The Breeders – ein Wochenende in L. A.

Geschwister on the rocks

Der Taxifahrer ist verzweifelt. Er kann die blöde Bar nicht finden. Verdammt. Ob er mich nicht einfach wieder zurück zum Hotel fahren soll? Bloß nicht! Ich reise doch nicht 20 Stunden, noch dazu um den halben Erdball, nur um jetzt, wenige Meter vor dem Ziel, einfach aufzugeben.

1. STATION: EAST L.A.

Hey, ich will auf die Party zu den Breeders! Irgendwo, in einer der Kneipen, hier in East L.A., in dieser verarmten Wohngegend, drehen die nämlich gerade ihr neues Video. Ich denke gerade an die herzliche, spröde Kraft, die ihr Cannonball-Video so mitreißend machte; und wie beeindruckend es auch immer war, dass sie mit so wenigen Tönen diese einschneidenden Riffs bauten – da holt der Taxifahrer mich jäh in meine merkwürdige Realität zurück. Ob ich wüsste, ob die eine Straße hier auf der anderen Seite irgendwo weitergeht. Klar, die Straßen hier kenne ich in- und auswendig, bin ja immerhin schon seit 4 Stunden in den USA. Ein Freund aus L.A. hatte vor meinem Abflug noch gewarnt: “Das erste Mal Amerika – und dann gleich L.A. Meine Güte, L.A. – das ist eine Wüste, ein Kulturschock.” Naja, denke ich jetzt: Und dann gleich East L.A.! Da war selbst mein Freund noch nie! Und wie es wohl für die Breeders ist? Die sind ja immerhin mal so eben aus ihrer netten Wohngegend in Dayton, Ohio hierher gezogen.

Statt die angeblich so trostlose Gegend angemessen trostlos zu finden, bewundere ich die für L.A. typischen Palmen am Straßenrand und die niedlichen bunten Schildchen und die derbe flachen Häuser, an denen sie befestigt sind. Der Taxifahrer hält Rat mit seiner Zentrale, während ich erwäge, auszusteigen und alleine weiterzusuchen. Es könnte ja passieren, dass mir nichts anderes übrigbleibt. Warum sollte man sich auch ängstigen, nur weil das eine Gegend ist, wo hauptsächlich Asiaten und Mexikaner leben? Working Class eben. Oder bin ich naiv, es soll ja Gangs geben hier? Und. Es ist Nacht. Tja, da kriege ich ja mindestens mal eine Ahnung davon, wie sich Kelley Deal gefühlt haben muss, als sie diesen denkwürdigen Anruf von ihrer Zwillingsschwester Kim erhielt, der anlässlich des Last-Splash-Nachfolgers “Title TK” schon jetzt als neueste Breeders-Legende zitiert wird. Und der geht so: “Hey Kelley, ich hab da in einer New Yorker Bar zwei Typen kennengelernt. Sie spielen in der Hardcore-Band ‘Fear’ und kommen aus East L.A. Wir sind noch in der gleichen Nacht in einen Proberaum und da war klar: Das sind genau die Musiker, die ich seit Jahren suche! Die sind wirklich offen für Unkonventionelles. Ich zieh im Juni jetzt nach East L.A., komm doch im Juli nach.”

Am nächsten Tag wird Kelley mir dazu ergänzend erzählen: “Ich sagte, oh, das finde ich super. Und ich hängte den Hörer auf und dachte: Hm, East L.A., ist das nicht die Gegend, wo diese ganzen Gangs herkommen? Oh, warte mal einen Moment, warum ziehen wir da jetzt hin?!” Glücklicherweise wollte Kim Deal dann nicht mehr warten. Schließlich hatte sie schon ein halbes Jahrzehnt gewartet, gemeinsam mit ihren unzähligen Fans, auf ein neues Breeders-Album.

