Die Drachen stehen wieder steil im Wind

von Kersty

Heym, die Band von Robert Stadlober, Klara Deutschman und Daniel Moheit, haben die so lebenssehnsüchtigen wie albtraumwitternden Jugend-Gedichte des Schriftstellers Stefan Heym vertont. Entstanden sind genau die Sorte von verstörenden und berührenden Pop-Songs, die wir im Moment brauchen. „Vom Aufstoßen der Fenster“  (Argon Ave Verlag) ist meine Lieblingsplatte dieses Jahres oder besser gesagt; dieses bislang so traurigen Jahrzehnts. Diesen Donnerstag, am 16.12.21, spielen sie in Berlin im Kulturzentrum Peter Edel.

Ja, die Melodien und der innovativ- innige Einsatz der Instrumente (Gitarren, Oboe, Akkordeon und Blockflöte)  machen süchtig – denn sie haben eine gute  Mischung aus eingängig und ruhelos. Alle Lieder wurden, wie gesagt, komponiert von Robert Stadlober, nach Gedichten von Stefan Heym. Die Arrangements sind von Klara Deutschmann, Daniel Moheit und Robert Stadlober gemacht. Produziert („Zauberei“) hat Ja, Panik-Mastermind Andreas Spechtl.

Man hört den Songs sofort an, was Robert Stadlober später im Interview bei unserem Salon „Krawalle & Liebe“ auch gesagt hat: dass sie auch gegen allzu gefälligen Deutschrock ein Zeichen setzen wollten. Dafür ist ja auch Andreas Spechtl immer ein Garant; für seine konsequente Underground-Haltung muss man ihn bewundern. Ein Album also auch für Leute, die wie Spechtl  z.B. mit den Songs der englischen Mod-Punks The Jam (oder auch mit The Smiths) sozialisiert sind. Und klar, inhaltlich würde Deutsch-Rock auch so gar nicht passen, zu den Gedichten, aber auch zur Ästhetik von Stefan Heym. Und natürlich auch nicht zu den musikalischen Idealen von Robert Stadlober.

Wenn „Vom Aufstoßen der Fenster“ vor ein paar Jahren erschienen wäre (also noch vor dem nochmaligen Wiedererstarken der rechtspopulistischen Bewegungen) dann wäre das natürlich trotzdem eine übermäßig gelungene Gedichtvertonungs-Platte.

Unter den Vorzeichen der Gegenwart allerdings, noch dazu in diesem trüben November und Dezember, mit all seiner Pandemie und einer, ja auch autoritären Survial of the fittest-Stimmung, der nur schwer mit Vernunft beizukommen ist, scheint es umso richtiger, dass uns Robert Stadlober gerade jetzt diese Gedichte nahebringt und zu Songs verarbeitet hat.

 

 

Oder wie der Musiker („Gary“) und Schauspieler es bei uns im Interview ganz unkokett und ohne in Lakonie zu schwelgen, sagte: „Das ist ja das Scheußliche daran, dass die Songs so gut in die Gegenwart passen.“

Dennoch: man darf sich von der Komplexität dieser Sachverhalte nicht beirren lassen. Das Album ist nicht nur große Kunst, das ist auch Pop, die Lieder kriegen eine*n  sofort. Und beamen die Hörer*innen in dieses Zwischenreich der Kunst, wo man alles mit allem verbinden und dabei doch die aller schillerndsten Details des menschlichen Daseins erkennen kann.

Mich persönlich stimmen so tieftraurige Lieder in ihrer Wahrhaftigkeit hoffnungsvoller als Musik, die so gar nicht achtsam ist.

Vielleicht ist es der hellsichtige und auch aus Optimismus schön gewordene Blick von Stefan Heym, der plötzlich auf den Horror; auf so viel Schreckliches trifft, der diese Gedichte so mitreißend macht. Und die schönen Melodien von Robert Stadlober, die dennoch so viel Abgründiges mitnehmen können. Stefan Heym schrieb diese Gedichte als junger Mann, auf der Flucht vor den Nazis, Anfang der 1930er.

Und Robert Stadlober sagte dazu, in einem Interview mit radioeins:

„Die Texte sind ja letztlich die Arbeiten eines Teenagers, mit allem, was dazugehört: Weltschmerz, Liebe, Überschwang, Radikalität und Unbedingtheit. Perfekt natürlich für Popsongs – denn nichts anderes sind ja unsere Lieder im Grunde. Aber natürlich war Heym in einer gnadenlosen, zerstörerischen Zeit ein Teenager, und das verstärkt natürlich all diese Emotionen in ungeheurem Maße, noch dazu wo die Gedichte ja im Prinzip alle auf der Flucht vor den Nazis entstanden sind.“

Und:

„Sie (die Exil-Schriftsteller) haben absurderweise in ihrer historischen Welt damals in unsere Welt hineingesprochen.“

Ja, hier werden wirklich Fenster aufgestoßen, ich hab jedenfalls nichts anderes mehr gehört, seit dieser Herbst auf den Winter zugeht!

Oder,  um es mal mit der letzten Strophe meines Lieblingsstücks „Auftakt“ zu sagen:“

„Frühherbst, dies lähmende Hinuntergleiten. Die grünen Rasen werden grau und blind. Doch sieht man auf den Straßen, auf den breiten Boulevards das kräftige, bekannte Schreiten –  Nur an der Ecke weint ein Kind.”

