26 April 2018, im Oberholz
von Kerstin
Ich weiß nicht warum, aber ich komm seltsam gut an bei den Hip-Hop-Leuten. Das war schon immer so. Gestern hab ich den krassesten Kommentar meines Lebens auf die Webseite eines Online Rap-Magazins geschrieben; anonym, aus der Sicht einer Betroffenen sexualisierter Gewalt und kein gutes Hahaha gelassen, an keinem der gerade angesagten Rapper. Selbst noch die softesten hab ich zusammengeschissen. Ich dachte, die Magazinmacher schalten den Kommentar bestimmt nicht frei, weil er so voller Beschimpfungen war. Und jetzt seh ich gerade, dass ich nur positive bis euphorische Reaktionen geerntet hab. Wohlwollend auf jeden Fall… Also geht doch. Man muss nur den eigenen Umgangston finden!
Ich sitze gerade im Café Oberholz, dem offizielen Café der digitalen Boheme, (am Anfang haben wir es auch das “Holm-Friebe-Café” genannt ;), weil wir gleich noch einen Kurzauftritt um die Ecke in den schönen Sophiensälen haben. Davon hab ich immer geträumt: einmal im Café Oberholz sitzen, inmitten all der anderen „Hipster“ und Texte schreiben, für sie ;). Was für ein Gefühl von Community und Cognac! Aber leider gibt’s hier keinen gescheiten Espresso-Cappuccino, sondern nur Filterbohnencafé. Was soll das? Ich fühl mich in meiner Latte-Machiatto-Hipster-Ehre gekränkt. Wir trinken doch keinen Bohnenkaffee, oder doch?
Einen Nachteil vom Im-Oberholz-Schreiben habe ich bereits bemerkt: die teuren Kuchen und Getränke konkurrieren direkt mit den geilen Fummeln aus den Klamottenläden in der Rosenthaler Straße. Die Frage lautet also: trink ich noch einen Americano large oder kauf ich mir eine neue Netzstrumpfhose? Oder beides? (Wenn man die Gage schon in der Tasche hat, dann natürlich beides und noch`n Banana Bread). Oder gleich die Fransen-Short- Jeans? Nee, scheiße, die ist nur für große Frauen. Dann also ein neuer Hut, der rote natürlich.
Wenn die Leute nur wüssten, WIE anstrengend es ist, auch nur EINEN Song auf einer Bühne zu spielen; dann würden sie nicht mehr denken, dass Musiker*innen die Sorte Menschen sind, die einfach nur machen, was sie wollen. Wenn man einen Song auf einer Bühne spielt; wenn man also soweit ist, einen Song zu spielen – und dabei auch noch gut auszusehen – dann könnte man auch gleich noch FÜNFZEHN Songs spielen. Das wäre dann sogar angenehmer. Konzertespielen ist immer auch Stressabbau: Abbau von dem Stress, den es bereitet, Konzerte zu spielen! Der Soundcheck ist auch für einen Song schon obszön aufwendig genug.
Am schlimmsten ist immer der Moment, wo die Techniker denken, jetzt hätten sie alles geschafft: nach endlosem Verstärkerverkabeln- und Mikrofonierung und Monitorboxen einstellen und zwei Gesänge aufeinander abstimmen und und und … und dann ruft Sandra: „Jetzt müssen wir noch die Playbacks in den Sound einbauen“ und ich rufe, aus der anderen Ecke: „Ich will Klavier dazu spielen“. AAAARGH!! Aber die Gruppe Doctorella lässt sich halt kein Instrument entgehen, wofür heißen wir schließlich Doc-tor-ella? Was wäre das für eine Ärztin oder Krankenschwester, die nicht alle Instrumente in ihrem Arztköfferchen hat? Heute spielen wir „Die Reichen tragen schwarz“ und ich trag das Outfit vom letzten Samstag nochmal. Auch wenn der Lederrock schwarz ist. Von dem Song fühlt sich ja sowieso nie einer angegriffen. All die Leute, die immer schwarze Kleidung tragen, was ja die meisten sind. Sie sind einfach so geschmeichelt, dass sie aussehen, als ob sie reich wären. Das bisschen Spott nehmen sie gerne in Kauf; obwohl dieses lustige Liedchen doch eine ernsthafte Kritik an Klassismus ist!
