lila Mangamädchen mit Buch

Die Cultural Studies Expertinnen Ellen Willis und Ann Powers

Ein Ringkampf mit Engeln

Über das Triviale und das Seriöse in der populären Kultur

Populärkultur ernst nehmen – für diese Forderung muß in Spex nicht noch heroisch eine Lanze gebrochen werden. Die campy-lustvolle Freistil-Analyse von Fernsehshows und Soap Operas ist sowieso schon eines der liebsten Themen an Tresen und Telefon (»hast du gestern ›Boulevard Bio‹ gesehen?«) Und wird meist im zartironischen Ton kritischer Distanz oder selbstverliebter Distinguiertheit vorgetragen. Aber was soll man am Tresen oder Telefon auch anders wollen, als zauberhafte Geschöpfe zu unterhalten oder die Gemeinschaftswahrnehmung zu pflegen. Zumal sich der studentische Independent-Fan, bewußt oder unbewußt in die Tradition der Frankfurter Schule hineinsozialisiert, gerne über die betrogene »Masse« der Konsumenten Luft macht. Sein Motto: Ja, die Friseusen und Supermarkt-Verkäuferinnen, die Zillo-Leserin und der Dark-Waver, die Techno-Designer, die Fans von Fantasy-Tragik-Komödien und die Käufer von No-Doubt-CDs, sie können ja auch nichts dafür, daß sie die »falsche« Musik hören und im falschen Film sind, aber.

Kein Aber: Zum Glück gibt es auch noch den Herzschlag der Cultural Studies. Die Cultural Studies betonen, mehr als daß sie benoten, den kreativen Umgang der Konsumenten mit kulturellen Gegenständen, und den kann man dem Dark-Wave-Designer und der Zillo-Leserin mit den Scherenhänden nun wirklich nicht absprechen. Oder mit Derrida: je nachdem, wie ein kultureller Gegensatz konsumiert wird, ändert sich auch dessen Bedeutung.

Die ohnehin essentialismenbefragende und hochkulturkritische essayistische Schreibpraxis, die auch für Cultural Studies Vorlage sein kann, nimmt das »Ernstnehmen« allerdings auch noch mal ernst: kein folgenreiches Rumdozieren, please. Denn die Protagonisten der Cultural Studies haben sich das Mitreflektieren des persönlichen und gesellschaftlichen Ortes, von dem aus sie sprechen, sozusagen zur Selbstverständlichkeit gemacht. Auch ihre Praxis ist die einer Positionsbestimmung.

Welche Position dieses Schreiben zwischen Presse und Hochschule einnehmen kann, erklären die Rock-Journalistinnen und Cultural-Studies-Expertinnen Ellen Willis und Ann Powers im folgenden Interview. Übrigens kein Zufall, daß Ellen Willis sich immer noch als »Rock-Kritikerin« bezeichnet, denn Rock-Kritik hat in den USA die Cultural Studies inspiriert. Es handelt sich ja bei den Cultural Studies überhaupt um eine akademische Disziplin, die nicht dieselben Fehler machen will wie viele andere akademische und journalistische Disziplinen vor ihr: die Bedingtheiten der jeweiligen Position auszublenden. Was auch mit den Traditionslinien dieser mittlerweile mit ihrer eigenen Institutionalisierung hadernden Disziplin zusammenhängt.

In den Fünfzigern und Sechzigern muß es erst einmal ein ziemlich smarter Gedanke gewesen sein, die Produktions-, Distributions- und Konsumtionsformen der Populärkultur nicht einfach nur als bloßes Realität-Werden des kapitalistischen Verwertungsprozesses zu sehen, sondern auch als Anschauungsmaterial für soziale Reaktionen und Interaktionen, die er auslöst. Zunehmend wurden die Potentiale beschrieben, die aus den populären (Sub-)Kulturen selbst erwuchsen, um die Warenlogik mit ihren Widersprüchen zu konfrontieren.

An der Universität Birmingham etablierte sich das Centre For Contemporary Cultural Studies, das zunächst Stil und Habitus des jungen Working-Class-Mannes im Blick hatte und erst mit dem Wirken von Stuart Hall seine Perspektive für das Feld öffnete.

In den USA sind die Cultural Studies mittlerweile zum zentralen intellektuellen Feld einer Disziplin geworden, die in den 90er Jahren allerdings schon wieder mit der Aufweichung ihrer emanzipatorischen Stoßrichtung zu kämpfen hatte, sobald diese auf die althergebrachten akademischen Stilvorstellungen heruntergekocht wurde. Die Akademie hat von ihrer liebsten Beschäftigung auch die Cultural Studies nicht verschont: sich auf eine Umlaufbahn um sich selbst zu schießen.