2. STATION: DIE STAMMKNEIPE

Der Taxifahrer hält jetzt vor einem Haus, das von außen kein Licht rauslässt. Dann steigt er aus dem Auto aus, und lässt mich allein. Weiß der überhaupt, dass ich in Amerika bin? Nach endlosen Minuten ist er zurück, er hat die Party gefunden! Eine Bar, wie es sie überall auf der Welt geben könnte. Und die doch aussieht wie amerikanische Bars in Filmen, die auf den Nebenstraßen des Lebens spielen: Paar Holztische, bisschen rote Tapete, ein obligatorisches Riesen-Budweiser-Schild über der Theke, hinten ein Billardtisch, aus dem CD-Spieler 70s-Discohits. Wie sympathisch, das Video einfach in der Eckkneipe zu machen,- keine scheiß-exquisite Location. Bei den Breeders spielt die Bar ja auch nicht erst seit neuestem eine besondere Rolle, wenn es ums Bandcasting geht.

In einer Bar in Boston haben sich Kim Deal und Tanya Donelly nämlich auch kennengelernt, 1988. Und da haben sie dann auch gemeinsam die Breeders ausgebrütet, sozusagen. Und 1990 mit “Pod” dann ihr erstes Album veröffentlicht: Songs voll von dynamischen Lo-Fi-Gitarren, hellem, melodiösem Gesang und da hinein gespielten bretternden Gitarren, die aber nie Wände bauten, eher glasklar und differenziert klangen. Die Texte erzählten gewitzt-tragische Geschichten über weirden Sex, Abtreibung und Tod. Auf dem neuen Album “Title TK” gibt es Stücke wie “Forced To Drive” und “Off You”, das sind eigentlich Folksongs, nur dass sie wie Rocksongs gemacht sind. Zarte Stilleben, in die jemand Bewegung bringt. Hypnotisierend und von einer gespenstischen Einsamkeit. Dann gibt es auch vollere, aufgewecktere Stücke wie die Single “Huffer”. Und in “Little Fury”, einem Call-and-Response-Song, in dem Kim und Kelley Deal sich fast gospelmässig ansingen, sind Verzweiflung und Fröhlichkeit eins. Und was diese Band so besonders macht, ist, wie sie immer diese hellen Momente mit den herben mischt.

3. STATION: DIE JUNGS (UND DIE SCORPS)

Kaum dass ich den netten Manager ausfindig gemacht habe, sitze ich auch schon mit den drei neuen Breeders, Gitarrist Richard Presley, Bassist Mando Lopez und Drummer Jose Medels, zusammen an einem der Holztische und aus einer anfänglichen Höflichkeit wird Emphase. Ich erfahre, dass das hier die Breeders-Stammkneipe ist und dass eigentlich jeder der Gäste hier mit der Band befreundet ist. Nach wenigen Minuten singen wir schon alle gemeinsam bei den Liedern mit und die Anspannung der letzten Tage fällt von mir ab. Jetzt wollen plötzlich alle ganz viel über Germany wissen und vor allem, was ich von den “Scorps” halte. Erst später merke ich, dass die Vorliebe der Breeders für die Scorpions kein Witz ist. Sie haben sowieso eine sehr ausgeprägte Passion für abgeschmackten Metal-Mainstream. Und für 70s-Disco-Funk. “WAS? Du magst die Scorps nicht. Das kann doch nicht wahr sein. Und wie findest du Accept? WAS? Die magst du auch nicht?”Gitarrist Richard ist jetzt fast enttäuscht. Wo ich doch aus Germany bin. “Als wir unseren ersten gemeinsamen Song machten, da schlug Kim vor, lass uns so tun, als würden wir einen Song für UFO schreiben.” Das sind merkwürdige Mythen, an denen diese Band hier strickt, die einst mit Nirvana auf Europatour war. Ich habe ja auch so Vorstellungen im Kopf, von Kim und Kelley. Kim Deal, die einst Miss Murphy hieß und das schönste Pixies-Stück sang: “Gigantic.” Und Kelley Deal, die wegen harten Drogen in die Rehabilitation musste und fortan andere Sorgen hatte als die Art-of-Breeders-Songwriting.

