von Kersty
“Mittelfinger in die Luft, Riot not diet, pure Love im Club, fragt sich nur, wer schon so weit ist!”
Es ist übrigens nicht selbstverständlich, dass es ein “Fat Acceptance Movement” auch im deutschsprachigen Raum gibt. Lange Zeit mussten wir ja darauf warten. Ich erinnere mich noch daran, wie ich in den Neunzigern mal auf dem selben Panel wie die US-amerikanische Musikjournalistin Anne Powers war, die schon damals die volle Blüte einer feministischen Bewegung genossen hatte. Sie sagte, wenn sie so durch die Straßen Wiens laufe, würde sie sich als Frau, die als dick gilt und sich gern sexy kleidet, total unwohl fühlen. “Was, habt ihr hier etwa keinen Fat Activism?” fragte sie mich. Meine Antwort verwunderte sie wenig. Sie meinte, es sei für sie echt hart hier. Ich war damals überrascht über so viel Offenheit mit dem Thema.
Gegen dieses Gefühl gibt es dieses Video, es ist sehr sehr wichtig!!!! “Große Augen auf der Street / Spar dir deine Scheiß-Kommentare / Ich trage was ich trage / feministisch voll in Rage.”
Finna, die herausragende Rapperin aus Hamburg, hat ein neues Lied + Video! Das ist umso toller, als dass es ihr erster Solo-Release seit drei Jahren ist, dazwischen war sie aber in starken Features, z.B. mit Faulenza oder Boykottone zu hören.
“Overscheiß”, der neue Song von Finna, die sich selbst als “grinsende Rebellin” beschreibt, ist dabei sehr tricky. Er feiert Körpervielfalt und kritisiert die Beauty-Normen. Das ist allerdings “nur” eine Ebene in dem Song. Auf einer anderen Ebene wird ganz dezidiert und sozusagen als Symptom davon, “One-Sized” so wie “Oversized” als “Scheiß” beschrieben: “One-Sized ist keine Größe, ich pass da nicht mal rein,” denn jedes Höschen und jeder Tanga sei zu klein. Um daraus zu folgern: ich seh das nicht ein, mich anzupassen, denn “mein Körper gehört mir”. Eine Formulierung, die mensch nicht nur aus der Body-Positivity-Bewegung kennt, sondern auch aus der Abtreibungsdebatte. Genauso auch, aus einem anderen feministischen Diskurs, nämlich dem über sexualisierte Gewalt und Belästigung, ist der Satz” “Ich trage, was ich trage,” der sich anspielungsreich auf “feministisch voll in Rage” reimt.
So gelingt der Rapperin, Sängerin und Produzentin mit “Overscheiß”, feministische Versatzstücke auf das Thema “Body Shaming” zu übertragen, und macht schon durch die Verwendung von – z.B. durch Demonstrationen oder Manifeste bekannten – Sprüchen klar, dass all diese Themen zusammenhängen und trotzdem passen die einzelnen Zeilen absolut perfekt zu ihrem Thema.
Und apropos “perfekt”: Finna macht echt einen guten Punkt durch den Ausschnitt, den sie wählt, wenn sie die Pseudo-Perfektion des Beauty-Standards in der Luft zerreißt: “Komm mal drauf klar, dass wir die Normen sprengen.” Ja genau! Denn wer bestimmt sie denn, wer definiert sie? So ist dieses Lied HipHop und Punk in einem, oder auch einfach jetzt schon die Riot-Grrrrl-Hymne dieses Jahres, denn auch mein persönlicher Lieblingsspruch, der als Sticker an meinem Kühlschrank klebt, fehlt natürlich nicht in diesem Song: “Riots not diets.” Wie Finna es schafft, inmitten all dieser feministischen Essentials ein absolut atemberaubendes, persönliches, beispielgebendes – sowohl emotionales als auch analytisches – Song-Statement abzugeben, mit all ihrem Charme und ihrer schönen Nacktheit, ist absolut bewundernswert. Finna ist übrigens auch eine tolle Musikerin, die nicht nur reimen und das auch so meinen kann ;), sie spielt Klavier, singt toll und produziert selber. ( Diesen Track z.B. zusammen mit Spoke.)
Gelungen auch die kollektive Geste des Videos! Finna ist nicht allein mit dem (Kampf gegen) Overscheiß. Es gibt immer ein Wir: “Keine Opferposition, wir sind fat und proud!” Schön auch, dass die Autorin, Bloggerin und Musikerin Magda Albrecht hier dabei ist, die ihre Botschaft zum Thema Körpernorm (insbesondere Dickendiskriminierung) schon weit gespreaded hat. Ich erinnere mich noch, wie ich 2018, nach langer, langer Zeit, mal wieder in die Buchhandlung ging, in der ich als Kind immer war. Dort, in dem winzigen Dörflein, wollte ich herausfinden, welche subversiven Ideen womöglich mich erreicht hätten, wenn ich heute als 14-jährige in diesem Nest wohnen würde. Nun ist der Gedanke natürlich schwachsinnig, dass mensch durch Buchhandlungen erzogen würde, weil es ja Internet gibt. Aber trotzdem freute ich mich mega, als gleich beim Reinkommen mein Blick auf das Buch “Fa(t)shionista (rund und glücklich durchs Leben)” (Ullstein) fiel.
Danke Finna und Crew für euren Mut und Empowerment! Und natürlich ist der Mut, den sie machen, nicht nur für 14-jährige Mädchen* wichtig, sondern für uns alle. Und die passende Hymne für den anstehenden Frauen*kampftag obendrein! Dann wird es auch eine Edition unserer Reihe “Ich brauche eine Genie” @Kantine am Berghain geben, und dreimal dürft ihr raten welcher Smash-Hit in den Pausen läuft . . .
Infotext zum Video: “Overscheiß“ ist ein sehr persönlicher Song von Finna. Nachdem auf Social Media immer wieder ihre Figur kommentiert wurde, ist dieser Song ein Statement dagegen. Es geht um Bodypositivity. Die Begriffe Onesize und Oversize können gerne in der Geschichte verschwinden, denn es bedeutet, dass Menschen ausgegrenzt werden oder sich nicht „normal“ fühlen. Es gibt keine einheitlichen Körper auf dieser Welt! Mit „Overscheiß“ schreibt sich Finna aus der Opferposition heraus und macht auch allen anderen Mut, zu sich zu stehen. „Komm einfach mal drauf klar, dass wir dein Körperbild zerstören.“ Riots not diets!”
Beitragsfoto: Lena Haehnchen