Angela Richter setzt dem herrschenden Glauben an die Zurichtung eine andere Definition von Pop entgegen. Ihre Inszenierung von Rainald Goetz’ “Jeff Koons” versprüht Euphorie. Kerstin Grether und Sandra Grether waren im Theater und haben die Regisseurin getroffen.
Was will man von der Inszenierung eines Theaterstücks? Doch wohl, dass man auch noch sechs Wochen danach gute Laune hat! Vielleicht sogar für den Rest des Jahres. Die Neuinszenierung von Rainald Goetz’ glücklich-abgründigem Theaterstück “Jeff Koons” der Hamburger Regisseurin Angela Richter im Berliner Hebbel am Ufer im Frühjahr war so ein Event.
Und es war nicht nur diese bis zur allerletzten Szene durchgehaltene Affirmations-Energie, jene große verzehrende Euphorie, die die Verzweiflung der Schlusssätze umso wahrer machte. Sondern freilich die ganze großartige Inszenierung: Intention, Durchführung und natürlich die berauschende Thematik (“Kunst, Reden, Bilder, Sex, Melodien, Liebe”), die einen in diesen staunenden Glückszustand versetzte. So viel, so leicht!
Angela Richter: “Das hat man ganz oft bei Theaterinszenierungen, dass am Ende so eine Kater-danach-Stimmung aufgeführt wird. Aber ich wollte, dass die Schauspieler dagegenhalten. Die Leute sollten aus dem Stück rauskommen und sich fühlen wie auf Ecstasy. So voller Liebe – obwohl alles dagegen spricht.”
So voller Liebe auch zu Pop: Allein, wie sie ein Kunst versprühendes Michael-Jackson-Double auftanzen lässt, das den Sorgerechtstreit von Koons/Cicciolina im wie dafür geschaffenen “Billie Jean”-Hit thematisiert! Und toll auch, wie Angela Richter die Attribute, die sie dem zehn Jahre alten Stück attestiert – die “pure Existenzbegeisterung” und “die Freude am tatsächlich Gesprochenen in Alltag, Club und Galerie” -, auch wirklich rüberbringt!
Und das gilt auch für die Aufführung weiblicher und männlicher Stereotypen. Wenn sie etwa die wunderbar-kraftvolle Schauspielerin Eva Löbau als Kunstsuperstar Jonathan Meese auftreten lässt, dann geht es nicht einfach nur um eine Umkehrung der Rollen, sondern um ein Nebeneinander – und gegen eine, auch von Angela Richter so beobachtete, “Re-Martialisierung der Verhältnisse”. Klar, dass die doofen auf Anti-Pop und Status-Huberei abonnierten Kritiker im Feuilleton den Reiz, das Stück in die Gegenwart zu übersetzen, nicht auf Anhieb verstanden haben. Sie waren ja auch abgelenkt von den vielen Nebenschauplätzen, die sie rund um die Berliner Aufführung ausgemacht hatten: “Die Ehefrau von Daniel Richter inszeniert Rainald Goetz! Das Bühnenbild von Meese! Die Musik von Dirk von Lowtzow. Und wann schreibt Rainald Goetz endlich wieder einen Roman? Was gibt’s Neues von Jeff Koons?” usw. Man will es in seiner Plumpheit eigentlich gar nicht wiederholen, Angela Richter ist schließlich eine bekannte Regisseurin, die mit dem Hamburger Fleetstreet sogar ein eigenes Off-Theater leitet. “Die Leute schauen halt mit Gossip-Ohren”, nennt die Regisseurin das. Das Publikum hingegen war von der Neuinszenierung begeistert: alle Vorstellungen ausverkauft.
“Alles, was in dem Stück beschrieben wurde, stimmt heute umso schriller. Es wird genauso gefeiert; es wird ja sogar noch mehr gefeiert. Trotzdem tut man seit dem 11. September so, als müsse alles ganz ernst sein – und das ist zwar nicht nur, aber eben auch eine katastrophische Behauptung. Und daher erwartet man vom Theater eben nicht mehr Jeff Koons, sondern psychologische Sozialhilfe.” Angela Richter hat “Jeff Koons” also auch inszeniert, um die utopischen Momente des Pop wieder in die Gegenwart zu retten – und damit bewiesen, dass es geht. Am Text von Goetz schätzt sie überdies, dass er “weder auf Sozialkitsch noch auf krass gebürstet ist”. Und weiter: “Leider ist der Pop in dieser Eleganz und Verfeinerung über Ernsthaftigkeit indirekt abgeschafft worden, durch dieses Gerede. Denn wenn man jetzt schaut, was Pop ist, also DSDS oder Heidi Klum, dann erkennt man: Es geht nicht mehr um Versprechen oder Utopie, sondern es ist ein Glaube an eine Zurichtung.”
Die Aufführung der bezaubernden Hamburger Regisseurin setzt viele Versprechen dagegen, z. B. die Kommunikation der Schauspieler mit dem Publikum oder langes, intensives Geknutsche. Währenddessen spricht die Jeff-Koons-a.k.a.-Jonathan-Meese-Darstellerin proklamatorische Satzfetzen in den Mund des Geliebten. Man spürt ganz direkt, dass auch die großen Gesten von etwas kommen und zu etwas führen, was viele Bedeutungen hat. Man sitzt im Theater und hat lauter Erweckungsmomente.
Angela Richter: “Ich wollte viel Referenzhölle, z. B. ganz viele Anspielungen mit Meese, offene, aber auch verdeckte. Die Bibel wurde zitiert, Martin Kippenberger, die Musik aus Clockwork Orange, und ich hatte auch Lust, den ganzen Kubrick wegen Jonathan Meese von früher so reinzunehmen. Mit der Intention, den Leuten erst mal den billigsten Effekt vorzusetzen und dann aber eine ganz andere Kurve damit zu nehmen und die Erwartungen nicht zu erfüllen.” Es ist aberwitzig, dass ausgerechnet die humorvollen Reflexionen zum Thema “Großkünstler und seine Musen”, die in Richters Aufführung so virtuos ins Wahrhaftige gedreht werden, den Kritikern und Kritikerinnen – von Berliner Zeitung bis FAS – entgangen sein müssen. Wie sonst ist es zu erklären, dass sie Angela Richter zur Muse statt zum Mastermind dieser großen Regie-Arbeit runterschreiben?
“Jonathan und Dirk, das sind alles Typen, die ich ewig aus Hamburg kenne. Jonathan z. B. seit 1995, als wir zusammen die Künstlergruppe Isotrop gemacht haben. Und ich sehe nicht ein, dass ich mit guten Künstlern nicht zusammenarbeite, nur weil die Leute sich nicht vorstellen können, dass man als Frau ganz normal in so einer Clique ist. Mal davon abgesehen, dass Daniel und ich seit 15 Jahren zusammen sind. Aber die Leute haben so ein Gala-Denken. Die stellen sich vor, dass man diese geilen Typen, so Verona-Feldbusch-mäßig, alle zusammen auf einer ganz heißen Fete kennengelernt hat. Es ist für die unvorstellbar, dass man mündig ist.” Wer sich also künstlerischen Austausch oder Liebesbeziehungen auf gleicher Augenhöhe, zwischen Mann und Frau, schon gar nicht mehr vorstellen kann, dem sei Angela Richters Inszenierung von “Jeff Koons” empfohlen.
(Sandra und Kerstin, 2008, INTRO)