von Kerstin
Fan-Nachruf; auch auf die konkret der 1990er Jahre
Zu den wenigen Einflüssen, die ich immer vergesse, wenn ich mir überlege, was mich eigentlich in meiner Jugend, damit meine ich jetzt die Jahre von sagen wir mal 17 – 22, so unausstehlich radikal gemacht hat, dass ich in meiner Schulklasse am Ende kaum noch mit jemand gesprochen habe, gehört die Lektüre der Zeitschrift konkret in den 1990er Jahren. Heute wurde bekannt, dass konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza am 20.12. im Alter von 79 Jahren starb. Am 21.12.2018 starb schon mein Lieblings-konkret-Autor Wolfgang Pohrt. Es macht mich beides sehr traurig. Denn genaugenommen, waren es nicht Kathleen Hanna und Courtney Love, die mich “aus der Gesellschaft aus-geixt” haben (um es mit dem Michael-Ende-Song zu sagen); sondern Hermann L. Gremliza und Wolfgang Pohrt.
Die Geschichte der Unversöhnlichkeiten innerhalb der Subkulturen wurden ja damals von Diedrich Diederichsen und uns, der Pop-Linken, in der SPEX geschrieben. Aber ich war so unversöhnlich, dass ich noch während ich die Pop-Linke mit-initiierte auch gegen sie unversöhnlich war: eigentlich war ich zu jung um so viel Verständnis aufzubringen, für all die Widersprüchlichkeiten der tollen Typen und der raffinierten Mechanismen in der Popkultur, die man aufbringen musste, um in der SPEX zu schreiben. Heute wäre das natürlich kein Problem, aber damals waren unsere wahren geheimen Popstars die schon etwas älteren Herren der Hamburger Zeitschrift konkret, die uns bestätigten, was wir eh schon wussten (und noch viel mehr, natürlich): dass hinter jeder Ecke ein Arschloch lauert, ein Kapitalistenschwein auf jeden Fall, und womöglich sogar ein blöder, apokalyptischer, bösartiger Kleinbürger und Umweltschützer, der sich in die Natur rettet, anstatt den Turbo-Kapitalismus abzuschaffen. Dieses System, das mit Robert Kurz gesprochen (auch so ein toller konkret-und-Buch-Autor), immer mehr Geld-Subjekte ohne Geld hervorbrachte. Leute, die nicht einmal mehr ausgebeutet wurden, in diesen neu-neo-liberalen Zeiten.
Schon morgens, direkt nach dem Aufstehen (nach einer meist ziemlich schlaflosen Nacht, der häufig ein ausgiebiger Kneipen-Abend vorangegangen war), ging es los: ich schnappte mir das Buch “Der Weg zur inneren Einheit” von Wolfgang Pohrt – in dem er (in der Tradition von Adorno) die Studien über den autoritären Charakter auf die Gegenwart und das Massenbewusstsein des wiedervereinigten Deutschlands übertragen hatte – und fuhr in die Schule, wo mir dann alles noch autoritärer vorkam. Ich hörte zum ersten Mal überhaupt, dass es so etwas wie einen Projektionsmechanismus gibt. Das war für mich überhaupt die größte Erkenntnis: dass man Eigenschaften, die man an sich selbst nicht erträgt, auf andere projeziert, vor allem gerne natürlich auf vermeintlich Schwächere.
Wolfgang Pohrt
In einer SPIEGEL-Ausgabe zu der Zeit waren die vermeintlich Schwächeren aufgelistet, als die großen A`s: Asylbewerber, Ausländer, alleinerziehende Mütter, Arbeitslose, Aussiedler – und natürlich wir, wie ich im Geheimen ergänzte: die Anarchisten. So ziemlich “die Aussätzigen” der Gesellschaft damals. Jeden Morgen musste ich 15 Stationen mit der Straßenbahn rechtsrheinisch in die Schule nach Köln-Mühlheim fahren, und dann noch fünf Stationen mit dem Bus. Ich hatte also genug Zeit “den Weg zur inneren Einheit” immer wieder zu lesen, und natürlich auch konkret und die bissigen Kolumnen von Hermann L. Gremliza (Pflichtlektüre).
