Das kosmetische Rock ’n’ Roll Manifest der Yeah Yeah Yeah

Fieber to tell

 

Karen, Oh, Oh, Karen. Der erste Impuls, den ›Fever To Tell‹ auslöst, ist »Yeah« zu rufen, »Yeah« zu schreiben, und dann noch mal »Yeah« – denn sie haben ein Fieber zu erzählen. Yeah Yeah Yeahs klingt nach vollen Pop-Referenzen und gleichzeitig total leer – und man fragt sich, warum bisher noch keine Band auf diesen jauchzenden Namen kam. In den 80er Jahren gab’s mal die Yeah Yeah Nohs aus England: Eine schrabbelige Noise-Pop-Band, die sich indie-verkniffen die ganze aufkommende Freude gleich wieder verbieten mußte, wie man das halt so kennt von kritischen Lad-Bands.

Aber jetzt sind ja die Yeah Yeah Yeahs da, um den Rock ’n’ Roll zu retten, auch wenn sie keinerlei Attitude haben, irgend etwas zu retten, außer den Abend und die gute Laune: Hier, nimm erst mal eine Dosis Fieber. Denn je länger der Abend und je genauer man Karen und den Jungs zuhört, desto ergebener kommt man zu dem Schluß: Sie befinden sich dauerhaft in einem anderen Zustand als der Rest der Menschheit. Auf der Stelle möchte man auch so draufkommen, so durchdrungen von positiver Aggressions-Energie, die Art von Musik, die einem klar macht, daß Musik die tollste Droge von allen sein kann. Noch vor einem Jahr haben die Yeah Yeah Yeahs in Schuhkartons und Mauselöchern gespielt, wollten nur auf die Bühne und einen Spaß haben, der sie selber überrumpelt.

Jetzt sind sie Teil eines Hypes, der da heißt: scheiß auf Hype, scheiß auf Ikea-Rock, auf all die Kompromiss-Formeln für ein im Sinne der Marktwirtschaft gelungenes Dasein. Wenn die Marktwirtschaft immer schlechter funktioniert, muß auch das Funktionieren andere Formen annehmen. Vor nicht allzu langer Zeit war das noch anders. Für alles ab Mittelschicht gab es Coldplay und Travis, für das Drunter und Drüber darunter entweder uncodierten Rock ’n’ Roll oder Nu Metal, jetzt mal in terms of Rock gesprochen. Als könne man auf die Wahrheit der tief drinnen gefühlten Verzweiflung auch einfach verzichten. Wäre ja auch besser, zum Funktionieren aller gegen alle oder so. Aber, dann, es mußte ja so kommen, ist der Rock ’n’ Roll in Form so modischer Energy&Fashion-Victims wieder auferstanden. Wenn man das Radio anschaltet, kann man jetzt öfters The Libertines, The Hives, The Strokes hören – man kann überhaupt mal wieder etwas hören, statt zu kaufen, Rockmusik, und am meisten mag ich natürlich The White Stripes und eben jetzt die Yeah Yeah Yeahs.

Es liegt daran, daß ich der Meinung bin, daß Sex und Rock ’n’ Roll mit Männern und Frauen zu tun hat: Androgynität keine Frage von stylisher Erneuerung – oder gar Geschlechterverwirrung! – ist, sondern eine Entscheidung für etwas Soziales, das auch nur im Sozialen funktioniert.

Verschwende deine Jugend nicht mit Gender, flüstern mir die Yeah Yeah Yeahs zu, werde zum Blender. Wenn die schlechte Laune ihnen sagt, daß nichts mehr kommen wird, drehen sie erst richtig auf. Und sie drehen viel durch und auf, auf ihrem schönen Longplayer ›Fever To Tell‹.

Rockmusik für Leute, die keine Rockmusik mehr hören – exile in excitement. College-Rock, der nie aufs College mußte. Man kann gar nicht fassen, wie sie diesen Sound zu dritt hinbekommen. Aber sie hatten ja auch diesen tollen Produzenten Alan Moulder of JJ72-, Ash- und Marilyn-Manson-Fame. Der Typ hat goldene Ohren, sagt Nick über ihn. Er dürfte diesen weirden New Yorkern den nötigen Schliff gegeben haben, um das ganze Ding auf Rock- und Glamour-Touren zu bringen. Aber auch Gitarrist Nick hat sicherlich Zauberhände, denn er bringt die Gitarren so perfekt zum Überschnappen. Und das Schlagzeug groovt, so daß man sich den ganzen Dancefloor sparen und trotzdem auf den Dancefloor hüpfen kann!

Und, habe ich es schon erwähnt? Sie haben eine Sängerin, die sich die Zukunft des Rock ’n’ Roll in Lippenstiftfarben ausmalt – Karen O nimmt es nicht so genau mit dem Dezent-Auftragen des Lippenstifts. Und strahlt mehr Sexualität aus als die anderen sexy Sängerinnen, denn sie macht so tolle Dinge mit ihrer Stimme. Kiekst Lustschreie, nimmt Oktaven, überspannt Spannungen, irgendwo zwischen come-on und cum-shot.

Wenn Pop das ist, was die Welt von ihrer Last erlöst, dann sind die Yeah Yeah Yeahs Pop. Sie erlösen uns von der angestrengten Pseudo-Sexiness des modernen Pop. Denn diese Musik ist gleichzeitig schmutzig und glamourös, wobei sich Schmutz und Glamour andersrum zusammenfügen als bei R ’n’ B-Strategien. Sex nicht als »Ich-hab-trainiert-belohn-mich-dafür«-Ding, sondern als Energie, mit der man durchs Leben kommt, und alles andere passiert dann einfach – was natürlich auch eine glamouröse Illusion ist; nur zur Abwechslung mal die Illusion des Spontanen, wenn auch dieses Album trotz allem ein Kunstwerk und kein Spontanfick ist. Aber es versorgt uns mit der Utopie des tieferen, dunkleren Fühlens und Seins. Die Yeah Yeah Yeahs strahlen Selbstvergessenheit aus. Und man fragt sich: Dürfen die das? Darf Karen O das? So zu singen, als müsse sie Aggressionen ablassen, um zu lächeln? ›Fever To Tell‹ endet mit einem Song, der ›Modern Romance‹ heißt und mit Pavement-Gitarren das Fieber auschillen läßt. Ein wunderschönes Liebeslied, verletzlich und wahr singt Karen ein fast verlegenes »I love you«. Denn man hört ihr komischerweise alle Gefühle in der Stimme an, und trotzdem hat es noch etwas Konstruiertes, Künstliches.

Und man fühlt, eher als daß man es denkt, fühlt man, die Yeah Yeah Yeahs sind keinesfalls die beste, sie sind die einzige Rock ’n’ Roll Band zur Zeit.

 

(Kerstin, INTRO, 2003)