von Kersty
„Und du stellst fest, dass es wirklich auch Angriff auf den Status Quo ist, seine Veränderbarkeit, und zwar hin zum Besseren, zu behaupten.“
Wenn die Welt mal wieder untergeht, dann blühen die Figuren in Luise Meiers neuem Roman „Hyphen“ erst richtig auf: denn die Katastrophe ist bekanntlich die, dass es immer so weitergeht, und gut, dass die Autorin unserer heißgeliebten Theorie-Schrift „MRX Maschine“, die auch Aktivistin und Dramaturgin ist, schon 2018 die smartesten Ideen parat hatte, wie man den Kapitalismus durchschauen und durch süße Sabatogeakte erheblich stören könnte. Und hell, yes: warum nicht gleich das System, das Menschen in Gruppen divided, um sie besser ausbeuten zu können, ganz beenden? Im ersten Roman der Berliner Autorin erschüttert nun ein wochenlanger Stromausfall die Welt, der auch das Internet und die Geldflüsse unterbricht – hoffentlich für immer, wie der Roman nahelegt. Die liebevoll gezeichneten Figuren entwickeln darin ein wunderbares Füreinandersorgen, ein Survival-in-Solidarität, das nicht nur menschlich, sondern auch glücklich macht.
Ich brauche eine Genie: Luise, wir wollen dich gerade nicht mit ellenlangen Interviewfragen stressen, du hast ja bestimmt Wichtigeres zu tun, als unserem Blog stundenlang Rede und Antwort zu stehen. Aber zum Glück haben wir neuerdings die Rubrik: „Auf einen Espresso mit…“ Wie sehr stresst dich unser digitales Zeitalter eigentlich persönlich? Ist es eine Ressourcenverschwendung, ein falsch- verstandene Idee von Solidarität, wenn man seine ganze Zeit auf vermeintlich demokratischen Netzwerken und „Social Media“-Plattformen verbringt? In „MRX Maschine“ hast du die Jagd auf Likes und Views in eine Traditionslinie mit Fabrikarbeit gebracht. Wäre es nicht besser, wir würden stattdessen Pilze sammeln und dabei staunend ihre Wirk-Kräfte auf unser Bio-System erforschen: wie dein neuer, sehr erfrischender Roman nahelegt?
LUISE MEIER: Sowohl in MRX Maschine als auch in dem Roman Hyphen geht es mir vor allem auch darum zu zeigen, dass nicht unsere individuellen Entscheidungen und Erkenntnisse sind, die unser Leben prägen und die Gesellschaft verändern, sondern die historisch gewachsenen und verfestigten Strukturen, Technologien und Art und Weise zu Wirtschaften. Aus dem Verstrickt-Sein in den globalen Kapitalismus, Social Media, patriarchale und CO2-produzierende Gesellschaftsformen ergeben sich Beziehungs- und Lebensformen, die uns alternativlos erscheinen. Hier auszubrechen kann uns als Vereinzelte Individuen nur punktuell und nur solidarisch und kollektiv gelingen, solche Erfahrungen können aber Hoffnung und Kraft erzeugen, für eine andere Gesellschaft zu kämpfen, in der dann auch für jede einzelne und jeden einzelnen ein anderes Leben möglich wird. Pilze sammeln und über biologische Symbiosen staunen etwa, kann also unsere Sinne schärfen und unsere Sehnsucht wecken nach Möglichkeiten eines anderen Zusammenlebens.
Ich brauche eine Genie: Du beschreibst in „HYPHEN“ fast so etwas wie eine neue Gesellschaftsordnung, die aus der Not geboren wurde. Hat es dir Spaß gemacht für die Grundkonstellation des Romans selber in die Rolle der Saboteurin zu gehen, und der Gesellschaft weltweit ein bisschen den Strom der kapitalistischen Normalität und auch den echten Strom abzustellen?
