Nighttown
Die Walkabouts haben ein Konzept-Album zum Thema »Nighttown« gemacht, ein From Dusk Till Dawn-Songzyklus, der so viele Facetten so beiläufig und ungeläufig wie möglich durchfächert: von Nachtstadt (dunkle Stadt) bis Stadt bei Nacht (beleuchtete Stadt). Die Songs können in jeder Stadt spielen, so klassisch poetisch und klassisch provinziell wie die Walkabouts sie bringen. Umso schöner, daß sie trotzdem aus Seattle kommen. Aus der Stadt der großen Anti-Helden, die nicht weiß, ob sie Provinz oder Großstadt ist, eine Nachtstadt vielleicht, mit der gratis-Assoziation »schlaflos«.
Die Band um Chris Eckman und Carla Togerson setzt hier die Veränderungen ihrer 96er-LP ›Devil’s Road‹ fort (z.B. orchestrale Strukturen, produziert von Cave-Producer Victor Van Vugt). Wieder hat dies schmachtende Gezupfe nichts von Kunstgenuss oder Konzepterguss, die Saiteninstrumente verleihen den Songs vielmehr flüsternd Dramatisches – wie auch die Drum-Loops, oder die anachronistischen Synthesizer.
Ein Nachtspaziergang mit den Walkabouts: Ganz zu Beginn auf ›Follow Me An Angel‹ fröstelt die Stadt noch in der Hitze: »The clouds take off their shirts« – und in einer sanften Gehbewegung klinken sich die Strophen in die Stadtnacht ein. Weiter geht’s mit ›These Proud Streets‹, zu luftigen Go-Betweens-Gitarren – Carla Torgerson beläßt diesen und überhaupt noch weitere tolle Folk-Songs im Zustand des Nicht-Belehren-Wollens. »These proud streets don’t cry«, singt sie. Ein Song über: Die Straßen schweigen, erzählen nichts.
Immer mehr wird Nacht und Stadt zur Kulisse für ein zweistimmiges (Selbst-)Gespräch, das sich in Dialoge windet, ein vorhandenes bzw. herbeigesehntes Du befragt. Und die Nacht fließt durch die Lieder, macht immer weiter: »This night is hanging on each word.« Gesprächsfetzen über Gewinne und Verluste in leichten mellow-Songs (›Unwind‹) wechseln sich ab mit emotionaler Schönheit (›Forever Gone‹).
Dieser sachte vor sich hin tuckernde Songzyklus ›Nighttown‹ handelt so auch von der Stadt als einer einsamen Folie gemeinsamen Erlebens. Von vielen trägen Scharfsichten aus der anonymen Umhüllung einer beleuchteten Stadt, einer dunklen Stadt, einer hellen Nacht. Zum Ausklang singen Carla und Chris, ganz romantisch, im Duett über »nightbirds«, »nightskys«, »nighttrains« – und über neu erwecktes Vertrauen: »I’m a lucky man.« »Say it again.«
Für Walkabouts-Fans und solche, die es werden wollen.
(Kerstin, 1997, SPEX)