Ich schaue mich im Raum um. Endlich, unsere erhitzten Scorps-Debatten werden unterbrochen von Kim, die jetzt an unseren Tisch eilt. Sie muss wohl eine halbe Ewigkeit da vorne beim Billardtisch auf dem Boden gesessen haben. Kim wirkt schon ziemlich betrunken vom guten Corona-Bier, das die hier die ganze Zeit runterschütten. Kelley sei schon nach Hause gefahren. Sie blickt etwas irritiert auf meine Diet-Coke, so was, und das um die Uhrzeit! Und wedelt etwas zerfahren mit der Serviette in ihrer Hand. Dann kniet sie sich abermals auf den Boden, fast ein bisschen zu down to earth um noch mehr down to earth zu sein, und stellt mir so organisatorische Fragen: Ob es okay wäre, das Interview im Proberaum zu machen, statt wie abgemacht in ihrem Appartement und so Zeugs. Und malt beinahe hingebungsvoll Uhrzeiten auf die Serviette, die schon voller Uhrzeiten und Dates ist. So als gälte es, selbst im betrunkensten Moment noch zu koordinieren. Denn sie ist es, die die Kontrolle über alles hier hat, und das ist ja wohl klar. Dann schaut sie abermals besorgt auf meine Cola, ob ich denn nichts trinken möchte? Und verschwindet wieder Richtung Billardtisch. Später, bevor ich gehe, umarmen wir uns länger als normal und sie gibt mir ihre Telefonnummer, und dabei haben wir uns doch noch gar nicht richtig unterhalten. Das ist der Grund, warum ich diesen Typus Amerikaner so mag. Und der Manager erzählt von einem Barbecue übermorgen. Er würde schon dafür sorgen, dass ich dieses Wochenende so schnell nicht vergesse! Und alle sind herzlich und schreien und lachen und singen wild durcheinander. Ein Freund des Gitarristen will noch die Dreiviertelstunde bis nach Hollywood fahren, “damit du von L.A. auch was siehst”. Auf halbem Weg kehren wir allerdings wieder um, weil die Bars in dieser Stadt ja alle um 2 Uhr schließen, und es ist schon halb 2. Und ich denke, dass mich East L.A. schon jetzt mehr interessiert, als eine reiche Welt, die gerade ihrer 75. Oscar-Verleihung entgegenfiebert, die morgen stattfindet.

4.STATION: PROBERAUM

“Jetzt lass uns doch mal das Licht ausmachen, damit die Atmosphäre stimmt”, sagt irgendjemand im Raum. Vielleicht Kelley. Die will sich ihren Basspart für “Off You” nicht mehr nur anhand der Noten einprägen, die Bassist Mando ihr gerade vorgespielt hat, sondern selbst loslegen. Verständlich. Kim sitzt bereits gitarrespielend auf dem Boden vor dem Mikrofon. Wie schön, dass sie hier ausgerechnet meinen Lieblingssong proben. Mit der ergreifenden Zeile “I am the make-up on your eyes”. Kim singt ein bisschen und bricht dann wieder ab. Ist es, weil es sie so verletzlich macht? Weil es so anstrengend ist, mit Cabinet-Zigarette im Mund zu singen? Oder weil sie will, dass Gitarrist Richard endlich auch Riffs zu ihrer Rhythmusgitarre findet? Richard, der mit Nachnamen tatsächlich Presley heißt und auch Fan von Elvis ist (“vor allem die Las-Vegas-Phase”) will aber gerade keine Riffs ausprobieren. Ich kann mein Glück nicht fassen, dass ich hier eine Breeders-Probe miterleben darf. Ich habe mir so oft überlegt, wie sie ihre Songs schreiben. Ihre Gitarrenläufe aus dem Internet geholt. “Off You” hat zwei Bassparts. Deswegen spielt Kelley hier Bass. Es gibt auch Stücke, wo sie Gitarre spielt. Oder singt. Oder beides. Jedes Lied entsteht anders. Gleich ist immer, dass Kim den Text und ein paar Grundakkorde mitbringt. “Also gut.” Kim ist einverstanden. “Machen wir das Licht aus.”