LUISE MEIER: Es ist interessant, dass beim Schreiben so einer semi-utopischen Welt tatsächlich das Gefühl der Sabotage und des Widerstands aufkommt, weil jeder Satz dem herrschenden Menschenbild und der Selbstverständlichkeit der Alternativlosigkeit widerstrebt, die ja auch in mir als Schreibender Spuren hinterlassen haben. Da findet so ein kleiner Kampf mit den ideologischen Beharrungskräften der Gegenwart schon im Schreiben statt. Begriffe wie „naiv“ oder „unrealistisch“, zeigen plötzlich ihre disziplinierenden Wirkungen. Und du stellst fest, dass es wirklich auch Angriff auf den Status Quo ist, seine Veränderbarkeit und zwar hin zum Besseren zu behaupten. Und zu solchen Fragen und Erlebnissen möchte ich die Leser*innen von Hyphen gerne verführen. Zum Motor, der die einzelnen Geschichten in Hyphen z.B vorwärts getrieben hat, war immer wieder die Frage „Warum denn eigentlich nicht?“…Wenn so viele Buchseiten mit den Untergangs- und sado-masochistischen Phantasien und Sehnsüchten von Autorinnen und vor allem Autoren gefüllt werden, warum sollten wir dann nicht einfach anfangen, sie mit unseren Phantasien und Sehnsüchten nach einer verbundeneren, gerechteren, emanzipatorischeren und klassenlosen Zukunft zu füllen?
Ich brauche eine Genie: Worin unterscheidet sich für dich Roman-Schreiben von Theorie-Essay-Schreiben? Deine Essays sind bei aller Durchdachtheit sehr beseelt, und dein Roman steckt voller Ideen. Was beide unter anderem verbindet ist der Wunsch nach Verbundenheit der Menschen, nach Sinn im Schaffen. Aber ist es eben doch eine andere Herangehensweise, wenn man eine konkrete Geschichte erzählt, die von Personen und ihren Eigenheiten handelt?
LUISE MEIER: Das Schreiben, aber auch meine Arbeit mit Theaterformen ist für mich immer ein offenes Experiment. Ideen suchen sich Formen, in denen sie sich weiterentwickeln und ihre Widersprüche aushandeln können. Mich überrascht es oft selbst, welche Formen sich einzelne theoretische Überlegungen suchen, welche Wege und Umwege sie gehen. Das was dann als fertiges Buch, Essay oder Roman oder Theaterabend entsteht, ist dann oft erst der Anfang eines Prozesses, bei dem es darauf ankommt, in Dialog mit anderen zu treten, Diskussionen und Denkprozesse anzustoßen. MRX-Maschine etwa, war nicht nur eine Thesensammlung zwischen zwei Buchdeckeln, es war für mich auch eine Intervention in den Diskurs zum Marx Jubiläum, eine Einladung zum Weiterdenken, Diskutieren und v.a. zur Aneignung dieser Theoriegeschichte. Hyphen ist eine Einladung über Zukunft, Utopie, Möglichkeitsräume, aber z.B. auch den Begriff des Fortschritts oder die Geschichte Ostdeutschlands und des „realexistierenden Sozialismus“ nachzudenken. Das Hyphen eine erzählende Form gefunden hat, hat mich selbst überrascht, tatsächlich kamen da einzelne Geschichten oft vor den theoretischen Überlegungen. Ich habe den Eindruck, wenn wir von anderen Menschen lesen, wie verrückt und eigenartig ihre Leben verlaufen können und, wie sie versuchen sich die Welt um sich herum zu erklären oder gemeinsam zu bewältigen, werden wir vielleicht ein bisschen offener für die Vielfalt von Möglichkeiten des Zusammenlebens. Und dann kann ich so eine andere, mögliche Welt und ihre Zusammenhänge eben einerseits als abstrakte Strukturen erzählen oder eben als Mosaik von Biografien von Menschen, die sich darin verhalten, zusammenkommen oder eben nicht, gerade diese Übersetzung von der einen in die andere Ebene, fand ich beim Schreiben sehr spannend.
