Es ist nicht gerade üblich, dass man den Gitarristen einer der experimentellsten Rockbands der Stunde aus den Klatschseiten der Idioten-Promi-Presse kennt. Es ist nicht mal mehr üblich, dass eine “Rockband der Stunde” überhaupt experimentell ist. Im Fall der Kills gilt beides. Warum, erzählt uns Sandra Grether.
Die Kills waren mir von Anfang an sympathisch. Schon ihr Debütalbum ‘Keep On Your Mean Side‘ von 2003 war angenehm arty und wahnsinnig zugleich: exaltiert, sexy, schmutzig. Gerne sah ich mir die hübsch-düsteren Schwarz-Weiß-Porträts von Sängerin Allison Mosshart und Jamie Hince auf dem Albumcover an, verziert mit antiquierten Schreibmaschinen-Buchstaben und versiert im Umgang mit Do-It-Yourself-Style. Garage-Blues-Minimalismus aus den höchsten Höhen und tiefsten Tiefen. Kurzum: Sie klangen so was von geil!
Auch ‘No Wow‘ von 2005 und noch mehr das neue Album ‘‘Midnight Boom” verbinden alte Sounds und neue Vibes. Das liegt vor allem daran, dass die Kills lieber mit altmodischen Drum-Computern arbeiten als mit neurotischen “echten” Schlagzeugern – und natürlich daran, wie sie das tun! Der Drum-Sequencer ist nicht nur Rhythmusinstrument, sondern auch Zerstörungs- und Zersägungsmittel No 1. Die Gitarren – weich verzerrt bis zum Anschlag – wiederum sind mehr für den Rhythmus denn fürs Melodische zuständig. Trotzdem glitzern die Songs und lassen den Hörer schweben.
Und dann ist da ja noch die tolle Sängerin Allison Mosshart! Sie hat den Blues, wenn sie Rock singt. Und sie singt dunkel, rau und befreit. Die Lyrics, die beide schreiben, sind poetisch überdreht und pointiert erlebt: “On the edge of a dream that you have” (‘Black Balloon‘). Von den Rändern eines Traums, eines Albtraums kommend, beschwören diese zarten, starken Stücke das Glück.
Wie eine Mischung aus Patti Smith und Velvet Underground kommen sie einem vor. Und um das Namenkarussell völlig anzuwerfen: Jamie Hince, dieser Typ, der sich da Suicide-mäßig (gemeint ist die Band) der Endzeit entgegenbastelt, das ist ja auch der neue Lover von Kate Moss. Was ihm irgendwie viel weniger ähnlich sieht als Pete Doherty.
Dünne Raucher
Hince und Mosshart sitzen mir gegenüber und rupfen an ihren belegten Brötchen herum. Ich frage mich, ab wann die beiden wohl Comicfiguren-Status haben werden, sie sind ja schon jetzt ziemlich big und bestimmt bald die heißeste Rockband Englands. Hince trägt den Wollschal, den man von den Fotos mit Moss kennt, Mosshart ist so dünn wie Moss und raucht Marlboro Menthol, während sie versucht, in ihr Brötchen zu beißen. Im Gespräch betont Hince gerne, wie arm er immer schon war. Und irgendwie wirkt das traurig-sympathisch, dass er denkt, das nun betonen zu müssen.
Ich versuche mir vorzustellen, wie jemand, der erzählt, er habe bis vor Kurzem nicht einmal das Geld für einen Vierspur-Recorder gehabt – und sein ganzes Equipment aus schrottigen Instrumenten zusammengeliehen -, mit der Luxuswelt seiner Model-Freundin klarkommt.
Und frage dann doch lieber nach dem Velvet-Einfluss, der in kaum einem Bandinfo unerwähnt bleibt. Jamie Hince schaut etwas verlegen und sagt dann weise: “Wenn man von etwas inspiriert ist, dann geht es darum, es genau nicht so zu machen wie seine Vorbilder.”Deine Art, Songs zu schreiben, ist ja auch viel untraditioneller als die von Lou Reed.
J: Ja, genau. Ich benutze die Gitarre wie ein Schlagzeug. Überhaupt bin ich ein sehr Rhythmus-fixierter Musiker. Ich bin in meiner Art, Gitarre zu spielen, eher von Moe Tucker beeinflusst. Ich behandle jedes Instrument wie ein Schlagzeug. Außerdem gehört zu diesem Velvet-Ding ja auch noch viel mehr. Es ist eine Haltung zum Leben. Zur Kunst …
A: Unsere neuen Songs sind fast ausschließlich nachts entstanden. Deshalb haben wir das Album dann auch “Midnight Boom” genannt. Es war magisch, diese Platte zu machen. Wenn wir uns am nächsten Tag angehört haben, was wir nachts so gemacht hatten, das war immer sehr spannend. So: Huch, was haben wir denn da schon wieder alles angestellt …
Nachts ist man der Wahrheit näher als am Tag.
J: Sehr wahr. Ich bin sowieso ein Nachtmensch. Schon immer. Ich liebe es, wach zu sein, während alle anderen schlafen.
(Sandra, INTRO, 2008)