Danach darf ich mir Lieder wünschen vom neuen Album und erlebe in einem stinknormalen, fensterlosen, nicht besonders großen Proberaum – mit Donnas-, Cheap-Trick- und AC/DC-Plakaten an der Wand, mein erstes Breeders-Konzert. Das ist großartig und entmystifizierend zugleich. Man hätte es sich ja schon denken können, die kochen auch nur mit Wasser. Wobei man nicht vergessen darf, dass das Wasser hier ziemlich chlorreich ist. Schlussendlich sitzen wir alle auf dem Teppichboden vom Proberaum. Aus den anderen Räumen dröhnen mexikanische Rhythmen zu uns rein. Und Kelley sagt: “Wir waren schon in so vielen Proberäumen in unserem Leben. Aber es ist das erste Mal, dass wir mal wo proben, wo man was anderes hört, als die üblichen Pearl-Jam- oder Limp-Bizkit-mäßigen Bands. Richtig aufregend.”

Seid ihr glücklich, dass es die Breeders wieder gibt?

Alle: Yeah!

Kim: Für uns ist das ja schon lange wieder Alltag. Seit ich diese Jungs in einer Bar in Manhattan namens “Motor City” getroffen habe, haben wir permanent an den Songs gearbeitet.

Kelley: Sie hat sie im New Yorker Ghetto gefunden! (Gelächter)

Richard: Hey, das war März 2000, wir haben diesen Monat unseren zweijährigen Geburtstag!

Kelley: Es ist schon verrückt, aber kaum, dass wir die hatten, ging alles ganz schnell. Im November 2000 fanden wir noch Jose fürs Schlagzeug und einen Monat später spielten wir schon unser erstes Konzert zusammen. Und im März 2001 haben wir die Platte eingespielt.

Kim: Es ist schon lustig, dass sie ausgerechnet “Title TK” heißt. Das bedeutet so viel wie “kommt bald raus”. Und jetzt hat es so lange gedauert, bis das Album tatsächlich erscheint. Aber na ja, Hauptsache, der Titel sieht hingeschrieben cool aus.

Die Platte klingt so, als würdet ihr schon sehr lange als Band zusammenspielen.

Kelley: Oh, das ist cool!

Ich mag die Dynamik. Wie jedes Instrument seinen eigenen Platz hat.

Jose: Bei uns ist jedes Instrument gleich wichtig.

Kelley: Kim sagt oft, lass mich nur Bass und Drums hören. Und sie erwartet, dass sich das wunderbar anfühlt. Und wenn Bass und Drums nicht alleine interessant sind und für sich selbst stehen können, dann hat sie voll das Problem damit.

Kim: Und wir reden uns alle gegenseitig rein. Jose sagt zum Beispiel zu Mondo, “Versuch doch mal dies und jenes am Bass”, obwohl er gar nicht Bass spielt. Oder Jose spielt was und Mondo sagt: “Oh, that sucks!” Das empfinden wir als Freiheit, so zu arbeiten.

Ich mag das Schlagzeug auf der Platte. Es klingt oft ein wenig störrisch, fügt den Songs echt noch was hinzu.

Jose (stahlt): Wir haben sehr hart am Schlagzeug gearbeitet. Es ist nicht einfach, ein Rhythmusinstrument, es ist ein künstlerisches Instrument. Es war für mich eine große Bereicherung, dass Kim auch Schlagzeug spielt. Denn sie denkt in Kategorien, die jenseits des Schemas liegen. Sie spielt, was sich richtig anfühlt, egal, ob es technisch perfekt ist oder nicht. Sie hat mich dazu gebracht, alles, was ich bisher übers Schlagzeugspielen gelernt habe, auch mal wieder zu vergessen. Einfach mal über Bord zu werfen. Und ich habe von Kim gelernt, dass es toll sein kann, Fehler stehen zu lassen, wenn sie ein gutes Gefühl vermitteln. Da habe ich gemerkt, dass ich auf der anderen Seite gelandet bin. (Gelächter)

Kelley: He`s come over to us.

Jose: Es ist lustig mit dem Schlagzeug auf dieser Platte, denn was ich nicht spiele ist genauso wichtig, wie das was ich spiele.

Intro: Würdet ihr das auch über die anderen Instrumente sagen?

Kelley: Absolut. Das ist so eine Art negativ-künstlicher Raum. Der Raum des Nichthörbaren dazwischen. Wir haben uns bemüht, dass es keine Füller gibt, dass jeder Ton seinen Grund hat.

Wann wisst ihr, so muss es jetzt sein, so wollen wir es haben?

