Kolumne von Kersty
Die Sonne hat auch schon geschlossen, auf der Parkbank gegenüber
sitzen wir im Schatten der überlebensgroßen Stadtbäume
My Sister bekommt sofort megaschlechte Laune, als ich ihr erzähle, dass die Autorin, deren dokumentarischen Roman sie gerade im Begriff ist, telefonisch beim Buchladen um die Ecke zu bestellen, schon tot ist. Ich habe es nur so dahingesagt, in eine Reihe aus belanglosen Sätzen gepackt, aber der Satz, dass die ihr bis dato vollkommen unbekannte Autorin tot ist, war wohl doch ein Schocker, ein Hingucker.
“Was, sie ist tot? Warum?,” fragt sie erschrocken.
Gute Frage. Als hätten wir uns während Corona nicht alle mit unserer eigenen sogenannten Sterblichkeit beschäftigt.
Den Tod gibt es wirklich, denke ich, fast schon achselzuckend, wie ein Profi in Sachen Radical Acceptance. #dinge,diemannichtändernkann
Allem Anschein nach, was man so hört. Aber das sage ich nicht. Ich tröste sie damit, dass das Buch ohnehin vergriffen ist, sie es also nicht mehr lesen muss. Aber Sandra ist nicht mehr zu bremsen. Sie googelt jetzt selber.
“Schrecklich”, sagt sie, “in diesem März gestorben, und schon kein Buch mehr erhältlich.”
Da hat sie Recht. Es lohnt sich nicht, denke ich, nur fürs Schreiben zu leben bzw. alles Erleben immer schnurstracks in Worte packen zu wollen. Aber auch diesen Gedanken behalte ich für mich.
Ja, aber ist die Diktatur nicht doch ins Wanken geraten?
Ich finde nicht, dass ein Mensch sowas erleiden muss.
Die Mutter eines Freundes ging nur so lange ohne Widerspruch zum Arzt, wie sie noch nichts zu befürchten hatte. Als ganz junge Frau konnte sie ihre hypochondrische Störung noch in voller Blüte austoben. Gern auch mit `ner Kippe in der Hand, Lippenstiftspuren auf den ausgeraucht-angeröteten Stummeln.
Die Sonne wärmte noch nicht, aber sie schien. Ich schlief gleich wieder ein, nach dem überflüssigen Anruf beim Arzt, und tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich auch am Nachmittag noch rausgehen könnte. Sonnenscheindauer: 10 Stunden, oder so. Da sah ich im Traum auch schon eine riesige, schwarze Regenwolke mit einem Häkeldeckchen im Inneren, wie die weiße Pfote einer schwarzen Katze, das aussah wie meine völlig normale, harmlose Muttermal-OP-Narbenwunde.
Auf den Weg zum Park, “Grüß Gott”, den Paket-Boten, er erkennt mich nach einem Jahr Corona-Paketbestellerei auch unter der Maske, ich bin gerührt und geschmeichelt, denn er ist ja einer der Weihnachtsmänner von Prenzlauer Berg, an den die Erwachsenen und die Kinder gleichermaßen noch glauben. Ich grüße mich mit dem Weihnachtsmann! Ich hab auch ein Lied über ihn geschrieben, Achtung: Working Class Hero-Gefahr. Es ist tatsächlich etwas sozialdemokratisch-kitschig geraten, geht schnurstracks auf die zwölf, so in Richtung: “Ja, klar, jeder muss sein Päckchen tragen, aber ich muss sie alle tragen.”
Diskriminierungskritik aus der Perspektive der Solidarität, aber nicht der Betroffenheit. Aber darf ich so ein Lied überhaupt singen, privilegientechnisch – wo ich selber kein Paketzusteller bin? Nee, schon klar, auch das wäre von der Kunstfreiheit gedeckt. Darf ist also die falsche Frage. Die richtige Frage wäre: warum will ich dieses Lied unbedingt machen.
Ich habe nach einem Jahr Corona immer noch keine Thermoskanne. Weil sie mir immer so gefährlich erschien…
Die Frage ist, für was will ich meine Energie einsetzen, bis zu welchem Grad detail-versessen. Und wann kippt es? Wie viel Perfektionismus, wirklich gute Arbeit?
Die Pfändung wurde aufgehoben, nachdem ich es doppelt bezahlt habe. Außerdem hat mir die Krankenkasse ein Heft zum ‘Thema Depressionen geschickt. Man muss wirklich immer in seinen Briefkasten schauen.
“Aber das ist nicht das, wo die Reise hingeht”, sagt meine tolle Therapeutin. “Sie sind, wie sie sind. Sie sind okay. Aber sie dürfen lernen: mit dem, was sie ausmacht, aber auch mit dem, was sie belastet, einen guten Umgang zu finden.”
Kennt ihr das? Dankbarkeit, zur höchsten Euphorie gesteigert, was ich alles darf: ein Geschenk!
“Sie dürfen alles, was ein Mensch darf, solange es im Rahmen des Gesetzes stattfindet,” hat mal eine frühere Therapeutin zu mir gesagt.
Wenn man von Ängsten geprägt ist, braucht mal viel laute Musik, um sich auch alles zu erlauben, was man darf. Cum on feel the Noize!
Du darfst, du darfst, du darfst.