die nicht bei Auflistung und Auswertung sozialer Daten stehen bleiben, sondern die erlernten akademischen Diskurs-Formen/Schulen durchspielen, scheint dementsprechend groß zu sein.
In ihrem neuen Buch ›Widerspenstige Praktiken‹ führt Nancy Fraser vor, wie so etwas praktische Theorie werden kann. Sie argumentiert gegen eine kulturelle Arbeitsteilung, gegen »die theorielose Praxis liberaler Sozialingenieure« und gegen eine »unpolitische Theorie radikaler Ironiker und Ästheten«. Wichtig scheint mir ihre Untersuchung des US-amerikanischen Wohlfahrtstaates in Hinblick darauf, wie er versucht, die Bedürfnisse von Frauen nach seinen eigenen Bedingungen zu interpretieren. Fraser zeigt auf, wie sich zu diesem Zweck die Programme zur Sozial-Fürsorge in einen »maskulinen« und einen »femininen« Bereich einteilen, stets aber von einem unmißverständlichen Geschlechtertext unterlegt sind, der Frauen familisiert, Männer individualisiert. Wer zum maskulinen Bereich gehört, erhält, laut Fraser, seine Sozialhilfe als »Rechte innehabender Nutznießer« und »kaufkräftiger Verbraucher«. Wer am femininen Subsystem partizipiert wird als »abhängiger Klient«, als das Negativbild des besitzenden Individuums eingestuft.
Am Traum von der Familie mit männlichem Haupternährer kommt eben keiner vorbei. In diesem Zusammenhang weist Fraser auf eine verblüffende Feststellung von Barbara Nelson hin: »Haushalte gelten dann als von Frauen geführte Haushalte, wenn sie per definitionem keinen gesunden erwachsenen Mann ausweisen. In den meisten Haushalten, die als männlich geführt gelten, leben aber gesunde, erwachsene Frauen.« Nancy Fraser entwickelt aus daraus resultierenden Bedürfnis-Interpretationen einen neuen Begriff des »Gesellschaftlichen«. Das »Gesellschaftliche« ist demnach nicht, wie Habermas sagt, der Ort, an dem Öffentlichkeit und Meinung sich »Guten Tag« sagen, sondern der Sitz des Diskurses über die Bedürfnisse von Menschen, die gerade aus der offiziellen häuslichen/ökonomischen Sphäre ausgebrochen sind.
Und überhaupt: man sollte Theorie-Import auch nicht über-problematisieren. In der hervorragenden Reihe Fischer-Zeitschriften erscheint mittlerweile so viel, von Kommunitarismus-Schriften bis hin zur Pornographie-Debatte, daß es zu einem Vergnügen werden kann, alles zu kennen. Und so auch zu verstehen, wie sich latent von Subversion und Pop-Kultur begleitete theoretische Aufplusterei von Monat zu Monat entweder durch die Erscheinungsweise entwertet bzw. immer schnellere Reaktionen hervorruft. In dem neuen Band ›Weiblichkeit als Maskerade‹ (Hrsg. Liliane Weissberg) wird das übliche Muster vorexerziert: Mit Hilfe eines reduktionistischen Verfahrens (hier: Freudsche Psychoanalyse plus Blick-Theoreme aus der feministischen Film-Theorie) werden die sattsam bekanntesten Phänomene (»Weiblichkeit konstituiert sich als Maske, als dekorative Schicht, die eine Nicht-Identität verhüllt«, so Joan Riviere) analysiert, um aus ihrer kulturalistischen Unveränderlichkeit eine Strategie abzuleiten, die angeblich schon immer als subversiv in die Verhältnisse eingeschrieben ist. (Was mit Foucault auch immer stimmt: Die Macht produziert dann eben ihr positives Begehren.) In ›Weiblichkeit als Maskerade‹ gibt es aber brauchbare klassische Aufsätze aus Film-Theorie (Laura Mulvey), Literatur-Wissenschaft (Naomi Schor, die schon im Band ›Dekonstruktiver Feminismus‹ überzeugend klarmachen konnte, warum Irigarey/Beauvoir nicht das Unzueinanderpassendste ist, was es gibt) und pseudo-wissenschaftlicher Transvestismus-Forschung (Marjorie Garber).
In ihrer ›Theorie des weiblichen Zuschauers‹ definiert Mary Anne Doane das Hieroglyphische des Kino-Bildes als Sprache, die sich nicht als solche zu erkennen gibt, durch ihre metaphorische Kraft für Eingeweihte aber eine unaustilgbare universelle Verständlichkeit besitzt. Jedoch kommt sie nicht umhin mit Irigarey zu schlußfolgern, daß »für die Zuschauerin eine gewisse Über-Gegenwärtigkeit des Bildes besteht, denn sie ist das Bild.« Will sagen: Sie kann sich davon nicht unterscheiden, kann auch keine fetischisierte Haltung einnehmen. Genauer: Sie findet keinen Ersatz für eine Kastrationsdrohung. Auch in Laura Mulveys Begriffs-Repertoire steht die Frau im Film für Kastration: Sie muß so entweder erhöht, selbst zum Fetisch gemacht werden, oder sie wird als die Schuldige, die so viel Angst bringt, vernichtet:
»Der Tod ist der Ort aller unmöglichen Zeichen.«
(KG, SPEX, 1994)