Kelley: Das ist eine reine Gefühlssache. Wenn wir spüren, dass es sich gut anfühlt.

War es dann schwierig, das Ganze so abzumischen. Ihr wart ja wieder mit Steve Albini im Studio …

Kim: Es war schon schwierig. Das liegt an seiner Arbeitsweise, er arbeitet nicht mit dem Computer. Und er sichert nie was! Oh my god! Wenn ich sagte, ich mag diesen Mix und ich würde den gern mal mit meinen Vocals hören, dann ging das oft nicht. Dann hat er wieder von vorne angefangen.

Was war anders im Vergleich zu früher, wenn du mit ihm gearbeitet hast?

Kim: Er war einfach so weird wie immer. Aber ich muss auch sagen, er ist sehr, sehr ,sehr smart. Ich möchte, dass jeder weiß, wie smart er ist!

Mir hat mal jemand erzählt, dass man mit ihm nur über Sounds reden kann.

Kim: Ach Quatsch. Es ist schon traurig, was für seltsame Geschichten über ihn im Umlauf sind. Hey, er ist ein guter Koch, ein guter Entertainer, treibt gerne Sport.

Jose: Er hört sehr aufmerksam zu, wenn man ihm was erzählt.

Kim: Er macht sich schon fast manchmal zum Trottel, weil er so nett ist.

“Last Splash” war ja ein unglaublicher Erfolg. Setzt euch das jetzt unter Druck?

Kim: Ach, weißt du, die Amps-Platte, die ja eigentlich mein Nachfolgealbum war, ist nicht gerade so gut gelaufen. Und daher denke ich, scheiß drauf. Ich hab das alles schon erlebt.

Kelley: Es wäre aber schon schön, wenn es gut laufen würde. Ich fühle mich schon ein wenig unter Druck, denn es ist ja unter dem Namen “Breeders”.

Wie ist es denn eigentlich für euch, wieder miteinander zu arbeiten?

Kelley: Es hat schon seine Vorteile mit seiner Zwillingsschwester Musik zu machen. Wie wir uns manchmal streiten, ach du meine Güte, jeder der Jungs wäre schon zehnmal abgehauen.

(Gelächter)

Richard: Mit uns streiten sie sich nie.

Kelley: Und wir können uns mit wenigen Worten verständigen. Ich sag dann, weißt du noch, damals mit 15, als wir das und das gehört haben, so sollte das jetzt klingen und so weiter. Bei jedem anderen müsste ich erst ewig erklären, “Also, als ich 15 war, da habe ich das gehört …”

Ich mag es ja gar nicht mehr sagen, aber ihr habt ja so viele Bands beeinflusst. Wie empfindet ihr das?

Kelly: Es ist nicht so wirklich greifbar. Ich habe keinen Bezug dazu.

Kim: Es ist nur eine Idee in deinem Kopf.

Kelley: Die Leute haben eben einen guten Geschmack.

(Gelächter)

Kim: Ich bin ein schlechtes Rolemodel, ich trinke und ich rauche zu viel.

Könntet ihr eurerseits Einflüsse nennen?

Kelley: Ich mag Peggy Lee, Ella Fitzgerald, Billie Holiday, Hank Williams.

Kim: Doris Day.

Richard (zu Kim): Du magst doch auch den frühen Bob Marley, oder?

Kim: Ach nö, würde ich jetzt nicht als Einfluss bezeichnen.

Kelley: Was Bands betrifft, so mag ich Led Zeppelin. Und hey, die Scorps! Vor allem ihre erste Platte. Die musst du dir unbedingt mal anhören.

Richard: Sie sind großartig!

Welche Bands mit Frauen aus den letzten zehn Jahren mögt ihr? Ich weiß, es ist eine blöde Frage …

Kim (denkt lange nach): Da fällt mir keine ein.

Kelley: Hm. Hm. Hm. Mir auch nicht. Vielleicht liegt es daran, dass wir selber singen, da wollen wir uns keine anderen Sängerinnen anhören.

Und überhaupt Bands im Moment?

Kim: Immer wenn ich diese Frage höre, weiß ich nicht, was ich darauf sagen soll. Hier hängen ja die Donnas an der Wand. Hat die schon mal jemand gehört? Sind die gut?

