Kolumne von Kerstin
Auf meinem neuen Landwohnsitz in England
Lange keinen Manic Mittwoch mehr geschrieben. Vielleicht weil seit Corona jeder Tag so manic ist. Aber jetzt, wo der Sommer zu Ende ist = Manic Manic! Also Manic hoch 2. In Anbetracht dessen war ich eigentlich ganz gelassen heute. Nach all den Monaten im Park beschloss ich, mal wieder in mein früheres Lieblings-Café zu gehen. Dort draußen sitzen. Die Musik war toll wie immer. Soulig, freundlich, wärmstens. Aber irgendwas war anders als sonst!
Ich erschrak furchtbar, als ein Lastwagen neben mir in die Hofeinfahrt fuhr. Ich bin wohl wieder ein Naturkind, sorry, “Dorfmädchen” wollt ich sagen. Hui, hier draußen sitzt man ja quasi mitten in den Abgasen. Und die Kinder spielen Fangen, in ihren Haute-Couture-Kinderkleidern, auf der Höhe der Auspuffe. Und wie das überhaupt so riecht, heute noch vergleichsweise okay, da es geregnet hatte, aber trotzdem!
Das war früher mein Vergnügen, mein schönstes Nachmittagserlebnis? In der schadstoffbelasteten Luft sitzen und herz-bemalten Hafer-Cappuccino zu trinken? Wie hatte ich das jemals so genießen können, dass ich mein halbes Erbe dafür ausgab, es mir in solchen kleinen Straßencafés gut gehen zu lassen.
Also zurück in den Park! Irgendwann denke ich, wird es mal ein Café im Park geben, das klein und beschaulich und schön ist, und wo die Musik genauso schön ist, wie die Musik im Café am Straßenrand. Das ist nämlich der Grund, wieso die mich immer gekriegt haben – immer kriegt mich das, was mit Musik zu tun hat, am meisten. Da fällt mir ein, kürzlich hatte eine Freundin erzählt, dass in dem Teil des Parks, in den wir nie gehen, neuerdings ein Café ist. Wenn ich auch immer nur in die Muttervaterkindhöllen-Cafés im Muttervaterkindhöllen-Teil des Parks gehe! Ich schnappe mir meine Schwester und ihr Fahrrad und fahr da mal hin. Bestimmt hat bei dem Sauwetter das kleine Café am anderen Ende des Parks gar nicht mehr offen. Aber die Luft riecht gut und hey, schon von Weitem hör ich voll die gute Musik, und ganz andere, als was man sonst im Park so zu hören bekommt: 98 Prozent Trap-Sounds und zu 99 % Männergesang.
Ich fahre immer näher an das Zaubercafé heran, sehe Stühle und Sonnenschirme draußen, das ja das was ich gesucht habe! Ein ganz kleines Café, eher eine Bude mit Tischen drumrum, und ein toller Song läuft da gerade. Ich fange gleich mal an zu tanzen, trete dabei auf ganz viele von diesen Kastanien, die aussehen, wie ein gezeichnetes Coronavirus, wenn sie noch in der Schale sind. Bei mehr als 3900 Neuinfektionen am Tag ist “dancing with myself” ja wohl weiter angebracht.
Die paar Anwesenden scheinen sich zu freuen, dass da jemand tanzt. Solche Musik will ich auch machen, wie die, die ich gerade höre. Genau so sollte der Song “Drei Möwen am Weißensee” klingen, an dem wir gerade arbeiten. Was ist das überhaupt für ein Song? Wie ein Kind im Spielzeugladen stürze ich zur Barista und frage sie, was das für ein Lied ist. Sie schreibt mir einen Zettel. Auf dem steht: “Hindi Zahra, Stand Up.”
Schätze mal, sie ist aus London, es klingt so innovativ, jazzig, der Text frech und trotzdem sweet, und vor allem die Kombination aus europäischen und afrikanischen Einflüssen, HipHop, Chanson, Folk – und wie sie es schafft, all diese Musiken in ein ganz leichtgängiges Lied zu packen. “So will ich auch singen”, sage ich vorwurfsvoll zu Sandra. Sie kennt das schon von mir. Dass ich mich beschwere, dass sie ( und unser Produzent Harrison Silverfox ) immer so besessen davon war, dass ich auf dem letzten Doctorella-Album wie Francoise Hardy singen soll. Immer wenn ich mal was anderes probierte, Soul oder Rock, schrie es aus dem Regieraum, “am besten und bezauberndsten klingst du echt, wenn du wie Francoise Hardy singst. Wir sollten diese Chanson-Richtung echt beibehalten.”
“Aber dieses mal”, sage ich triumphierend zu Sandra, und Hindi Zahra ist meine Gesangskomplizin, “dieses mal lasse ich mich von euch nicht von meinem Weg abbringen. Ich werde ungefähr so singen wie sie. Das kann ich nämlich! Und lasse mir nicht immer erzählen, ich soll einen auf Chanson machen. Außerdem singt sie auch ein bisschen wie Amy Winehouse”, sage ich. Sie ist bestimmt der neue heiße Hype aus England.
Der Mann am Nebentisch, den man jetzt nicht gerade in einer hippen Londoner Bar vermuten würde, schlägt auch schon mit der Hand den Rhythmus auf seine Schenkel und wippt dazu. Besser hätte die Musik in meinem Lieblingscafé auch nicht sein können. Ich bin begeistert, ab jetzt werde ich ja wohl jeden Tag hier her kommen; fühle mich gerade so als hätte ich ein nach Diesel stinkendes Café gegen einen Landwohnsitz in England ausgetauscht. Ein paar Minuten bin ich happy und freue mich auf meinen neuen Gesangsstil!
Dann google ich die tolle Musikerin. Oh Schreck. Als erste lese ich folgende Sätze:
“Und trotzdem schlägt auf “Homeland” ein ganz anderer Einfluss durch: die junge Françoise Hardy. Vielleicht nicht gerade musikalisch, sondern eher in der Anmutung. Da finden wir ebenfalls den Mädchencharme und die musikalische Ausgebufftheit der Arrangements, ihre stilistische Vielfalt und auch die Verbindung derer untereinander, die immer wieder überraschend Neues entstehen lässt.”
Das darf nicht wahr sein! Niemand hatte ich so weit von Francoise Hardy entfernt gedacht wie Hindi Zahra. Nun gut, sie lebt in Paris. Da ist vielleicht Francoise Hardy nicht ein ganz so ein abwegiger Vergleich wie hierzulande. Ich lese weiter: 1997 wurde sie im marokkanischen Khouribga geboren, als Tochter eins Militärs und einer Tänzerin, 1993 folgte sie ihrem Vater nach Paris.
Und ja, ein Trost bleibt mir bei meinem neuen Stilvorbild: irgendwie müssen wir ja doch seelenverwandt sein. Und in diesen traurigen Zeiten, wo man mit sich selber tanzt, kann man froh sein, wenn man überhaupt noch ein DJ-Erlebnis im öffentlichen Raum hat.