Bei mir ist es immer umgekehrt: ich will immer so aussehen, als wäre ich auf keinen Fall reich. Aber dafür umso besser, irrer, unpassender gekleidet, wenn ihr wisst, was ich meine. Nee, das kapiert kein Mensch.
Chio von Zuckerklub hat neulich gesagt, ich wär schon Influencer, weil ich so einen unverwechselbaren Style hab, Mann, war ich geschmeichelt. Obwohl ich schon mein ganzes Leben lang Influencer bin und einen unverwechselbaren Style hab. Aber wenn Chio das sagt, dann ist das auf jeden Fall wahr!!
Als ich nach Berlin gezogen bin, vor 15 Jahren, hab ich hier um die Ecke gewohnt. Deshalb verbinde ich mit jedem der Läden und Ecken hier irgendeine Geschichte, die ich aber so gut verdrängt und verarbeitet habe, dass mir grad keine mehr einfällt. Außer vielleicht das Grundfeeling: „Gonna have a good time. No more drama in my life.“ Irgendwann muss man sich das mal vornehmen, wenn man ein glücklicher Mensch werden will. Ich hab mir das schon vor 15 Jahren vorgenommen: „No more drama in my life“. Hat leider nix genützt, aber man kann es jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde wieder aufs Neue versuchen! Die Zeile stammt übrigens von Mary J. Blige und ist aus dem Song “Family Affair” (falls es irgendeinen Menschen da draußen gibt, der diesen Super-R`nB-Smashhit der frühen nuller Jahre nicht kennt).
Schreiben ist eine Sucht, wie jeder andere Sucht auch, und muss nicht behandelt werden.
Neben mir sitzen zwei, die sich laut zuprosten und mit dem Kellner reden:
Irgendwann ist der Punkt überschritten.
Ich pass schon auf euch auf.
Wir haben uns heute kennengelernt.
Also beruflich.
Du glaubst nicht, was wir heute auf die Beine gestellt haben.
Der Wahnsinn. Gründer und Starter.
Ihr hab n Start Up zusammen gemacht?
Dann Gratulation.
Bei mir ist das so: wenn ich einmal anfang zu trinken…
… dann ist das schwer wieder aufzuhörn.
Viel Erfolg!
Vielen Dank, du bist sehr nett.
Du bist auch sehr nett.
Das Glas ist auf jeden Fall immer voll.
Du meinst so, im Sinne von: halbvoll, halbleer.
Das ist immer voll. Mein Glas ist immer voll.
Gerade wünsche ich mir die Piraten-Partei zurück. Ich weiß auch nicht, warum. Sandra kommt von der Oberholztoilette zurück und sieht aus wie das coolste Piratenweib ever. Yeah! Mischung aus PussyRiot und Pirat.
Die Leute wissen nicht, dass das Problem am professionellen Schreiben nicht das Schreiben an sich ist, sondern das Mit-Den-Eigenen-Texten-Leben. In dieser Hinsicht bewundere ich Margarete Stokowski. Ich hab sie mal gefragt, wie sie das eigentlich aushält, und sie hat gesagt, sinngemäß; dass sie alles, was sie schreibt, sofort danach wieder vergisst. Das ist eine vorbildliche Einstellung zum Schreiben! Es bewahrt davor Paranoias zu schieben, aber es bringt einen auch um den Genuss, danach noch stundenlang selbstverliebt in den schönsten Formulierungen zu schwelgen; so dieses: Sich selber die eigenen Sätze noch mal hersagen.
Herzsagen. So im Sinne von “Mein Glas ist immer voll.”
Und dann schnell austrinken und Kater.