Aber das ist nur eine Tendenz, von der sich die Cultural Studies aus ihrer eigenen Reflexivität heraus befreien können müßten; über die seltsamen Wege des Mainstreams zu reden, ohne zwanghaftes Kichern, das sich als subkulturelle Lebensäußerung versteht, dürfte genauso möglich sein wie der Essay, der sich nicht bei den traditionellen akademischen Ritualen der standesdünkelhaften Selbstüberhöhung aufhält.

Rock-Kritik konnte ein Teil dieser Äußerungen werden, weil sie ohnehin schon aus ihrer angloamerikanischen Entwicklung heraus immer an den Grenzen von Akademie, Journalismus und innersubkulturellem Talk herumkreuzte.

 

Pop-Feminismus zwischen Katzentisch und Catwalk

 

Ellen Willis und Ann Powers konkretisieren dies im Interview auf einen Faktor hin, der in der traditionellen Rockkritik oft genug an den Katzentisch verbannt wurde: Pop-Feminismus. Wie lassen sich Gegenkulturen feministisch so kritisieren, daß gleichzeitig ihrem dissidenten Gehalt Rechnung getragen wird?

Ich treffe die beiden Pop-Wissenschaftlerinnen in Wien, anläßlich einer Popkultur-Tagung. Man kann mit ihnen so herrlich und leidenschaftlich albern, tief und emphatisch über circa alle Themen reden, die einem gerade einfallen. Als ich Ann Powers erzähle, daß ich demnächst 20 werde, sagt sie ganz überschwenglich und nachdenklich zugleich: »Oh, so you’re a baby.«

Ellen Willis, geb. 1941, ist Professorin für Journalismus an der New York University und schreibt eine regelmäßige Medien-Kolumne für die Village Voice. In ihren Essay-Kolumnen formulierte sie, so gut es eben ging, die Widersprüche aus, die sich seit den 60ern in Sub- und Massenkultur aufgetan haben.

Ann Powers, geb. 1964, steht als Musikredakteurin bei der Village Voice in der Tradition von Ellen Willis, und hat mir ihr zusammen das Buch ›Rock She Wrote – Women Write About Rock‹ herausgegeben.

»Dir eilt der Mythos voraus, die erste seriöse Rock-Kritikerin der USA gewesen zu sein – und sogar als erster Pop-Journalist überhaupt für den hochkulturellen New Yorker geschrieben zu haben. Gab es damals in den späten 60ern keine Frauen außer dir, die über Musik und Popkultur geschrieben haben?«

Ellen Willis: »Es gab in den frühen 60ern nicht so viele, aber natürlich gab es noch andere Frauen. Oft waren das Frauen, die versucht haben Brücken zu bauen zwischen Jazz und Pop. Einflußreich bis auf den heutigen Tag sind vor allem Lisa Robbinsons Szene-Reportagen. Ich war in einer Gruppe von Leuten, im Umfeld von Bob Dylan, die die 60er Jahre auf eine ästhetische Kritik der Massen-Kultur hin untersuchten. Es war uns völlig klar, daß es darum ging, das ganze Unternehmen Rock-Kritik zu ändern. Zum Beispiel die Art, wie Leute Popmusik und -kultur wahrnehmen. Wir wollten zeigen, daß es nicht mehr so einfach ist: Du bist hier und ein Objekt ist da und jetzt kritisierst du das mal. Statt dessen ging es uns darum, die Freiheit, die in der Musik ist, herauszuarbeiten.«

 »Du hast dich oft dazu geäußert, als leidenschaftliche Rock-Autorin anzufangen, darüber Feministin zu werden, und die Musik-Sache dann nicht mehr so ernst zu nehmen. Ich habe das auch als Warnung gelesen und mir bei der Lektüre geschworen, Musik immer wichtiger zu nehmen.«

Ellen Willis:»Mir war die Tatsache, daß Frauen wenig gesellschaftlichen Einfluß haben, schon bewußt, bevor ich anfing, mich mit Musik zu beschäftigen, eigentlich schon bevor es überhaupt eine Frauenbewegung gab. Als ich anfing meine Kolumne für den New Yorker zu schreiben, sagte der zuständige Redakteur zu mir: Würde es dir etwas ausmachen, unter deinen Initialen zu schreiben, wir haben schon zu viele Frauennamen im Heft? (lacht) Vor meiner Beschäftigung mit feministischen Issues hatte ich nie selbstbewußt über die Tatsache nachgedacht, daß Rock als musikalische Form, als Industrie, als Performance, als Kritik, eine total männliche Angelegenheit ist. Es ist nicht mal so, daß mir der Sexismus in der Szene nicht aufgefallen wäre, ich habe mir nur nichts dabei gedacht.«

 

(Kerstin, 1995, SPEX)