Songtexte sind ja bekanntlich die Gedichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und gleich mal so: Die Gitarre weiß was sie will, spielt federleicht und doch druckvoll ihr Motto, es wird sich bis zum Ende des Liedes durchziehen, mit der immer gleichen Irritation an derselben Stelle, wie ein Drache, der in den Himmel gespult wird, und das Unheil, nimmt seinen Lauf.

„Die Drachen stehen wieder steil im Wind. Die Wehmut schleicht. Und die Saison beginnt. Dort an der Ecke weint ein kleines Kind,        dem seine Träume fortgeflogen sind.“

„Die Gedichte warteten darauf, in Songs umgesetzt zu werden,” sagt der Songschreiber, die Lieder seien ihm passiert. Geholfen hat dabei scheinbar der Verzicht aufs Schlagzeug, um den Flow der Gedichte zu rüberzubringen, Sprünge und Dissonanzen included.

„Die Stadt rauscht auf. Jedoch es klingt nicht mehr, wie es vor Jahren noch betörend klang. Denn die Gesichter wurden langsam leer, und alles Leichte wurde schwer: die Augen und die Stirnen und der Gang.“

Und weiter:

„Es klingt nicht mehr. Die Instrumente  sind angefault und rostig und verstimmt. Man ist nervös, als wittre man schon Brände,  von denen eben nur die Zündschnur glimmt.“

Die glimmende Zündschnur, die nach oben steigenden Drachen und die Träume, die wegfliegen: was für meisterhafte Metaphern. Aber möglicherweise hätte ein Schlagzeug die Lieder in genau dieses autoritäre Korsett einer Zeit gedrängt, dessen Lyrics sich da längst herausgedreht haben.

Es ist eben auch ein freies Spiel mit dem Drachen. Denn die Songs atmen. Nicht nur den kollektiven Geist einer scheußlichen Zeit. Sie öffnen auch den ganz individuellen Blick auf Abschiede, Brutalitäten und Enttäuschungen. Das Lied über die toten Rehe, bei denen „nichts mehr von Wald “war, ” in ihren Blicken”:  oh wow,  so muss man da erstmal hinschauen können. “Aber die Augen erschienen glasklar und hell.“ Bei solchen Texten nicht die Nerven zu verlieren und es trotzdem am Ende so darzubieten, dass sogar so etwas wie schöne Kunst dabei herauskommt, macht diesen Song zu etwas, was ich selten so gehört habe.

Ganz besonders erschütternd auch das Lied „schmerzliche Erzählung“, das Stefan Heym für seinen Bruder schrieb, der „Anfang 18 ins Feld zog.“

Und mein Bruder sprang noch einmal vom Kupee herab, beugte sich tief über meine Hände. Und er küsste sie. Ich erschrak. Ich musste krampfhaft schluchzen. denn das tat er nie.“

Und:

„Nach sechs Wochen hat man mir geschrieben, er sei in eine Maschinengewehrgabe geraten und liegen geblieben.“

Der Refrain dieses Song hallt noch lange nach, denn die Band Heym hat daraus wirklich einen stürmischen Popsong gemacht, mit allem, was dazu gehört. Ein Popsong nämlich, der bei allem respektvollen Abstand zum Geschehen, dann eben doch dieses eine große punkrockige hippieske Ding einfordert, dass wir Menschen, die wir in der  zweiten Hälfte des Jahrhunderts geboren sind, uns so wünschen:

„Vielleicht hätten sie gerne geschrien: Nein! – Ein großes, hartes, starkes Nein – Aber nichts geschah. Ein jeder war, mit sich selbst allein.“

Und man kann sich nur bei Robert Stadlober dafür bedanken, sich selber nicht in das allgegenwärtige Stimmengewirr aus Ich-Ich-Ich eingereiht zu haben:

„Ich habe für mich verstanden, dass viele Dinge, die ich sagen möchte, schon mal gesagt wurden und dass die aber keine Öffentlichkeit hatten. Mein Beruf als Schauspieler ist ja eigentlich auch der, Texte zu nehmen und zu einer anderen Form von Verständnis zu bringen, durch meine Interpretation. Das macht für mich in einer Zeit, wo es so viel um Selbstbespiegelung und Innerlichkeit geht, und die Leute permanent sich an sich selber abarbeiten, und das auch überall offen teilen, total Sinn, zu sagen: ich trete einen Schritt zurück und nehme das Innen von jemand anderes und fülle es mit Meinem auf. Ich hab da Lust weiter dran zu arbeiten. Und eben keine eigenen Texte zu schreiben.“

Und das sehe ich als das eigentliche Zeit-Statement dieses empfehlenswerten Albums.

P.S. Es ist ein Doppel-Album, die Lyrics sind auf rosa gedruckt, und das Cover ziert eine kunstvolle Collage.

 

Spotify: Spotify – HEYM – Deutschmann, Moheit, Stadlober

You Tube:  HEYM – Deutschmann, Moheit, Stadlober: Ich aber ging über die Grenze / Tote Rehe – YouTube

Live:  16.12.21 Berlin – Kulturzentrum Peter Edel – Heym