Jedes Mal, wenn ich euphorisch damit rausrücke, dass ich Fan von Sabrina Setlur bin, passiert dasselbe: Mein Gegenüber rollt entsetzt mit den Augen, weiß dann aber gar nicht, was noch mal genau das Problem an Setlur ist. Weil, das versteht sich doch von selbst, oder?
Das ist doch diese Schickse aus der Gala, so ‘ne reiche Zicke, das ist doch kein HipHop, das ist mehr so ‘ne Boris-Becker-Ich-AG im ›Popstars‹-Fieber. Ich sage dann immer, dass Setlur die geilsten Reime, den tightesten Flow und vor allem die tiefsten Lyrics hat, die mir im deutschen HipHop bisher aufgefallen sind, und das ist in etwa so, als würde man behaupten, die Welt sei gar nicht rund, sondern so eckig (und nichts sagend) wie die Reime der Beginner-Single ›Fäule.‹ Dass jemand exile in glamour sucht, der – oder besser die – von der strukturell sturzkonservativen pseudo-crediblen HipHop-Community (die von real existierenden Rapperinnen eh nur das Schlechteste denkt und diese gegen ihre real existierenden Freundinnen ausspielt, die an Mäuschenhaftigkeit und Doofheit ja wohl nicht mehr zu überbieten sind) als unglaubwürdig verdammt wird, kann ich verstehen. Dafür muss man sich auch erst mal klarmachen, dass Sabrina Setlur aus einer anderen sozialen und medialen Realität heraus rappt als ihre männlichen Kollegen. Oder stand schon mal ein männlicher Rapper ernsthaft vor dem Problem, sich die Nase operieren zu müssen, um ernst genommen zu werden, nur, um dann wieder nicht glaubhaft zu sein? Oder vor dem Problem, dass das Genre Rap an sich schon mal nicht für ihn gedacht ist, weil, das weiß doch jeder: Der beste Rapper ist auch der beste Angeber. Und wenn Männer irgendwas hassen, dann sind es Frauen, die so richtig geil angeben können. Gute Mädchen sind schließlich selbstgenügsam. Das macht an.
Warum ich so weit aushole, um das lang erwartete vierte Setlur-Album zu besprechen? Weil dieses galante, facettenreiche Werk von ebenjenem konservativen Zuschreibungs-Terrorismus handelt. Und zurückschießt, scharf. Denn Setlur ist nicht nur die »nicht zu fassende Tuss«, sondern auch »der meistverkaufte deutsche MC«. Und das bringt für einen »female MC«, egal, wie »tight die Skills« auch sein mögen, eben auch mit sich, dass die privaten Probleme in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Toll an ›Sabs‹ ist, dass S den Vorurteilsdreck zurückgibt; die Gegner herausfordert, statt sich ladylike-fein zurückzuhalten. Und sich dadurch schon wieder angreifbar und schmutzig macht.
Die Themen sind nie herbeikonstruiert und angelesen, sondern echt und aus einem Leben, in dem Verteidigung Not tut. In dem es was zu verarbeiten, zu sagen und geradezubiegen gibt – aber auch was zu feiern! Und das natürlich in den superdichtesten messerschärfsten Reimen, die so mega kicken, dass man voll süchtig danach werden kann. Sabrina lässt keine Silbe ungereimt bloß stehen, lässt sowieso nichts aus und sich schon gar nicht (mehr) beherrschen von den schmerzenden Schlagzeilen der dummen Boulevardwelt. Herrscht zurück. Steht fast selbst drüber wie eine Schlagzeile. Und so wird der Rap am Ende zum wahren Zuhause, zum Ort, wo es Lärm und Läuterung gibt. Und dann sind da noch die Tracks über Liebe und Depression. So melancholisch, so reif, so radikal intim – dass ihr diese elaborierten, ironischen, Schmerz-durchwobenen Raps über Beziehungsdramen so schnell keiner nachmacht. (Obwohl es sicher wieder einige versuchen werden, wie 97, als ihr Nr.1-Hit ›Du Liebst Mich Nicht‹ eine Welle von vampiristischen, pseudo-emotionalen Innerlichkeits-Raps nach sich zog.)
Denn: S ist durch die Trauer hindurch und doch mittendrin. Das muss man erst mal fühlen können. Das muss man erst mal erleben können / erleben müssen. Lonely at the top. Auch musikalisch gibt’s die ganze Palette – von wütenden Synthsounds, dynamischen Breakbeats bis hin zu smoothen Piano-Klängen. Da waren wieder Pelham und Haas am Start, zweifellos auf dem neuesten Stand, aber dennoch mehr songlike den Stimmungen der einzelnen vielschichtigen Tracks verpflichtet als der musikalischen Erneuerung. Was nicht weiter stört. Denn insgesamt passt alles ineinander und kickt dich, wenn du dafür bereit bist. Und, ich vermute mal, der Mainstream-Hörer ist das eher als der Intro-Leser. Oder nicht?
(Sandra, INTRO, 2003)