Richard: Yeah, die rocken.

Würdet ihr euch als Feministinnen bezeichnen?

Kelley: Nein, ich bin zu sehr damit beschäftigt, meinen Lebensunterhalt zu verdienen und Abtreibungen zu machen.

Kim: This is Kelley talking!

Kelley: Aber manchmal denke ich, wenn ein 14-jähriges Mädchen ein Britney-Spears-Video sieht und dann eins von uns, wäre es dann nicht schön zu wissen, dass sie eine Wahl hat?

Kim, der das Thema anscheinend lästig ist, ruft wieder: This is Kelley talking!

Kelley: Aber es ist heutzutage generell schwer, jung zu sein, das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Für Jungs gelten die ganzen Maßstäbe doch auch, schau dir nur N`Sync an, die ganzen Boybands …

Jungs können zwischen viel mehr Rollen und Identitäten wählen, sie müssen ja nicht wie N`Sync sein. Übrigens habe ich gerade ein Interview mit Britney Spears gelesen, wo sie sagt, sie würde sich schon als eine Art Feministin bezeichnen. Und weiter: “Mein Film handelt davon, wie wichtig es ist, dass Mädchen zusammenhalten. Ich liebe diese Message.” Ich liebe diese Message auch.

Kelley: Unser Vater hat uns so erzogen, dass es keinen Unterschied macht, ob man männlich oder weiblich ist. Er hat sogar mal einen Preis gekriegt, weil er die Frauen in seiner Firma gefördert hat. Als ich als Teenager bei einem Vorstellungsgespräch gefragt wurde, wie es für mich denn sei, mit Jungs zusammenzuarbeiten, habe ich die Frage gar nicht kapiert. Und ich dachte, was ist falsch mit mir, dass ich die Frage nicht verstehe. Heute denke ich, dass es sehr cool ist, dass ich die Frage nicht verstanden habe. Wenn mein Vater überhaupt je eine Regel aufstellte, dann die, dass Mädchen nicht anders behandelt werden dürfen als Jungs.

Könntet ihr was über eure Kindheit erzählen?

Kelley: Es war wunderschön, keine Dramen. Wir lebten in einem beschaulichen Ort. Nicht einsam auf dem Land, aber auch nicht in der Stadt.

Kim: Es gab diese Reihenhäuser, die waren alle gleich, aber man konnte sich für unterschiedliche Farben entscheiden. Es gab grüne, weiße, pinke, schwarze Dächer usw. Und einen riesigen Spielplatz für alle. Wir hatten Glück, denn da wohnten sehr viele Kinder. Es war eine richtige Community. Wir hatten sehr viel Spaß, eine wunderbare Zeit.

Der Song “Off You” berührt mich sehr. Kim, erzähl doch mal ein bisschen über den Text.

Kim(denkt lange nach): Ich kann dazu nichts sagen. Ich weiß auch nicht, ich schäme mich, hm, hm.

Es hat diese schöne Zeile “I am the make-up on your eyes”.

Kelley: Ist das nicht ein toller Satz?

Ist das ein Liebeslied?

Kim: Hm. Es hat was mit 4AD zu tun, unserer Plattenfirma.

Kelley: Mensch Kim, jetzt beantworte doch mal die Frage der netten Lady!

Kim: Hm.

Wie ist das denn überhaupt so, wenn du Texte schreibst?

Kim: Ich habe kein Tagebuch oder so. Aber manchmal, wenn ich einen lustigen Satz aufschnappe, dann notier ich mir den und verwende ihn vielleicht später für einen Text.

Freut ihr euch schon darauf, wieder auf Tour zu gehen?

Kelley: Wir freuen uns vor allem wahnsinnig auf Europa. Die Jungs waren ja noch nie in Europa. Und ich glaube, ich werde das auch noch mal alles ganz neu wahrnehmen, aus ihren Augen. Ich habe übrigens in keinem Land der Welt je Menschen so viel Bier trinken sehen wie in Deutschland. Ich weiß noch, wie ich da zum ersten Mal war und es nicht fassen konnte, wie viele Leute man da morgens um 7 Uhr am Bahnhof mit Bierflaschen sieht.