Ich brauche eine Genie: Ich habe sehr das Kapitel über die einsamen Sonderschichten, die Schuldgefühlen bestehen und das Glück des gemeinsamen Aufstands der Pflegerinnen, gemocht, die du auch im Literaturforum im Brecht-Haus bei deiner Premierenlesung vorgestellt hast. Wie hast du speziell die Not im Krankenhaus, in der Pflege recherchiert?
LUISE MEIER: Das kam genau andersherum. Ich war 2022 bei Solidaritätsinitiativen für die Berliner Krankenhausbewegung aktiv und habe da sehr viel von den streikenden Krankenhausbeschäftigten gelernt, die immer wieder um die Solidarität der Berliner Stadtgesellschaft geworben und gerungen haben, um ihren Forderungen gegenüber der Krankenhausleitung und der Politik Gehör und Kraft zu verschaffen. Das war für die einzelnen Kolleg*innen oft nicht einfach, aber sie haben sehr offen und sehr bewegend aus ihrem Krankenhausalltag berichtet, auch um uns, ihren Nachbar*innen und Patient*innen bewusst zu machen, wie schockierend ihre Arbeitsbedingungen und damit auch die Bedingungen für uns als Patient*innen in diesem System profitorientierter Gesundheitsversorgung sind. Das hat mich sehr beeindruckt und nachhaltig beschäftigt. Und dann gab es immer wieder auch Leute, die mit leuchtenden Augen von diesen wirklich oft fast magisch wirkenden Erfahrungen von Solidarität und der Veränderbarkeit dieser beschissenen Zustände durch den Streik, erzählt haben. Denn der Streik hat nicht nur was den Lohn oder die Arbeitszeiten oder die Patient*innenbetreuungsquoten anging etwas verändert, sondern auch die Leute selber, das war sehr faszinierend. Und weil in Hyphen die Frage nach Hoffnung immer unterschwellig mitschwingt, war für mich ganz klar, dass diese Erfahrungen Teil dieser Geschichte werden müssen. Weil es eben Splitter von dem, was sein könnte, schon in der Gegenwart und im Kampf um eine bessere Zukunft gibt. Bei dem Kapitel über Anne und ihre Arbeit als Krankenpflegerin ist das vielleicht am ehesten spürbar, aber eigentlich ist in Hyphen natürlich kaum etwas wirklich erfunden, sondern ich habe ganz viele solcher Splitter aus den verschiedensten Kontexten zu einem Mosaik oder einer Collage zusammengefügt, weil ja, um einen Satz aus dem Hyphen zu zitieren „eigentlich alles da ist, nur nicht da, wo es gebraucht wird….“
Ich brauche eine Genie: So, thanx for the Espresso. Ich habe meinem neuen Roman „BRAVO BAR“ übrigens ein Zitat aus „MRX Machine“ vorangestellt: „Das Proletariat ist nach erfolgreicher Selbstoptimierung weggepudert, wegfrisiert, abgewaschen, überwunden. Wenn ich mich einmal zusammengerissen habe, wo versteckt sich das vormals Un-Zusammengerissene?“ vielleicht können wir über dieses vormals Unzusammengerissene ja bei unserer Veranstaltung „Ich brauche eine Genie“ weiterreden – dann aber auf einen Cappuccino oder ein Bier!
Wir freuen uns jedenfalls schon mega auf deine Lesung in der “Kantine am Berghain” bei “Ich brauche eine Genie, Vol 24”
Wenn ihr dabei sein wollt: Tickets gibt es für 9 Euro im VVK / 10 Euro AK, hier:
Luise Meier: Jahrgang 1985, arbeitet als Autorin und Servicekraft in Berlin. In ihrem ersten Buch „MRX-Maschine“ (Matthes & Seitz, 2018) verschränkt sie marxistische Theorie mit Feminismus, Queerness und Postkolonialismus. Am 29. August 2024 erschien der Roman HYPHEN (semi-utopische-speculative-near-future-social-fiction) bei Matthes und Seitz Berlin.