Im eher konservativen Wirtschaftszweig der Schule wunderte man sich, wo “das” nur herkomme. Eine Schülerin, die heutzutage noch mit Adorno argumentiere . . . Ich erinnere mich wie der Politiklehrer dreimal kopfschüttelnd nachfragte, als ich offen bekannte, dass ich die PDS wählen würde. Auf dem Wirtschaftsgymnasium, das sich ganz den Lobpreisungen der kapitalistischen “blühenden Landschaften” Kohls verschrieben hatte, ein absolutes Ding der Unmöglichkeit. Eine absolute Frechheit. Wie konnte man so unbelehrbar sein, als so junger Mensch, gerade jetzt, wo doch endlich bewiesen worden war, dass der Sozialismus in ganz großem Stil gescheitert war.
Auch Rainald Goetz war entsetzt, als wir diese Gedanken in die konsumfreundlichere (Pop-)Welt der SPEX übernahmen und gegen die Wiedervereinigung polemisierten. Was das denn für eine West-Arroganz wäre! Der Schriftsteller hatte zwar Recht . . . aber wir hatten auch Recht! Denn in der konkret wurden die zu erwartenden Folgen der Wiedervereinigung ja ausführlichst beschrieben, erklärt und analysiert . . .
Einmal habe ich dann sogar selbst für die konkret geschrieben. Ich widersprach einem Text von Katharina Rutschky, in dem sie behauptet hatte, dass ein Missbrauch des Missbrauchs stattfindet und dass der ganze neue amerikanische Feminimsus a la Susan Faludi, Naomi Wolf und Judith Butler im Grunde eine einzige altmodische Scheiße sei. Bzw viel zu postmodern-beliebig. Eine einzige altmodische Scheiße? Die Dritte Welle des Feminismus, Riot Grrrl, der Superbestseller “Backlash” von Faludi?! ?!?!!? Sowas durfte in der konkret nicht unkommentiert stehen! Klopfenden Herzens fragte ich den Redakteur Boris Gröndahl ob ich eine Entgegnung schreiben dürfte? In der konkret musste doch die Wahrheit stehen! Ich durfte! Sogar mit obligatorischem “Autoren-Foto”. Ich hatte so viel Angst in dieses heilige Blatt einen Artikel zu schreiben, obwohl ich damals Artikel (für die SPEX) am laufenden Band schrieb, dass Dietmar Dath mir meinen Text zur Hälfte quasi vor-rappte. So und so musst du das bringen. Mach sie fertig. Die Anti-Feministin . . .(Das war natürlich nur Spaß, sie war natürlich trotzdem eine beeindruckende Publizistin und Persönlichkeit).
Tapfer schrieb ich den Text. Es sollte mein einziger Text für die konkret bleiben. Noch einmal zwei Monate mit Bauchschmerzen an einem Artikel für die idolisierte Zeitschrift zu schreiben, konnte ich mir nicht leisten, denn schließlich musste ich ja auch noch fürs Abi lernen 😉 Der Gedanke, dass Gremliza oder Wolfgang Pohrt meinen Text lesen würden, war schlicht unvorstellbar. Einmal rief ein völlig aufgewühlter SPEX und konkret Autor in der SPEX-Redaktion an: “Ich sitz hier seit Tagen in einem Hotel in Hamburg, ich bin jetzt der Kultur-Redakteur bei konkret, hey, wir können alles machen, ich hab denen gesagt wie wichtig der Pop-Linke-Ansatz ist, ihr könnt da jetzt alle schreiben, aber ich find keine Autoren, die mitmachen. Ich bin total blamiert. Was ist denn nur los?! Zuerst wolltet ihr alle das Blatt erneuern und jetzt bin ich der einzige, der`s noch will, oder was?”
Was war passiert? Wolfgang Pohrt hatte aufgehört für konkret zu schreiben und nun wollten wir alle es auch nicht (mehr). Die Unversöhnlichkeit, die uns Hermann L. Gremliza lehrte, wendeten wir nun auf die konkret an. Es steckte aber noch mehr dahinter: zu viel Pop wollten wir doch da gar nicht haben, in unserer konkret. Unsere blöden Widersprüche und unsere Verstrickungen in die Kosumkultur gingen doch keinen vernünftigen linken Marxisten und Vaterlandsverräter irgendetwas an. Jedenfalls war das für ungefähr zwei Jahre wahr, danach begannen neue Wahrheiten. Dass Hermann L. Gremliza bis zuletzt seine hochbrillante Kolumne schrieb, ist natürlich sensationell, ob man jetzt immer zugestimmt hat oder nicht. Er war nicht nur ein Karl Kraus, er war auch der letzte Punk der Republik. (Oder der erste!) Rest in power!