Richard: Was heißt eigentlich “Where`s a good record-shop?” auf deutsch? Wir müssen da unbedingt Platten kaufen gehen.

Aber ihr habt doch schon alle Platten von den Scorps.

Gelächter und ab.

5. STATION: BARBECUE

Was vorgestern noch Barbecue hieß, klingt heute so: “Wir hängen bei Wolfi im Garten rum und bestellen ein paar Pizzas.” Wie schon die Tage zuvor ist es Kim, die mehr trinkt als redet, während Kelley scheinbar nicht nur die harten Drogen los ist, sondern auch nicht mehr trinkt. Dafür redet sie wirklich sehr gerne. Wir albern rum. Und sie singt ein Lied. “Ich und Richard, wir sind die Karaoke-Queens hier!” Kelley strahlt. Während Kim etwas befremdet ist, weil ich schon wieder keins von den Corona-Bieren will. Einzig der Gedanke, ich hätte möglicherweise schon früher am Tag getrunken, scheint sie zu beruhigen. Dafür isst Kim nicht, während sich die anderen über Pommes und Burger hermachen.

Anstatt abschließend zu fragen, was das Neue an den neuen Breeders ist, rede ich lieber noch ein wenig über die für weißen Indierock so unübliche Gegend, in der die Songs entstanden.

Kelley: “Unser 2-Zimmer-Appartment ist in einem Haus, wo es eine richtige Community gibt. Eine echte Working-Class-Nachbarschaft. Jeder hat einen Hund. Und am Wochenende, das ist so ein Latino-Ding, feiern sie diese Parties. Und sie heuern DJs an. Und es gibt Ice-Cream-Trucks. Deshalb haben wir auch diese Ice-Cream-Trucks auf dem Cover. Letztens lief ich hier nachts um vier durch die Straße und ich fühlte mich total sicher. Und dann habe ich laut einen Hank Williams Song gesungen, und gedacht: es ist wahrscheinlich das erste Mal, dass dieser Song in dieser Nachbarschaft gesungen wird. Und da war ich plötzlich glücklich.”

WENN FRAUEN WERFEN

(kleiner historischer Abriss zum Umfeld der Breeders)

Sie waren eine von Kurt Cobains absoluten Lieblingsbands. Und auch, wenn das außer mir keinen mehr interessiert – außer mir und ein paar Millionen anderer seltsamer Nirvana-Fans (die heutzutage so was sein dürften wie früher die Doors-Fans; Gott, haben wir die Doors-Fans gehasst, in den 80ern) -, so ist es doch irgendwie, ja irgendwie interessant, dass die letzte Nirvana-CD “In Utero” von der Aufnahmetechnik der Breeders-“POD”-CD inspiriert sein soll. Beide – ebenso auch Pixies` “Surfer Rosa” – sind von Steve Albini produziert. Und weil die Breeders für “POD” das Studio mit übermäßig vielen Mikrofonen vollgestellt hatten, und das so einen tollen Sound ergab (“Overmicing”), wollte Kurt Cobain das auch. Für seine Platte. Es ist typisch, dass man, wenn man über Kim Deal und die Breeders schreibt, beim Sound hängenbleibt. Es ist ihr Verdienst, so genau zu wissen, wie die Musik KLINGEN muss, “die kleinen, seltsamen” Töne.

Auch die neuen Breeders klingen wieder wie geschnitzt. Mit Ecken und Kanten, hätte ich beinahe geschrieben. Na, ja, jedenfalls so, wie es sich der geneigte Indie-Listener – falls es den noch gibt – vermutlich auch Jahre nach den großen Zeiten des Alternative Rock, noch anhören will. Geht zumindest mir so. Als ’94 “Last Splash” erschien, entsprang sie ja dem Sound der Zeit. Jetzt machen sie einfach da weiter, wo sie aufgehört haben. Sonderlich innovativ vielleicht nicht- aber dafür klingt es wieder toll. Und ist ja auch nichts dagegen einzuwenden, dass Leute einfach ihre eigenen Fäden weiterspinnen. Egal, was gerade angesagt ist.

Oder komm ich jetzt schon wieder rüber wie ein Doors-Fan in den 80ern? Apropos 80er. Ja, die blöden 80er. Das Jahrzehnt der Ausnahme-Frauen. Als Konsumentinnen noch nicht mit “Du” oder “Girl” angesprochen wurden, sondern so mitgemeint waren, irgendwie – was natürlich auch seine Vorteile hatte. Kim Deal war auch eine von den Ausnahmefrauen mit der “Ist Was?”-Ausstrahlung. Es war lustig, wie sich dann herausstellte, dass ausgerechnet sie, die immer wie ein Kerl auf der Bühne stand – neben diesem Kerl Frank Black -, eine ganzen Horde von Musikerinnen im Schlepptau hatte: Die Throwing Muses` Tanya Donelly (mit der sie auch die Breeders gründete), Schwester Kelley, Josephine Wiggs (Perfect Disaster). Und all die Bands und Projekte, die danach entstanden sind: Belly (Tanya Donelly), Joesphine Wiggs Experience, und die Solo-Platten von den dreien. Wie zum Beispiel die sehr tolle “Lovesongs For Underdogs” von Tanja Donelly, aus dem Jahr ’97. Schönstes, spärlichstes Songwriting.

Damit wollte sich Kim Deal aber nie zufriedengeben. Zum Folkie werden. Nee. Immer wieder arbeitet sie an diesem Sound weiter, der anfangs wie eine 90er-Fassung von den seligen Pixies klang – und dann seine ganz eigenen Wege gegangen ist. Diese Mischung aus Wuchtigkeit und Zartheit. Ja, apropos. Die seligen Pixies. Die gehören natürlich auch in diesen kleinen historischen Abriss. Sie haben ja schließlich die Rockmusik revolutioniert. Aber wirklich. Vorher hatte man dieses Laut/Leise-Schema noch nicht gehört. Oder waren Dinosaur jr. vorher? Egal. Euch fallen bestimmt noch tausend Bands ein, die früher waren. Aber ich verwette eine Tasse Grüner Tee: die Pixies waren bahnbrechend, wie man so schön sagt. Ich finde es lustig, dass Kim Deal jetzt, nach all den Jahren, immer noch auf 4AD veröffentlicht. Auf 4AD, dem Label, das auch innovativem Frauengesang, wie zum Beispiel dem der Cocteau-Twins-Sängerin , einen Raum gab. Denn Innovation ist ja etwas, was in der Popmusik oder sagen wir doch gleich Popkultur, eher Männern erlaubt wird. Wenn Frauen anders klingen, aus der Gewohnheit ausbrechen, heißt es oft: das ist falsch, da stimmt was nicht, die sind dilettantisch.

Im Gegenzug wird “gewöhnlicheren” Musikerinnen/Sängerinnen dann oft vorgeworfen, nicht neuartig, eigenwillig genug zu sein. Ja ja, Frauen. Reproduzieren immer nur oder können nicht spielen/singen. Apropos “Reproduktion”. Ist es nicht interessant, dass fast alle obengenannten Bands, auf die eine oder andere Weise, das Gebären von Nachwuchs im Bandnamen tragen? Belly: Also im weitesten Sinne Bauch. Breeders: Homo-Slang für Hetero-Leute, Brüter. Throwing Muses, die werfenden Musen. Auch die “werfenden Musen” gehören ja zu den eigenständigeren Frauenbands (was für ein schreckliches Wort) der 80er (wie Simon Reynolds und Joy Press in dem Standard-Gender-Reader “The Sex Revolts” überzeugend darlegen). Man könnte jetzt natürlich viel analysieren. Weil das ein vordergründiger Widerspruch ist. Dass ausgerechnet die innovativen Musikerinnen sich auf die traditionellste “Frauenrolle” beziehen. Aber natürlich ist es kein Widerspruch. Nur männlich irgendwie. Kunst statt Kinder zu erzeugen. Das interessiert Euch alles gar nicht? Ihr wollt einfach nur gute Musik hören? Dann kauft Euch Breeders: “Title TK”. Oder “Lovesongs For Underdogs” von Tanya Donelly. Oder “Kelly Deal 6000”. Oder eine Packung Kondome.

(Sandra, INTRO, 2002)